Europawahl in Großbritannien: Xenophob? Wir doch nicht!
Die Anti-EU-Partei Ukip gibt sich tolerant und punktet gleichzeitig mit der Angst vor Migranten. Umfragen sagen ihr einen Erdrutschsieg voraus.
LONDON taz | Die weißen Cliffs von Dover sind dieser Tage in London beinahe omnipräsent. Dafür hat die United Kingdom Independence Party (Ukip) gesorgt. Ihre Plakate zur Europawahl zeigen die malerischen Cliffs in einer Montage mit Rolltreppen, die hinaufführen auf den Inselstaat. Das Land leidet unter dem unaufhaltsamen Einmarsch von Immigranten. „Keine Grenzen, keine Kontrollen. Weil die EU die Grenzen aufmachte, wandern jede Woche 4.000 Menschen in Großbritannien ein!“, steht da.
Ein anderes Bild zeigt den Union Jack in Flammen – angezündet von der EU. Das Motiv mit dem britischen Arbeiter, der es wegen der vielen Immigranten so schwer im Leben hat, ist derweil zur Lachnummer geworden. Der abgebildete Mann ist selbst ein Migrant – aus Irland. Geschadet hat das der Partei indes nicht.
Glaubt man den Prognosen, könnte Ukip mit 29 bis 31 Prozent der Stimmen aus den Europawahlen als klarer Sieger hervorgehen – vor Labour und den Konservativen. Bei den jüngsten Kommunalwahlen in England war Ukip schon auf 25 Prozent der Stimmen gekommen, ein Rekordergebnis für die Gruppierung mit dem lila Pfundsymbol im Parteilogo. Ist es das Versprechen, Großbritannien aus der Europäischen Union rauszuzaubern, das die Partei so beliebt macht? Damit treibt Ukip die Konservative Partei jedenfalls vor sich her. Die hat mittlerweile ein Referendum über die EU-Zugehörigkeit des Landes versprochen.
Vielleicht hat die Popularität von Ukip aber auch etwas mit wilden Aussprüchen diverser Parteimitglieder zu tun. David Cameron sei ein Verrückter, der auf Schwule stehe, mithin ein Gotteslästerer. Ein anderer fordert den beliebten schwarzen Comedian Lenny Henry zur Auswanderung in ein „schwarzes Land“ auf. Verbale Abwertungen von Frauen und vor allem Muslimen sind an der Tagesordnung.
Opfer einer Hetzkampagne
Parteichef Nigel Farage versichert, dass solche Kommentare eine Minderheitenmeinung bei Ukip seien. Seine Partei sei antirassistisch und nicht konfessionsgebunden. Um zu belegen, dass ihr Chef recht hat, schrieben vergangene Woche 50 Ukipler verschiedenster ethnischer Provenienz einen offenen Brief: Ukip werde in den Medien falsch dargestellt und sei zunehmend Opfer einer Hetzkampagne, die Ukip als rassistisch und xenophob darstelle. Das aber sei die Partei keineswegs. Alles halb so schlimm also? Nicht unbedingt: Aufgrund britischer englischer Antidiskrimierungsgesetze muss sogar die ultrarechte British National Party ein paar Angehörige ethnischer Minderheiten in ihren Mitgliederlisten führen.
Und was ist von den finsteren Einlassungen des Parteiführers Farage selbst zu halten? „Wenn eine Horde rumänischer Männer in meine Straße ziehen würden, dann wäre ich schon besorgt. Da würden sich ja die Türen für Menschen aus Ländern öffnen, die noch nicht vom Kommunismus kuriert sind – der direkte Weg zum organisierten Verbrechen“, sagte er kürzlich vor laufenden BBC-Kameras. Und fügte in bester populistischer Art hinzu: „Alle wissen das und keiner traut sich das zu sagen!“
Unterstützt wird Farage bei seiner Arbeit übrigens von seiner deutschen Frau, die er als Sekretärin eingestellt hat. Böse Zungen behaupten, ausgerechnet er, der nichts anderes als den Austritt aus der EU fordert, kassiere als Mitglied der Europaparlaments zusammen mit seiner Gattin gleich doppelt bei der EU ab. Und dann kursieren noch Gerüchte über eine dritte Frau im Leben des Parteichefs. Das überlagert bisweilen die Debatte über die xenophobe Grundhaltung von Ukip, wegen der sie so populär ist.
Katie Paterson, eine Bürokraft aus Nordlondon, ist sich sicher, dass ihr Job von eingewanderten Europäern, die weniger Gehalt verlangen, bedroht ist. Sie will Ukip wählen. David Eggleston, 70, aus Nordyorkshire, verabscheut Ukip. „Leute, die Ukip wählen, haben eine viktorianische Vision von Großbritannien. Sie sind weiße Engländer, die noch älter als ich sind“, sagt er. Wird Ukip tatsächlich stärkste Partei, will er nach Kanada auswandern. Greg Holden aus den Midlands sagt im Angesicht der Ukip-Plakate in London: „Die Apathie der Wähler, gerade bei den Europawahlen, wird dafür sorgen, dass sich die Stimmen zugunsten der traditionellen Parteien verschieben.“ Er könnte sich täuschen – das legen die Umfragen jedenfalls nahe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos