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Ex-Kollege über Anwalt Heinrich Hannover„Er war lebenslustig, witzig, unangepasst, antiautoritär“

Der Anwalt und Kinderbuchautor Heinrich Hannover wäre Ende Oktober 100 Jahre alt geworden. Ex-Kollege Bernhard Docke erinnert an ihn mit einer Lesung.

Heinrich Hannover steht 2015 am Bücherregal mit seinen Kinderbüchern, links oben sein erstes von 1968: „Das Pferd Huppdiwupp“ Foto: Eckhard Stengel/Imago

Interview von

Robert Matthies

taz: Herr Docke, Heinrich Hannover wäre am 31. Oktober 100 Jahre alt geworden. Sie haben mit ihm in seiner Kanzlei zusammengearbeitet. Wie haben Sie ihn kennengelernt und erlebt?

Bernhard Docke: Meine Eltern und die Hannovers waren Nachbarn, ich hatte also schon in den 50er Jahren privaten Kontakt zu Heinrich. Er war für mich in meiner kindlichen Wahrnehmung ein absolut cooler Typ, der sich von vielen eher grauen Adenauer-Elterntypen deutlich unterschied. Er war lebenslustig, witzig, unangepasst, antiautoritär. Als Schüler habe ich ihn Ende der 60er Jahre erlebt, als er die rebellierenden Schüler gegen Knüppel der Polizei verteidigt hat. Er war dann für mich so etwas wie ein Held, ein Vorbild. Er hat mich stark motiviert, selbst Jura zu studieren und mich dann später auch ganz auf Strafrecht zu spezialisieren.

taz: Er war nicht nur ein engagierter Strafverteidiger, sondern auch ein streitbarer Kritiker der Justiz und der politischen Verhältnisse.

Docke: Heinrich war ein rundum Oppositioneller, was die Adenauer-Zeit angeht. Er hat sich aus seiner grundsätzlich pazifistischen Einstellung heraus, die auch biografisch bedingt war, gegen die Aufrüstung gewandt, gegen die Notstandsgesetze, war aufseiten der rebellierenden Jugend, die sich Ende der 60er Jahre gegen den Vietnamkrieg wandte. Er hat dann viele Verfahren gehabt, die einen politischen Einschlag hatten, weil der Staat gegen seine Gegner auch strafrechtlich vorging, Verfahren wegen Widerstands, wegen Landfriedensbruchs und ähnlicher Anklagepunkte.

taz: Darüber schreibt er auch, unter anderem später in seiner Buchreihe „Die Republik vor Gericht“.

Docke: Ja, darin ist der ganze Reigen seiner Verfahren abgebildet. Es ist ein Spiegel der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte, sehr interessant, absolut empfehlenswert. Er war aufgrund der Verfahren, die ihm angetragen wurden, in einer Situation, in der die Tätigkeit als Strafverteidiger und die Tätigkeit als ein politischer Mensch zusammengehörten und zusammenpassten. Das war kein Widerspruch, dass man tagsüber im Beruf A sagt und abends als Privatmensch B, sondern das war aus einem Guss.

Bild: privat
Im Interview: Bernhard Docke

geboren 1955, war Rechtsanwalt und Strafverteidiger in Bremen. Er war in zahlreichen teils spektakulären Strafverfahren auch in den USA tätig. Für seinen Einsatz für Menschenrechte erhielt Docke viele Preise.

taz: Wie passt dieses Kämpferische zum fantasievollen Kinderbuchautor?

Docke: Weil Heinrich sich gegen eine Justiz stellte, die in den 50er und 60er Jahren noch ganz maßgeblich von alten Nazis und dem entsprechenden Gedankengut durchsetzt war, hat er sehr starke Anfeindungen ertragen und aushalten müssen …

taz: … in den 70ern wurde er als „Terroristenanwalt“ beschimpft und erhielt Morddrohungen.

Docke: Da braucht man einen Ausgleich, um sein seelisches Gleichgewicht zu behalten. Und das fand er unter anderem in Kindergeschichten.

taz: Er selbst hatte gemeinsam mit seiner ersten Ehefrau, der Frauenrechtlerin und Historikerin Elisabeth Hannover-Drück, sechs Kinder und trug denen abends Geschichten vor.

Docke: Und irgendwann bekam er die Empfehlung, er solle das doch mal aufschreiben, weil die Geschichten so fantasievoll, so schön sind. Das ist dann quasi sein zweiter Beruf geworden. Heinrich hat 17 Kinderbücher veröffentlicht und hat immer gesagt, dass das eigentlich der schönere Teil seiner beruflichen Tätigkeit war, schöner als die Streitereien im Gerichtssaal. Er hat mal gesagt, dass er tagsüber so viel Aggressionen losgeworden ist, dass er abends ein netter Mensch sein konnte. Das war er auf jeden Fall.

taz: Diese Bücher, ich habe viele von ihnen als Kind gelesen, haben eine ganz klare moralische Haltung. Da geht es um Empathie, um Gerechtigkeitssinn, um kritisches Denken und Hinterfragen. Auch da ist Hannover ein politischer Mensch.

Docke: Die Welt schrieb dazu mal, dass er mit den respektlosen Kindergeschichten die potenziellen Anarchisten von morgen produziert, die dann seine eigenen Klienten werden und für Nachschub sorgen.

taz: Sie haben später gemeinsam mit Hannover in einem Büro gearbeitet.

Docke: Ich habe einen Teil meiner Ausbildung in seinem Büro gemacht und habe dann mit zwei Freunden ein eigenes Anwaltsbüro gegründet, nachdem wir mit der Ausbildung fertig waren. Ein paar Jahre später fragte Heinrich dann: Wollen wir nicht unsere Büros zusammenlegen? Das Angebot haben wir natürlich freudig und stolz angenommen und haben ab Anfang 89 am Wall in Bremen gemeinsam das Strafverteidigerbüro Hannover und Partner betrieben.

Lesung zum 100. Geburtstag

Ein streitbarer Anwalt und Schriftsteller – Heinrich Hannover“: Mo. 10.11., 19.30 Uhr, Bremen, Theater am Leibnizplatz (ausverkauft)

taz: Zum 100. Geburtstag erinnern Sie gemeinsam mit dem Verein Aus den Akten auf die Bühne, der Bremer Shakespeare Company und Ihrem Kollegen Volkert Ohm mit einer Lesung an den „streitbaren Anwalt und Schriftsteller“. Was können wir heute von ihm lernen?

Docke: Wir erleben heute international einen Rückgang von Rechtsstaatlichkeit und einen Rückgang der Konjunktur von Menschen- und Bürgerrechten, einen zunehmenden Autoritarismus in diversen Ländern. Deshalb sind solche Positionen, wie Heinrich Hannover sie vertreten hat, nämlich striktes rechtsstaatliches Denken, wichtiger denn je. Dass man einen eigenen Kompass haben muss, moralisch und ethisch. Dass man gegebenenfalls auch gegen den Strom angehen muss, dass man sich nicht gemein macht mit einer gesellschaftlichen Entwicklung, die immer weiter gen rechts marschiert. Dass man seinen eigenen Kopf behält, seine eigenen Positionen. Und dass man dann auch die Kraft und den Mut hat zu sagen: Nein, das mache ich nicht mit, ich verteidige auch in einer zugespitzten politischen Krisensituation die rechtsstaatlichen Grundsätze und das Grundgesetz.

taz: In der Reihe „Aus den Akten auf die Bühne“, in der Schau­spie­le­r:in­nen der Shakespeare Company historischen Dokumenten in szenischen Lesungen wieder Leben einhauchen, ging es gerade auch um einen Ihrer Fälle. Auch das war ein politischer Fall, auch da ging es um Justizkritik und Aufarbeitung.

Docke: Es ist ein alter Fall von mir, der Fall von Wilma und Oleksa Szwajka. Oleksa war ein nach Bremen verschleppter ukrainischer Zwangsarbeiter, der dann mühsam überlebt und nach dem Krieg eine Bremerin geheiratet hat. Durch die Heirat wurden sie und auch die gemeinsamen Kinder staatenlos gemacht, weil die Bremer Behörde das alte wilhelminische Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht von 1913 zur Geltung gebracht hat, wonach eine deutsche Frau ihre Staatsangehörigkeit verliert, wenn sie einen Ausländer heiratet.

taz: Aber diese Hochzeit fand zwei Wochen nach Inkrafttreten des Grundgesetzes statt.

Docke: Ja, im Juni 1949. Und im Grundgesetz steht in Artikel 16, dass niemand gegen seinen Willen die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren darf, schon gar nicht, wenn er oder sie dadurch staatenlos wird. Aber bei den Bremer Behörden hatte es sich offenbar noch nicht herumgesprochen, dass in Bonn zwei Wochen zuvor eine Verfassung verabschiedet wurde, nach der das, was die praktiziert haben, verfassungswidrig war. Und wir haben nach 40 Jahren vor dem Verwaltungsgericht Bremen erreicht, dass Bremen diesen Fehler schließlich nach vielen Widerständen korrigiert hat und anerkannt hat, dass Frau Szwajka und auch ihre Kinder immer deutsch gewesen sind.

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