Evakuierung aus Afghanistan: Luftbrücke wieder aufgebaut
Die „Kabulluftbrücke“ evakuiert in einem Charterflug 148 Menschen aus Afghanistan. Der Bundesregierung wirft sie Untätigkeit vor.
Über die Evakuierung informierte die Initiative am Dienstag auf einer Pressekonferenz, an der auch mehrere Partnerorganisationen teilnahmen. Kritik übten die Gruppen an den Evakuierungsbemühungen der Bundesregierung, die aus ihrer Sicht bei Weitem nicht ausreichen. „Wir haben diesen Charterflug auch aus Frust organisiert, weil die Bundesregierung ihre Möglichkeiten nicht genutzt hat, und das wollten wir aufzeigen“, sagte Luftbrücke-Sprecher Ruben Neugebauer. Die Mitglieder der Initiative würden die Evakuierungen größtenteils ehrenamtlich in ihrer Freizeit organisieren und über Spenden finanzieren. Man erfülle damit eine Aufgabe, für die eigentlich der Staat zuständig sei.
Während der militärischen Luftbrücke nach dem Fall Kabuls im August hatte die Bundesregierung rund 5.300 Menschen in Sicherheit gebracht. Wie viele Menschen noch in Afghanistan oder einem Nachbarstaat festsitzen, und eine Aufnahmegenehmigung für Deutschland haben, ist schwer zu sagen. Aus Kreisen der Bundesregierung wird die Zahl auf über 20.000 geschätzt.
Die Mehrheit dieser Leute steht auf der sogenannten Ortskräfteliste, die das Innenministerium und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemeinsam führen. Diese Menschen haben für deutsche Institutionen in Afghanistan gearbeitet. Die Liste wird weiter fortgeschrieben, die Anerkennung als Ortskraft läuft laut Betroffenen aber oft schleppend.
Daneben führt das Auswärtige Amt eine Liste mit besonders gefährdeten afghanischen Staatsangehörigen. Darunter befinden sich Journalistinnen, Richter, Menschenrechtsaktivisten – Menschen also, die für die Demokratie in Afghanistan gekämpft haben und unter den Taliban als besonders gefährdet gelten. Auf dieser Liste befinden sich gut 2.500 Namen. Sie wurde trotz heftiger Kritik von Menschenrechtsorganisationen Ende August geschlossen, es kommen also keine weiteren Namen mehr darauf.
Landweg und Charterflüge
Die Bundesregierung hatte im August zugesagt, sich auch nach dem Ende der militärischen Evakuierung um Ausreisemöglichkeiten für die anerkannten Menschen zu kümmern. Nach Angaben des Außenministeriums ist seitdem 2.500 weiteren Menschen die Ausreise auf dem Landweg gelungen und 700 seien auf Charterflügen evakuiert worden, die die Bundesregierung oder Partnerstaaten organisiert hatten. Die Kabulluftbrücke hatte nach eigenen Angaben vor ihrem eigenen Charterflug vom Wochenende mehr als 600 Menschen in Sicherheit gebracht, vor allem über den Landweg und auf Linienflügen.
Ungewöhnlicherweise nahm an der Pressekonferenz am Dienstag auch ein Vertreter der Gegenseite teil: Die Kabulluftbrücke hatte Außenamtssprecher Christofer Burger eingeladen und dieser stellte sich der Kritik. „Kritik muss man sich als Regierung immer gefallen lassen. Ich nehme das alles mit“, sagte er, bat aber auch um Verständnis für die unterschiedlichen Rollen. Organisationen aus der Zivilgesellschaft könnten manchmal mehr Risiken auf sich nehmen als die Bundesregierung. „Wir können es uns nicht leisten, Brücken abzubrennen.“
So müsse die Bundesregierung den Transitstaaten versichern, dass sie nur Menschen ausfliegt, denen sie tatsächlich die Aufnahme zugesagt hat und die somit auch nach Deutschland weiterreisen werden. In der Vergangenheit seien in Flügen anderer Staaten oder Organisationen aber auch andere Personen mitgeflogen – sie hatten offenbar das Bodenpersonal bestochen. Die Bundesregierung habe erst ein Verfahren organisieren müssen, dass Korruption am Boden ausschließt. Jetzt, wo das System stehe, wolle man schnell weitere Flüge organisieren.
Theresa Breuer von der Kabulluftbrücke wollte das so aber nicht stehen lassen. Ob auf dem Land- oder auf dem Luftweg: Ihre Initiative habe bisher nur Menschen aus dem Land geholfen, die tatsächlich eine Aufnahmezusage hatten. „Wir haben keine einzige falsche Person jemals evakuiert“, sagte sie. „Wir haben dieses System schon wirklich lange.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“