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Experte über Jusos und Fatah-Jugend„Die Kooperation ist ja nicht neu“

Die Palästinensische Fatah-Jugend als Schwesterorganisation der Jusos: Islamwissenschaftler Christoph Dinkelaker erklärt, ob das problematisch ist.

Die Jusos erklärten beim Bundesparteitag die palästinensische Fatah-Jugend zur Schwesterorganisation Foto: Noah Wedel/imago
Interview von Susanne Knaul

taz: Der SPD-Nachwuchs ist aktuell schwerer Kritik ausgesetzt. Die Jusos billigten den Hass gegen Juden, sie schlügen sich auf die Seite von Extremisten, hätten ein Antisemitismusproblem – all das, weil sie auf dem Bundesparteitag die palästinensische Fatah-Jugend zur Schwesterorganisation erklärten. Wie nehmen Sie diese Debatte wahr?

Dinkelaker: In Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt erlebe ich seit einigen Jahren in der deutschen Parteipolitik eine zunehmende Fokussierung auf eine verbale Solidarisierung mit Israel, während palästinensische Perspektiven außer Acht gelassen werden. Ähnlich verhält es sich mit genau diesem Vorfall. Der historische Kontext des Konflikts und der Fatah wird ignoriert.

Bei aller berechtigter Kritik an Vetternwirtschaft und autoritärer Herrschaft im Westjordanland: Die Fatah hat sich sehr lange für die Zweistaatenlösung eingesetzt – auch gegen die Widerstände anderer palästinensischer Gruppen. Bis zum Ende der Obama-Administration hat die Fatah diplomatische Lösungen priorisiert. Trotz anhaltender Besatzung und Annexionspolitik wandte sie sich später als weite Teile der palästinensischen Zivilgesellschaft Strategien wie BDS (Boykott, De-Investitionen und Sanktionen) zu, die nicht auf Zusammenarbeit und Dialog abzielen.

War die Kritik zumindest von CDU und FDP nicht zu erwarten?

Die Kooperation der Jusos mit der Fatah-Jugend ist ja nicht neu. Die Zusammenarbeit gibt es seit Mitte der 90er Jahre, und auch die Bezeichnung Schwesterorganisation ist nicht neu. Was sich verändert hat, ist der Diskurs in Deutschland, dahingehend, dass palästinensische Perspektiven immer stärker an den Rand gedrängt und vor allem delegitimiert werden.

Bis in die 90er und auch die 2000er Jahre galt die Fatah noch eher als „good guy“ gegenüber der als extremistisch bezeichneten Hamas. [Die islamistische Terrororganisation Hamas kämpft mit militärischen Mitteln gegen Israel und dessen Zivilbevölkerung und bezog sich in ihrer Charta lange auf die extrem antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“, die erwiesenermaßen eine Fälschung sind; d. Red.]

Aber ja, man konnte damit rechnen, dass für Kreise um CDU und FDP die Bezeichnung „Schwesterorganisation“ ein gefundenes Fressen ist. Aus meiner Sicht ist das aber vielmehr Ausdruck für die schrumpfenden Räume, in denen man sich zum Thema Israel-Palästina bewegen kann. Es geht um eine Veränderung in Deutschland, nicht um ein grundlegendes Ereignis, das sich in Israel oder Palästina abgespielt hätte. Spannend ist, dass hier Deutsche mit Deutschen streiten. Israelische und insbesondere palästinensische Perspektiven spielen überhaupt keine Rolle. In Israel und Palästina scheren sich sehr wenige Menschen darum, ob bei den Jusos jetzt von einer Schwesterpartei gesprochen wird.

Gäbe es für die Jusos alternative palästinensische Partnerorganisationen?

privat
Im Interview: Christoph Dinkelaker

ist Islamwissenschaftler. Er lebte in den Jahren 2010 bis 2014 in Jerusalem und war in dieser Zeit auch für das Willy-Brandt-Zentrum in der Stadt tätig.

Allgemein gesprochen gibt es innerhalb der palästinensischen Jugendorganisationen heute praktisch keine Kraft, die sich nicht auch für Formen des unilateralen Vorgehens, wie Sanktionierungen Israels einsetzt [gemeint ist etwa der Boykott im Zusammenhang mit BDS; d. Red.], eben weil der Oslo-Prozess, der bis zum Jahr 1999 zur Zweistaatenlösung hätte führen sollen, 21 Jahre später noch nicht umgesetzt ist.

