Europawahl, Klimaschutz und Green Deal: Klima mobilisiert die Falschen
Vor fünf Jahren zogen die Fridays for Future durch die Straßen. Wer wehrt sich jetzt vor der EU-Wahl gegen die Anti-Klimaschutz-Bewegung?
![Ein Bauer in grünem Traktor. Davor ein Spruch auf polnisch "zielony ład = Śmierć" und ein Bild von einem Galgen Ein Bauer in grünem Traktor. Davor ein Spruch auf polnisch "zielony ład = Śmierć" und ein Bild von einem Galgen](https://taz.de/picture/7035954/14/0851-1.jpeg)
A n deutschen Feld- und Straßenrändern finden sich hier und da noch immer selbst gebastelte Galgen. Es sind Artefakte vom Winter, als Bäuerinnen und Bauern aus Protest gegen die Klimapolitik der Ampel auf Berlin marschierten. Einige hatten ihre Trecker mit an Galgen baumelnden Politikerpuppen geschmückt, bevorzugt solchen von SPD und Grünen. „Wir können wiederkommen“, scheinen sie heute stellvertretend zu drohen.
Doch vielleicht erledigt sich das auch ganz von selbst. Denn derzeit ziehen Klimapolitikgegner aus allen Teilen der Europäischen Union auf Straßburg. Dieses Mal allerdings nicht zum, sondern ins EU-Parlament – als Rechtsaußen-Kandidaten und -Kandidatinnen. Das Pendel ist zurückgeschlagen. Die Anti-Klimaschutz-Bewegung ist groß, sie ist grenzüberschreitend und sie wird mutmaßlich das neue Europaparlament aggressiv dominieren.
Der Green Deal, der Versuch der EU, sich der Klimakrise umfassend entgegenzustemmen, ist das Jagdziel dieser Bewegung. Und es fehlt an Gegenwehr. Während zu Demonstrationen gegen rechts und für die Demokratie Hunderttausende zu mobilisieren waren, gehen Klimademos im Alltagsrauschen der Städte unter.
Ohne Greta Thunberg und die Fridays-for-Future-Kids wäre der Green Deal nie durchsetzbar gewesen. Aber das Momentum, das die Klimabewegung 2019 hatte, hat nur zu einer kurzfristigen Neuorientierung auch konservativer Politiker geführt, allen voran Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Obwohl die Klimakrise global eskaliert und sich Europa am stärksten von allen Kontinenten erhitzt, sind Klimapolitikerinnen 2024 im Modus der Rückwärtsverteidigung. In Umfragen dazu, welche Themen die Menschen vor der EU-Wahl am meisten beschäftigen, ist das Klima auf hintere Plätze gerutscht. Gesamteuropäisch dominieren die Themen Armut, Gesundheit, Wirtschaftskraft und Verteidigung. In Deutschland sind es Verteidigung, Rechtsstaatlichkeit und Migration.
Während indes das Klima den Wählerinnen nicht mehr so sehr wie noch 2019 auf der Seele brennt, ist es neben Migration eines der zentralen Mobilisierungsthemen der extremen Rechten geworden, von den Bauern bis zu den Postfaschisten. Klima mobilisiert – die Konservativen und Rechtsextremen.
Wenn in Sylt Aperol-trinkende Jungreiche Hitler simulieren und AfD-Politiker Massenabschiebungen herbeifantasieren, engagiert sich die demokratische Mitte dagegen. Antifaschismus ist in Zeiten, in denen der Faschismus wieder Namen und Gesichter bekommt, kein Schimpfwort mehr. Die Feiern zu 75 Jahre Grundgesetz sind eine Manifestation gegen die neuen Rechtsextremisten geworden. Nur Artikel 20a des Grundgesetzes, der Artikel, auf dessen Basis das Bundesverfassungsgericht zugunsten des Klimas geurteilt hat, kommt zu kurz. Dabei steht viel mehr auf dem Spiel als nur die Demokratie. Die Gefahr ist real, dass sich Europa vom Pariser 1,5-Grad-Ziel absetzt.
Zum Start hatte von der Leyen (CDU) den Green Deal als „Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment“ bezeichnet. Zwar mag das ein wenig großspurig gewesen sein. Auch wurde an dem Deal dann ordentlich herumgeschliffen und vieles abgeschwächt. Aber die EU hat Wichtiges in Gang gesetzt: Sie hat den Emissionshandel mit CO2-Zertifikaten als zentrales klimapolitisches Instrument für Industrie und Kraftwerke etabliert, ab 2027 werden Verkehr und Wärmeenergie einbezogen, Flug- und Seeverkehr sollen folgen. Damit Unternehmen nicht abgabenfrei importieren, was jenseits der EU-Grenzen ohne CO2-Preis produziert wurde, erhebt die EU CO2-Importzölle. Sie hat Emissionsgrenzen für schwere Nutzfahrzeuge beschlossen, das Aus für Verbrenner ab 2035, die erneuerbaren Energien massiv gefördert, die Energieeffizienzvorschriften für Gebäude beschlossen und den Klimasozialfonds eingerichtet.
Spätestens hier jedoch beginnt das Dilemma
Die rechtsextreme Erzählung von der „Großen Transformation“, einem kosmopolitischen Elitenprojekt, das dem Volk fossilen Wohlstand und kulturelle Identität stehlen will, ist ein Angebot an echte oder vermeintliche Transformationsverliererinnen und an jene, die dem „grünen“ Projekt nicht trauen. Und das Narrativ greift umso besser, je konsequenter der Klimaschutz umgesetzt wird.
Das haben auch die Parteien von konservativ bis, ja, grün längst begriffen. Aus Angst vor der Mobilisierungsmacht der Bauern wurden klimapolitische EU-Gesetze wie das zur Renaturierung gestutzt. Die europäischen Konservativen versprechen, Klimaschutz nach den EU-Wahlen zurückzufahren. Bei den Grundgesetzfeierlichkeiten nannte Robert Habeck das Gebäudeenergiegesetz einen Test dafür, „wie weit die Gesellschaft bereit ist, Klimaschutz – wenn er konkret wird – zu tragen“. Den Test hat die Gesellschaft, hat auch Habeck selbst nicht bestanden. So viel zu Ambitionen und Limitationen der deutschen Grünen. Und Ursula von der Leyen würde gerade wohl sehr viel darum geben, sie hätte den Green Deal nie mit der Mondlandung verglichen.
Das Muster ist aus der Migrationspolitik leider nur zu gut bekannt: Um den Rechtsextremen das Narrativ der überrollenden Flüchtlingswelle zu nehmen, verschärfen die etablierten Parteien einfach selbst die Abschottung Europas. Aber hier wie da gilt: Politisch nutzt das in der Regel nur dem Original. In der Klimapolitik wird es nicht anders kommen. „Eine der größten Bedrohungen für die Umsetzung des Pariser Abkommens“, schreiben Stella Schaller und Alexander Carius in ihrer Studie „Convenient Truth“ denn auch zutreffend, „ist die Gefahr, dass die Parteien der Mitte den Prioritäten der Klimaskeptiker nachgeben werden.“
Noch ist ein wenig Zeit, im öffentlichen Diskurs für Klimapolitik zu mobilisieren. Denn die nächste Legislaturperiode in Brüssel und Straßburg dürfte sehr schmerzhaft werden. Der Klimapolitik drohen fünf verlorene Jahre.
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