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Experte über Arbeitsmigration„Kanada macht es besser“

Das geplante Einwanderungsgesetz hat Mängel, sagt der SPD-Migrationsexperte Aziz Bozkurt. Er fordert eine wirkliche Willkommenskultur.

Zuwanderung gegen Fachkräftemangel: Medizinisches Fachpersonal mit Migrationshintergrund
Simone Schmollack
Interview von Simone Schmollack

taz: Herr Bozkurt, am Montag hat sich die Koalition auf Eckpunkte für ein Fachkräftezuwanderungsgesetz geeinigt. Ist das jetzt das glückliche Ende einer glücklosen Debatte?

Aziz Bozkurt: Auf der symbolischen Ebene ist erst einmal ein erfolgreicher Endpunkt gesetzt.

Das Gesetz bedient Symbolpolitik?

Symbolisch meint, dass die SPD die Union nach längerer Diskussion zum Einlenken gebracht hat und jetzt endlich ein Eckpunktepapier vorliegt. Aber inhaltlich reizt das Papier noch nach lange nicht das aus, was es ausreizen könnte.

Weil das Gesetz vorrangig Hochschulkader und Facharbeiter*innen mit einer festen Jobzusage einlädt, nach Deutschland zu kommen?

Es ist fraglich, ob die hiesige Wirtschaft dadurch jene Fachkräfte bekommt, die sie braucht. Auch frühere Werbeversuche wie mit der Bluecard haben nicht funktioniert. An dieser Stelle geht das Gesetz also nicht weit genug.

Jetzt dürfen allerdings Menschen für sechs Monate herkommen und einen Job suchen.

Das ist ein Fortschritt, ja.

Im Interview: Aziz Bozkurt

36, ist Informatiker und Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD.

In dieser Zeit dürfen sie allerdings keine Sozialleistungen beziehen.

Der permanente Verdacht, dass Menschen einzig wegen Sozialleistungen nach Deutschland kommen, ist alles andere als eine Willkommenskultur. Das Einwanderungsland Kanada macht es besser. Dort werden ausländische Arbeitskräfte als „New Canadian“ willkommen geheißen, nach drei Jahren Leben und Arbeit dort bekommen sie die kanadische Staatsbürgerschaft. Dort ist Einwanderung mehr als nur der Blick auf den Arbeitsmarkt.

Kanada steuert die Zuwanderung mit einem Punktesystem: Wer die Sprache beherrscht und einen Ort mit einem großen Fachkräftemangel wählt, erhält bessere Punkte. Sollte das Deutschland das übernehmen?

Nein, ich halte ein System, das Menschen nach Punkten bewertet, für fragwürdig. Für Deutschland ist das kein Vorbild.

Der umstrittene sogenannte Spurwechsel – gut integrierte Geflüchtete mit Job werden nicht abgeschoben – ist im Eckpunktepapier der Koalition nicht enthalten. Wie kann die SPD, die den Spurwechsel dringend wollte, das Gesetz als Punktsieg verkaufen, wenn sich Innenminister Horst Seehofer und seine CSU wieder einmal durchgesetzt haben?

An dieser Stelle haben sich weder Union noch SPD durchgesetzt. Beim „Spurwechsel“ sind die Eckpunkte so schwammig formuliert, dass es Interpretationen zulässt. Jetzt ist zum Beispiel von einem „verlässlichen Status“ die Rede. Das wirft neue Fragen auf.

Wie wollen Sie der Bevölkerung vermitteln, dass eine gut integrierte Afghanin mit Job in der Altenpflege abgeschoben wird, während dieselbe Fachkraft aus anderen Ländern angeworben wird?

Das ist in der Tat nicht vermittelbar, und das wird die SPD im Gesetzesverfahren im Blick behalten müssen.

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12 Kommentare

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  • Herr Bozkurt kann sich aber auch nicht entscheiden.

    Erst preist er die kanadische Willkommenskultur, dann will er das Punktesystem aber nicht. Dabei liegt ein Zusammenhang nahe.

    Er will den Blick auf Einwanderung nicht nur mit Fokus auf den Arbeitsmarkt eingeengt wissen, genau das tut Kanada aber.

    Herr Bozkurts Konzept wirkt sehr inkohärent.

  • Ein weiteres Vorteil vom kanadischem Arbeitsmigrationsystem besteht darin, dass, insofern das Ankommen ziemlich leicht ist (Arbeits-Aufenthalterlaubnis), die Migration in beiden Richtungen vorkommt, ein- und aus-, also, mit zahlreichen vorübergehenden Einwanderungen. Dann ziehen die Leute in Ursprungsländern mit Ausbildung und Geld zurück, was diese Länder stärker macht und die "soft power" und den kanadischen Einfluss verbessert : diplomatisch, kulturell, wirtschaftlich. So macht zb Kanada (durch Quebec) erhebliche Fortschritte auf Kosten Frankreichs in der französichsprechenden Welt. Wenn nicht autoritär gehemmt sind immer Migrationsbewegungen hin und her Bewegungen.