Das Vertrauen, dass die israelische, militärisch und machtpolitisch überlegene Seite sich auf eine Form von Kompromiss einlässt, ist unter allen Kräften aufgrund dieser zermürbenden Zeit geschwunden. Es gibt jenseits der Fatah keine relevante Gruppe, die Israel gegenüber kompromissbereiter wäre.

Wie sollten die Jusos auf die Kritik reagieren?

Die Jusos tun gut daran, sich einerseits vorbehaltslos hinter das Existenzrecht Israels zu stellen und gleichzeitig klarzustellen, dass es ohne die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts palästinensischer Menschen keinen Frieden geben wird. Dementsprechend muss man sich beiden Seiten gegenüber solidarisch zeigen.

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21 Kommentare

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  • Nur mal zur Erinnerung: Die Fatah ist die Partei des osloer Friedensprozesses. Der Vorsitzende der Fatah Yassir Arafat hatte damals Israel in den Grenzen von 1948 anerkannt und damit für die palästinensische Seite endgültig auf 78% des ehemaligen Mandatsgebiets Palästina verzichtet. Fortan war das politische Ziel der Fatah ein Palästinenserstaat in den verbleibenden 22 %, der Westbank und dem Gazastreifen. Völlig zurecht hatten Rabin und Arafat dafür den Friedensnobelpreis erhalten. In der internationalen und der deutschen Politik bestand damals ein weitgehender Konsens, darüber dass die Parteien, die ein solche Zweistaatenlösung anstreben unterstützt werden müssen.

    Hätte im Jahr 1995 jemand prophezeit: "Im Jahr 2020 wird man euch israelbezogenen Antisemitismus vorwerfen, wenn Ihr zu einer Partei des osloer Friedensprozesses noch gute Beziehungen unterhaltet" so hätte man das damals für völlig absurd gehalten. Es ist schon atemberaubend, wie sich der Diskurs seitdem zugunsten der extremen Rechten verschoben hat, und wie deutsche Politik dem gefolgt ist.

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Die Jusos, das sind die, die den Sozialismus wollen und sich auf dem Weg dahin von Microsoft, McDonalds usw sponsern lassen.

  • Christoph Dinkelaker erlebt also in den letzten Jahren in der deutschen Parteipolitik eine zunehmende Fokussierung auf eine verbale Solidarisierung mit Israel, während palästinensische Perspektiven seiner Ansicht nach außer Acht gelassen werden. Vielleicht hätte der Herr Experte mal hin und wieder Fernsehen gucken sollen. Dann hätte er den Auftritt von Martin Schulz in der Knesset zu Beginn seines Europawahlkampfes mitbekommen. Oder den Affront von Außenminister Gabriel bei seinem Staatsbesuch in Israel, als er unbedingt mit 2 sog. NGOs (B'Tselem und Breaking the Silence) zusammenkommen wollte, die aus Europa finanziert werden und Israel alle möglichen Verbrechen unterstellen, und dafür in Kauf nahm, dass Netanjahu ihn nicht empfing.

    Auch den Druck der Bundesregierung auf andere europäische Staaten, ihre Botschaften nicht wie durch USA nach Jerusalem zu verlegen, hätte der Experte zur Kenntnis nehmen können. Ebenso die im Sommer 2020 vom Bundestag beschlossene Warnung vor einer Annexion von Gebieten des Westjordanlandes durch Israel, die Israel noch gar nicht beschlossen hat. Ganz zu schweigen vom Abstimmungsverhalten der Bundesregierung in den Vereinten Nationen, wenn es darum geht, Israel zu verurteilen; da ist von einer Solidarisierung mit Israel nichts zu bemerken.

    Und was an der derzeitigen Politik der Fatah und ihrer Jugend "sozial", "demokratisch" oder "sozialdemokratisch" sein soll, erklärt uns Herr Dinkelaker auch nicht. Es ist kein rechtfertigender Grund dafür erkennbar, dass die Jusos die Fatah-Jugend hofieren. Die Fatah steht für ein diktatorisches Regime, das seit über 10 Jahren keine Wahlen zulässt, die von ihm regierte Bevölkerung zum Hass auf Israel aufstachelt und Terroristen belohnt. Wieso diese Partei für die von den deutschen Parteien erträumte "2-Staaten-Lösung" ein tauglicher Verhandlungspartner Israels sein soll, erschließt sich nicht.

