Ex-VW-Designer über Kunst und Autos: „Ich erlaube mir den Luxus, Nein zu sagen“
Seifenkiste statt Überholprestige: Der Designer Stefan Seiffert verabschiedete sich von der Autoindustrie, um Herzensprojekten nachzugehen.
Interview Foto Miguel Ferraz
taz: Ist es ein Auf- oder Abstieg, statt eines Smarts Seifenkistenautos zu entwickeln, Herr Seiffert?
Stefan Seiffert: Weder noch. Viele meiner alten Berufskollegen würden denken, es sei ein Abstieg. Für mich ist es eine Verbesserung, raus aus der Autoindustrie.
Inwiefern?
Weil ich meine Arbeitszeit nicht mehr von der Stechuhr kontrollieren lassen muss und weil ich selbst entscheide, was ich entwickeln möchte. Es ist eine Schande, was zurzeit gebaut wird und wie dabei die Gesetze der Natur missachtet werden: viel zu große und schwere Autos mit einer dekadenten Ignoranz der Aerodynamik. Und bei den Verbrauchswerten wird schon lange gelogen.
Haben Sie sich auf Ihrem Weg von Statusgedanken verabschiedet?
Ich war nie statusinteressiert. Mein Vater war Künstler und Bildhauer, ich hatte Hippie-Eltern und bin in einer Gemeinschaft von Freunden und Familie groß geworden. Angenehm in der Autoindustrie war, viel mehr Geld zur Verfügung zu haben. Ich war zum Schluss Leiter der Konzeptcar-Abteilung – das klingt toll, aber die Visitenkarten habe ich trotzdem eher ungern verteilt.
Was das für Ihre Eltern nicht befremdlich: Der Sohn geht in die Autoindustrie?
57, studierte Industriedesign in Wuppertal. Er arbeitete sechs Jahre bei VW in der „Advanced Design“-Abteilung. Nach dem Aus für die Entwicklung eines Öko-Autos verließ er VW. Heute ist er freier Designer in Hamburg-Wilhelmsburg..
Die haben sich schon gefreut und waren stolz, wenn ich in den Medien auftauchte. Mein Vater und seine Brüder waren auch alle Rennfahrer und Autonarren. Es waren zwei Welten: Rennwagen und die langweiligen Straßenautos. Zuhause gab es einen Pool von Autos, darunter auch Sportwagen und ein Beachbuggy, die jeder benutzen konnte. Deswegen kenne ich diese „An meinen Lotus darf kein Kratzer kommen“-Mentalität nicht.
Ihre Uni-Abschlussarbeit in den 80ern war ein Solarauto. Wollten Sie da Ihre Autoliebe und Umweltschutz miteinander versöhnen?
Sogar mein Vater hat das zuerst nicht verstanden, er war sehr auf die Motorleistung fixiert. Ich war begeistert von Autos, aber ich dachte, dass es so nicht weitergeht, dass die Straßen das Leben für die Menschen wegnehmen. Ich wollte tatsächlich diese beiden Welten zusammenbringen.
Glauben Sie immer noch, dass es möglich ist?
Heute ist ja alles schlimmer geworden. In den 80ern war ich ganz sicher, dass in zehn Jahren jeder neben seinem Fahrrad ein Solarmobil haben wird. Es ist genau das Gegenteil: Wir haben heute Autos mit 300 bis 500 PS, was überhaupt nicht nötig ist. Diese SUV-Bewegung ist für mich ein Stich ins Herz; dass die Leute diese Status-Trümmer durch die Gegend fahren. Trotzdem bin ich nicht ohne Hoffnung.
Worauf beruht die?
Ich habe meinen Solartraum 20 Jahre lang begraben. Jetzt ist so klar, dass der gegenwärtige Verkehr nicht funktioniert, jetzt könnte man sich mal wieder damit beschäftigen.
Sie haben noch einmal mit einem Hybridauto experimentiert.
Ich bin dann direkt nach dem Studium zu VW gegangen. Ich konnte wählen und dachte, dass ich dort die neuen Visionen am besten durchsetzen könnte. Alle waren damals noch mit PS und Ideen wie Überholprestige beschäftigt …
… „Überholprestige“, das Wort habe ich noch nie gehört …
… Autos sollten aggressiv aussehen, sodass man sie im Rückspiegel sieht, zittert und rechts rüberfährt. Mein erstes Konzept für ein umweltverträglicheres Auto war der Chico, der sollte als Benziner, Hybrid und Elektro erhältlich sein und wurde Auto des Jahres. Dann kam es zu der Zusammenarbeit mit Swatch, dem Uhrenhersteller, der die Autoindustrie revolutionieren wollte. Es sollte ein Swatch-Auto geben, aber dann haben sich VW und Swatch zerstritten. Piech, der damals kam, sagte, es ist alles Quatsch mit dem Chico, dabei hatte das EU-Parlament schon 50 bestellt. Dann habe ich mich verabschiedet.
Schmerzt es immer noch, wenn eine Idee so kurz vor der Verwirklichung scheitert?
Die ersten Jahre hat es mich richtig runtergezogen. Ich wollte nicht mehr in der Autoindustrie arbeiten, habe es nachher doch wieder gemacht. Jetzt tut es nicht mehr weh, aber es bleibt bedauerlich. Wir könnten hier seit 20 Jahren mit Hybrid- und Drei-Liter-Autos herumfahren, es gibt die technischen Möglichkeiten. So wie es Velomobile gibt, Fahrräder mit aerodynamischer Verkleidung, aber kaum jemand benutzt die.
Wenn ich auf Ihren Lotus gucke, der drüben steht: Wie lässt sich die Liebe für Rennautos mit dem Sinn für Ökologie vereinbaren?