  • Die Migrationspolitik Kanadas (36,7 M. Einwohner) hat für die Aus- und Einwanderer und für die Wirtschaft das Vorteil, dass sie ziemlich viele Leute ankommen lässt: durchschnittlich jedes Jahr etwa 250 000 Menschen, ob Asylsuchende, Fachkräfte oder Verwandte früherer eingewanderten. Jährlich werden etwa 150 000 einwanderer/inen Staatsbürger/inen Kanadas. Das Punktssystem ist aber tatsächlich nicht perfekt, und nicht nur aus prinzipiellen Gründen, wie Herr Bozkurt zu meinen scheint. Das System ist überaus kompliziert und für die Bewerber kostenaufwendig. Es gibt sogar quoten für verschiedene Herkunftsländer in den Quoten die bestimmen, wieviel Leute sich in jeder Katégorie bewerben dürfen! Und die Provinzen/Länder haben zum Teil verschidene Punktsysteme. Ich bezweifle, dass man so minimale Gerechtigkeit und minimale Kohärenz erreicht, und auch, dass menschliche und soziale Erwägungen in dieser Verwaltung durch Ziffern genug in Betracht kommen.



    Hier Beispiele Auswanderungsführer in verschiedenen Sprachen:



    immigrantquebec.com/fr/consulter/guides

    • 8G
      83492 (Profil gelöscht)
      @Eulenspiegel:

      "Ich bezweifle, dass man so minimale Gerechtigkeit und minimale Kohärenz erreicht, und auch, dass menschliche und soziale Erwägungen in dieser Verwaltung durch Ziffern genug in Betracht kommen."

      Ich denke nicht, dass "Gerechtigkeit" gegenüber den Bewerbern Ziel dieser *Einwanderungs*regeln ist. Motivation dürfte eher sein, die für die Provinz nützlichsten Personen zu wählen. Anders als Deutschland scheint Kanada Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen und die aus humanitären Gründen strikt zu trennen. Für die gelten dann ganz andere Regeln.

      • @83492 (Profil gelöscht):

        "Anders als Deutschland scheint Kanada Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen und die aus humanitären Gründen strikt zu trennen. Für die gelten dann ganz andere Regeln."



        Ist nicht so einfach. Bis auf besondere Massnahmen, die bei Krisen zusätzliche Aufnahmen asylsuchender Menschen erlauben, sind Fluchtlinge eine Kategorie im Punktsystem. Andere Kategorien sind zb Fachkräfte, Unternehmer, Familienmitglieder eingewanderter Menschen. Das Punktsystem funktionniert am Ende wie eine Lotterie für alle Kategorien, nicht wie eine gezielte Verwaltung, die das Punktsystem scheinbar herstellt. Die Bereitschaft für die Aufnahme ist aber gross, weil die Gesellschaft sich grundsätzlich und langfristig als Einwanderungsgesellschaft versteht. Das ist Identität und Wert. Regierungspolitik hat für 2018-2020 das erklärte Ziel, eine Millionen Einwanderer aufzunehmen. Da der biologische Wachstum seit den 1970 minimal ist, sind alle bewusst, dass die Zukunft vom Land von der Migration abhängt, nicht nur wirtschaftlich. Der Anteil der Migration im Bevölkerungswachstum entspricht 80%.

        • 8G
          83492 (Profil gelöscht)
          @Eulenspiegel:

          "Bis auf besondere Massnahmen, die bei Krisen zusätzliche Aufnahmen asylsuchender Menschen erlauben, sind Fluchtlinge eine Kategorie im Punktsystem"

          Ah, war mir so nicht klar. Wieder was gelernt. Danke.

  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    Die Migrationspolitik in Kanada hat zwei Seiten. Vielleicht ist die liberale Seite der Bevölkerung vermittelbar, weil es auch die andere Seite gibt:

    "Canada is among the few countries in the world to rely on an immigration detention system with no upper limits."

    www.theguardian.co...igration-detention

    • @83492 (Profil gelöscht):

      Es gibt keine "liberale" Seite der Bevölkerung, weil die Migration allgemeine zustimmung findet. Alle wissen, sie sei notwendig und die Identität vom Land gründet sich in der Aufnahme. Viele Bürger sind übrigens selbst Einwanderer/inen. Ich weiss, dass es über die Grenzen ihre Verstandsmöglichkeiten geht, aber so ist es. Streit gibt's nur über die Duldung abweichender kultureller Gebräuche.

      • 8G
        83492 (Profil gelöscht)
        @Eulenspiegel:

        "Streit gibt's nur über die Duldung abweichender kultureller Gebräuche."

        Wenn dieser Streit zugelassen und zivil ausgetragen wird, sind die Kanadier zumindest da den Deutschen voraus.

        "Ich weiss, dass es über die Grenzen ihre Verstandsmöglichkeiten geht, aber so ist es."



        Vielleicht sollten Sie etwas weniger über die Verstandesmöglichkeiten von Personen spekulieren, die Sie nicht kennen.

        • @83492 (Profil gelöscht):

          Kenne ich nicht, habe aber oft gelesen und eine ständige Bemühung gemerkt, anständig und etwas links zu bleiben und gleichzeitig besorgt, auf Umwege die Eindeichung der Einwanderung zu verteidigen. Also, wenigstens Angst, wenn nicht Abneigung vor diesen (zu) vielen afrikanischen Menschen, die sich mit uns Einheimischen mischen könnten. Pauschale Vorurteile nenne ich Vertandsmöglichkeitsgrenze.

  • Wir sollten es wie Kannada machen, denn Kanada macht es besser. Kanada macht es mit Punktesystem fragwürdig und schlechter, deshalb sollten wir es nicht so machen ... solchen Expertenrat braucht kein Mensch.

    • @TazTiz:

      so ist es.

      Bei einer Rosinenpickerei gibt es immer einen Kuchen der irgendwo etwas schmackhafter ist.