    • @Budzylein:

      "da ist von einer Solidarisierung mit Israel nichts zu bemerken." Tja Budzylein, niemand hat die Freiheit alles zu tun und zu lassen was ihm beliebt, wenn es gg die Interessen anderer verstößt, auch Staaten nicht. Warum sollte es für dieses Handeln Israels bedingungslose Solidarität geben? Und wer mit dem Finger auf andere zeigt, muss damit klar kommen wenn der Finger zurückzeigt. wer, zu Recht fragt, wie demokratisch die Fatah ist, sollte sich nicht wundern wenn die Frage zurückkommt, wie demokratisch Israel noch ist, "jüdisch- demokratisch" ist leider nicht demokratisch, wenn es noch einen arabischen Bevölkerungsteil gibt. Ein Staat für alle seine Bürger, das wäre demokratisch. von der Joint List wurde in der Knesset beantragt einen so lautenden Passus in das Nationalstaatsgesetz aufzunehmen, es wurde abgelehnt. Es ist kein Interesse der Mehrheit der Knesset erkennbar, den arabischen Bevölkerungsteil in seinen Rechten und Interessen dem jüdischen Bevölkerungsteil gleichzustellen. Und das ganz unabhängig davon was die Hamas oder die Fatah gerade meint. Für die Palästinenser v.a. in der Westbank ist Israel die Diktatur. Das sieht auch Israel ganz offiziell so. Und der Likud und einige seiner Koalitionspartner vom rechten Rand sind völlig unabstreitbar zum Hass - auf die Palästinenser- aufstachelnde Parteien. Und mit denen arbeitet die dt. Politik ja auch zusammen. Letztlich müssen Israel und die Palästinenser Frieden miteinander schließen, Frieden schließt man nur mit dem Feind, wie das oft bemühte, aber wahre, Sprichwort geht, also kann man sich nicht statt der Fatah oder der Hamas einfach jmd anders suchen mit dem man Frieden schließt. Aber das Problem ist ja nicht allein der mangelnde Wille v Fatah u Hamas zum Frieden- Israel möchte einfach das ganze Land zw Meer und Jordan, und baut seine Siedlungen danach, so behandelt man nirgends auf der Welt jmd mit dem man Frieden schließen will, so behandelt man nur jmd den man unterwerfen will. Nichts anderes will Israel

      • @ingrid werner:

        Jüdisch und demokratisch ist ein Erfolgsmodell. Alle Staatsbürger Israels haben gleiche Rechte und genau deswegen ist eine *arabische* Vereinigte Liste bei der Parlamentswahl im September 2019 drittstärkste Kraft geworden.



        Das Modell ist auch in Deutschland erfolgreich. Die Bundesrepublik ist sowohl deutsch, als auch demokratisch. In ihr leben aber durchaus ethnische Minderheiten, wie die Sorben in der Niederlausitz oder die Dänen in Schleswig-Holstein. Die von ihnen gewählten Bundestagsvertreter sitzen trotzdem in einem Gebäude, über dem auf einer Länge von 16 Metern in 60 Zentimetern großen Brozelettern steht: "DEM DEUTSCHEN VOLKE".

  • Seien wir fair und hören wir auf Genosse Kevin:

    www.facebook.com/w...v=1587613941427306

    Er hat recht.

    • @Jim Hawkins:

      schön, da sind wir uns doch mal einig.

    • @Jim Hawkins:

      mal sehen ob die SPD nun die Medizin selbst verpasst bekommt, die sie mit der Anti- BDS- Resolution geholfen hat anzurühren, oder es noch mal schafft die Jugend vorzuschieben um sie zuerst an ihr auszuprobieren.

      • @ingrid werner:

        Die SPD zittert bestimmt schon vor der Medizin.

        Was mich immer wieder erstaunt ist, dass euch Israel-Kritikern alles wurscht ist.

        Es geht um die Rechte der Palästinenser, sagt ihr. Wer sie in erster Linie mit Füßen tritt, das verschweigt ihr.

        Ihr würdet jubeln, könnte die Hamas ein größeres Gebiet terrorisieren. Wie es den Leuten dann dort geht, interessiert euch nicht.