Autorennen sind für mich die Speerspitze der Autoentwicklung. Rennwagen sind der Urkern der Niedrigverbrauchs-Klasse.
Das ist erklärungsbedürftig.
Rennwagen haben ein Limit, damit sie vergleichbar sind, das heißt, sie haben eine bestimmte Leistung und eine bestimmte Spritmenge und damit will ich gewinnen. Das Ergebnis ist, dass ein Rennwagen hocheffizient ist und immer leicht. Und Leichtbau und Aerodynamik sind der Schlüssel für wenig Verbrauch.
Die 4-Liter-Klasse ist im Rennsport eher rar.
Natürlich gibt es die, die meinen, sie müssten mit 1.000 PS rumfahren, aber es gibt ja zig verschiedene Klassen. Ein typischer Porsche muss heute 300 PS haben. Der Lotus dort drüben hat 78 PS und braucht nur ein Drittel des Sprits, weil er nur 600 Kilo wiegt, das ist ein Drittel des Porsche-Gewichts.
Heute entwickeln Sie nicht nur Autos, sondern auch Stühle oder ein Frisurwaschbecken. Wie ist die Nicht-Auto-Welt in Ihren Blick gerückt?
In meiner Familie ging es immer um Architektur und Kunst und ich interessiere mich für all diese Dinge. Und wenn ich mich noch einmal entscheiden müsste, würde ich Modedesigner werden. Ich habe mich oft so gelangweilt in der Autoindustrie, dass ich in jeder freien Minute Modezeichnungen gemacht habe. Ich sammle High Heels, ich habe Schuhkollektionen entworfen, Möbel, Kinderspielzeug und all das interessiert mich mit brennendem Herzen. Mein Problem ist auch, dass ich zwischen den Stühlen sitze.
Inwiefern?
Bei dem High-Heel-Stuhl zum Beispiel: Ein Künstler sagt, das ist keine Kunst, ein Designer sagt, das ist kein Design.
Warum?
Weil es zu verspielt ist. In London ist das kein Problem, aber hier in Deutschland finden die Designer, es sei zu wenig Bauhaus, die Form folgt zu wenig der Funktion. Dabei ist der Stuhl erstaunlich bequem.
Wie lebt es sich im Dazwischen?
Ich brauche nicht so viel Zustimmung. Es interessiert mich, die Grenzen zu übertreten, ich will nicht der brave Designer sein. Natürlich kann ich auch einen normalen Stuhl bauen, aber ich mache lieber diese nicht fassbaren Projekte. So wie das Waschbecken, das ich für ein Paar entwerfe, das in einem Verein für besonders lange Haare ist: 50 Prozent des Volumens dieses Objekts ist Skulptur. Ist das jetzt Kunst oder ein Waschbecken? Wahrscheinlich beides oder gar nichts.
Und jetzt bauen Sie mit den Seifenkisten wieder Autos.
Da hatte ein Fernsehsender recherchiert, weil er fand, mein Name klänge gut in Verbindung mit Seifenkisten. Dann habe ich das Ding vor zwei Jahren gebaut und weil es so eingeschlagen hat, baue ich sie jetzt in Kleinserie.
Was für eine Szene ist die Seifenkisten-Welt?
Die Hauptmotivation ist, ihren Kindern eine Freude zu machen und dass die Kinder die Kisten selber bauen. Das hat leider nachgelassen.
Und jetzt beauftragen die Eltern Sie?
Die meisten Seifenkisten verkaufe ich als Rohlinge, das finde ich beruhigend. Es gibt auch welche für Erwachsene, die fahren 80 bis 100 Stundenkilometer. Sie haben Bremsen – aber weil sie nach einem Reglement von 1928 fahren, haben sie eine Stempelbremse, das ist ein Gummiklotz, der auf den Boden drückt. Das würde ich eigentlich gern ändern.
Freier Künstler, Designer von Möbeln, Mode und Autos – wie sehr müssen Sie das für sich sortieren?
Es ist ein ständiger Kampf und wenn ich nur Möbel designe, Lotus-Fahrzeuge restauriere und Skulpturen schaffe, dann ist das für mich schon eine Reduzierung. Ich wache morgens auf und habe in 30 Bereichen Ideen. Ich mache viele Projekte parallel und dann sagen die Leute: Diesen Stuhl hast du doch schon vor drei Jahren angefangen.
Als ich vor drei Jahren hier war, bauten Sie eine Art Nest auf Stelzen.
Wenn ich nicht auf einer Bananenschale ausrutsche, wird es das Ufo eines Tages geben. Ich habe es vor drei Jahren angezettelt, habe die Finanzierung nicht hingekriegt. Dafür bräuchte ich noch etwa 20.000 Euro für Material und den Ausfall meiner Arbeitszeit. Deswegen mache ich es nebenbei. Das ist der große Nachteil beim Aussteigen, nicht der Statusverlust: Früher habe ich Geld gehabt, aber keine Zeit. Jetzt kann ich mehr über meine Zeit verfügen, habe aber zu wenig Geld. Ich brauche nur eine Jeans, Flipflops und ein Fahrrad, aber meine Visionen brauchen Budget. Zeitweise arbeite ich dann auch wieder für die Autoindustrie.
Wie geschmeidig finden Sie dort wieder hinein?
Ich verhalte mich da konstruktiv. Ich zeichne und ich beteilige mich in Beratungen und bin da dann eher wieder der kritische Typ. Aber ich kann mich natürlich auch wieder komplett in so ein Projekt reindenken. Wenn da jemand sagt „Statussymbol Limousine“, weiß ich, was da wichtig ist und mache es emotionslos.
Da denken Sie auch die Ausstattung des neuen SUVS mit?
Nein, ich erlaube mir den Luxus, bei SUV-Projekten Nein zu sagen.
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