Experimentelle Musik aus Berlin: Wildes Zeug

Der Neuköllner Club Sameheads und das Berliner Musikprojekt Die Wilde Jagd mixen krude Klänge mit Clubmusik und seltsamen Sagen.

Fünf alienhafte Wesen sitzen und liegen auf Gegenständen vor einem bunten psychedelischen Hintergrund

Cover der Platte „Zeug!“ von Sameheads Records Foto: Artwork by Crosslucid Hair

Der Neuköllner Club Sameheads ist nicht nur für seinen avantgardistischen Sound und seine rauschenden Feste bekannt, sondern auch für das obskure Zeug, das dort herumsteht und die Location wie eine begehbare Installation wirken lässt.

„Zeug!“ heißt folgerichtig ein Sampler, den die Sameheads-Belegschaft veröffentlicht hat. Es ist der dritte in einer Reihe von clubeigenen Kompilationen, auf denen befreundete Künstler:innen zu hören sind. Vier Tracks enthält „Zeug!“, und die Besetzung hat es in sich. So ist beim ersten Song gleich mal der rumänische Synthie-Frickel-Pionier Rodion G.A. beteiligt, er schickt uns in einem gemeinsamen Track mit dem belgischen Produzenten Mameen 3 in eine ferne Umlaufbahn, in der sich Krautrock à la Kraftwerk, Disco und Achtziger-Pop auf wundersame Weise vereinen.

Auch hinter dem Duo Shakey verbergen sich zwei in der experimentellen und elektronischen Musikszene bekannte Namen: Silvia Kastel und Wilted Woman gastierten in den vergangenen Jahren regelmäßig in Berliner Clubs, Kastel überzeugte zuletzt etwa mit ihrem Album „Air Lows“.

In dem gemeinsamen Stück “Steel Dub“ zeigt sich bei beiden eine ausgeprägte Liebe zu Synthesizern; der Sound des Duos wären mit den Attributen glibberig, fluide und wabernd halbwegs zureichend beschrieben.

Various Artists: “Zeug! Sameheads Compilation Vol. 3“ (Sameheads): sameheads.bandcamp.com/album/zeug

Die Wilde Jagd: “Haut“ (Bureau B/Indigo):diewildejagd.bandcamp.com/album/haut

Musik nach einem Gemälde

Zu entdecken gibt es darüber hinaus einen hochgradig tanzbaren Ethno-Elektro-Track von Anatolian Weapons (alias Aggelos Baltas), sowie ein repetitives und perkussives Stück der Produzenten Don’t DJ und Dane Close, die hier unter dem Namen Kreng gemeinsame Sache machen. Das liebevoll gestaltete Artwork mit dem im Club entstandenen Cover-Motiv lohnen die Investition in die Vinyl-Version – ganz abgesehen davon, dass man dem Sameheads auf diese Weise in Corona-Zeiten ein bisschen was in die Kasse spült.

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Avantgardistisches gibt es auch von Die Wilde Jagd zu hören – allerdings auf vollkommen andere Art und Weise. Der eigentümliche Name des Musikprojekts von Sebastian Lee Philipp geht auf die Volkssage der „Wilden Jagd“ zurück – und auf ein actionreiches, apokalyptisches Ölgemälde des norwegischen Malers Peter Nicolai Arbo, das diesen Mythos abbildet („Åsgårdsreien“, 1872). Seine Musik bezeichnet Philipp als eine Art Soundtrack zu diesem Bild.

Wie passend diese Einschätzung ist, das zeigt sich auf dem dritten Album des in Berlin ansässigen Musikers, das den schlichten Titel „Haut“ trägt. Denn die vier Stücke darauf – zwischen neun und 14 Minuten lang – sind ähnlich verschlüsselt, vieldeutig und abenteuerlich wie das Gemälde.

Ihre Ursprünge hat die Musik im Krautrock, in der Kosmischen Musik und in der Düsseldorfer Schule – kennengelernt haben sich Philipp und Wilde-Jagd-Produzent Ralf Beck auch im Düsseldorfer „Salon des Amateurs“. Für „Haut“ wären diese Referenzen aber eine zu ungenaue Einordnung.

Da die Kulturbeilage taz Plan in unserer Printausgabe derzeit pausiert, erscheinen Texte nun vermehrt an dieser Stelle. Mehr Empfehlungen vom taz plan: www.taz.de/tazplan.

Scratches und Sagen

Im 10-Minuten-Stück „Himmelfahrten“ etwa finden sich Anleihen an indische und fernöstliche Rhythmen genauso wie 80s-Synthesizer-Klänge, technoide genauso wie rockige Passagen, und einige Teile erinnern gar an Scratch-Sounds im HipHop. Dazu kommt ein im Wortsinne sagenhafter Text, gesungen von Philipp und Gastsängerin Nina Siegler: „Wenn der Aal im großen Wagen/ Und der Bär im siebten Haus/ Woll’n wir ihre Früchte tragen/ Ihnen nur am Nächsten sein“.

Die Texte erinnern allesamt an die Lyrik längst vergangener Epochen, im abschließenden „Sankt Damin“ reimt Philipp: „Voll Kriegeslust/ Mundet der Liebeskuss/ Tief ist sein Fieberfluss/ Trink auf, trink auf“. Diese altertümliche Sprache kann befremdlich wirken, zumal ihr eine hochaktueller Musikentwurf gegenübersteht, ein Mix aus Field Recordings, Ambientklängen, Breakbeats, Dub-Sounds sowie experimentellen und groovigen Percussions und Drums, die von Schlagzeuger Ran Levari eingespielt wurden.

Aber diese Lust am Geheimnisvollen, am Gegensätzlichen und an der Irritation sind es dann auch, die „Haut“ so interessant machen.

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