        • @Jim Hawkins:

          Beantworten Sie doch 3 einfache Fragen:

          Welche der beiden Seiten Israel und die Palästinenser sind im Verhältnis zueinander die menschenrechtsfreundlicher und demokratisch agierende?

          Welche der beiden Seiten hat im Verhältnis zueinander und auf internationalem Parkett die größere Macht, das größere Gewicht?

          Wie manifestiert sich der Wille Israels und andererseits der Palästinenser zu einem ausgeglichenen, beide Seiten zufriedenstellenden Friedensabkommen zu gelangen?

    • @Jim Hawkins:

      Durch das Geschrei rechter Medienkonzerne wie Ruhrbarone oder NZZ sollten die Jusos sich eher bestätigt fühlen.

    • @Jim Hawkins:

      ja. und?



      da kann mer ma sehen, wer alles voneinander abschreibt.



      ps: das mit der landkarte finde ich immer wieder putzig. weil: die landkarte auf den sammelbüchsen von KKL sieht genauso aus, blau-weiß von the river to the sea. und das ist nicht die einzige israelische karte, in der die green line verschwunden ist.

      • 9G
        90564 (Profil gelöscht)
        @christine rölke-sommer:

        hätten sie dazu einen link? ich finde das auf der kkl-website nicht



        www.kkl-jnf.org/



        der unterschied eines offiziellen wappens und einer sammelbüchse ist ihnen geläufig?

        • @90564 (Profil gelöscht):

          Auf der offiziellen Website kommt die "blaue Büchse" ohne jede Gebietsbegrenzung aus: jnf-kkl.info/werde...r-jnf-kkl-familie/

          • 9G
            90564 (Profil gelöscht)
            @Linksman:

            oh, ganz ohne jegliche grenzen, was für ein eindeutiger "beweis", dass der kkl die westbank schon einverleibt hat, und gaza, und den sinai und syrien und jorda ..... sie merken es wirklich nicht, das die green-line vielleicht einfach darum verschwunden ist, weil auf der abbildung einfach keinerlei gebietsgrenzen dargestellt sind und sich daraus kein anspruch auf syrien oder jordanien ergibt, wie äh ..... "israel-kritisch" kann man sein? da werden haltlose behauptungen in die welt gesetzt und als beleg kommt dann sowas, wahnsinn

            • @90564 (Profil gelöscht):

              ichsachmaso: im besten falle denkt bei KKL keine einer drüber nach, wie bei anderen das design der spendenbüchse ankommt... vielleicht sagt mann sich auch, dass heute nicht falsch sein kann, was bei der ersten spendenbüchse richtig war, und übersieht einfach, dass mit dem design auch ein anspruch auf gebiete formuliert wird.



              KKL tut dies ja vergleichsweise dezent. die jewish defense league hatte mal ne karte, die reichte vom Nil bis zum Euphrat... denken Sie sich selber aus, was das zu bedeuten haben könnte.



              ich wüßte nun gern, warum dies nicht kritisch angemerkt werden darf, die fatah-jugend aber prügel dafür bekommt, dass sie ein historisches palästina im wappen hat.

          • @Linksman:

            da ist sie ja doch! - danke fürs suchen.

        • @90564 (Profil gelöscht):

          klar finden Sie das heute auf der website nicht mehr. mann hat's ihnen ja oft genug um die ohren gehauen - also haben sie ein bißchen aufgeräumt.



          aber machen Sie sich nix draus. den zionistischen anspruch auf ganz Palästina finden Sie allerorten, auch in landkarten.

  • 9G
    90564 (Profil gelöscht)

    wenn man zutreffenderweise, wie die jusos, die antisemitische bds-bewegung auch als antisemitisch versteht, was man muss, wenn man das existenzrecht israels verteidigen will, kann man sich nicht bedingungslos solidarisch mit der abbas-jugend solidarisieren, ganz einfach und logisch eigentlich.



    ps die intifada al aksa wurde von dem fatah-mann arafat vorbereitet und angeführt, abbas, der seit über einem jahrzehnt keine wahlen mehr erlaubt, ist ein fatah-mann, wer nach der intifada al aksa die fatah noch als "friedenspartner" betrachtet, hat ganz offensichtlich die augen ganz ganz fest zugedrückt, die fatah hätte einen palästinensischen staat wirklichkeit werden lassen können, wenn sie auf die vernichtung israels verzichtet hätten, die fatah-jugend hat nicht ohne grund gross-palästina auf ihrem wappen