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Europäisierung des FlüchtlingsprotestsMarsch gegen Brüssel

Europäische Asylbewerber wollen gemeinsam von Straßburg nach Brüssel laufen. Sie wollen vor dem EU-Parlament ihre Rechte einfordern.

Gemeinsam gegen europäische Flüchtlingspolitik: Flüchtlinge und Aktivisten von der Berliner „Blockupy Plattform“ am Dienstag vor dem Brandenburger Tor. Bild: dpa

BERLIN taz | Sie sind einen Monat lang zu Fuß von Würzburg nach Berlin gegangen, ein Teil von ihnen hatte anderthalb Jahre auf dem Berliner Oranienplatz ausgeharrt. Jetzt wollen deutsche Asylbewerber ihren Weg des Protests in die europäischen Hauptstädte Brüssel und Straßburg tragen – und ihre Rechte vor dem Europäischen Parlament einfordern.

Auf ihren Transparenten steht „Grenzenlose Solidarität“, „Freedom of Movement“ und „Abschiebung ist Mord“. Eine kleine Gruppe von Flüchtlingen und Unterstützern versammelte sich gestern vor dem Brandenburger Tor, um ihren Plan bekannt zu geben – eben zu Fuß von Straßburg nach Brüssel zu gehen.

Durch diesen 500 Kilometer langen „March for Freedom“ wollen sie gegen die Grenz- und Asylpolitik der EU demonstrieren. Noch sind sie wenige, aber die Veranstalter rechnen mit etwa 200 bis 300 Teilnehmern aus Deutschland. Aus Berlin werden 40 bis 50 Teilnehmer erwartet, die am Samstag vom Oranienplatz aus aufbrechen werden. Von dort wollen sie mit dem Bus nach Straßburg fahren, wo sie sich mit Flüchtlingsgruppen aus vielen europäischen Ländern treffen werden.

Viele der Berliner Teilnehmer waren bei der Besetzung des Oranienplatzes dabei, die am 8. April aufgelöst wurde. Ihre jetzige Aktion wird von verschiedenen Bündnissen aus ganz Europa organisiert, darunter die Blockupy-Bewegung und „Lampedusa in Hamburg“. Auf ihrem Weg von Straßburg nach Brüssel werden die Flüchtlinge drei Staatsgrenzen überschreiten und Protestaktionen in verschiedenen Städten in Frankreich, Deutschland, Luxemburg und Belgien durchführen.

Aktionswoche gegen Abschiebungen

In Brüssel soll es vom 20. bis zum 28. Juni eine Aktionswoche gegen die Abschiebepolitik der EU geben. „Wir haben den Oranienplatz besetzt, sind von Würzburg nach Berlin gegangen und in den Hungerstreik getreten. Aber das Problem liegt nicht in Deutschland, sondern in der EU. Wir wollen, dass Dublin II und Dublin III abgeschafft werden“, sagt der türkische Aktivist Turgay Ulu. Die in Dublin beschlossenen EU-Verordnungen regeln unter anderem, dass Flüchtlinge in dem europäischen Land, in das sie zuerst eingereist sind, Asyl beantragen müssen.

Außer der Abschaffung der Dubliner Abkommen fordern die Flüchtlinge einen Stopp der Inhaftierung und Abschiebung von Migranten, Bewegungsfreiheit, das Recht auf Arbeit und Bildung sowie die Abschaffung der Grenzschutzagentur Frontex. Momentan dürfen hierzulande Asylsuchende, oft Jahre wartend auf die Bearbeitung ihrer Anträge, nicht arbeiten.

„No border, no nation, stop deportation“

Um ihre Forderung zu untermauern, zogen die Demonstranten am Dienstag vom Brandenburger Tor weiter zur nahe gelegenen Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin. Vor dem Europäischen Haus skandierten sie lautstark „Stop killing refugees“, „No border, no nation, stop deportation“ und „Lampedusa, das war Mord!“

Ein Teilnehmer, Kokou aus dem Sudan, ergriff das Mikrofon: „Wir wollen hier bleiben und arbeiten wie alle Menschen. Wir sind hier, weil es in unseren Heimatländern Krieg gibt. Wir wollen dem Europäischen Parlament zeigen, dass wir Menschen wie alle anderen sind. Die EU sollte Leute, die aus Kriegsgebieten kommen, beschützen, anstatt sie im Meer sterben zu lassen.“

Vorigen Montag ist ein Boot mit über 400 Flüchtlingen vor der italienischen Insel Lampedusa gesunken. Mindesten 14 Migranten sind dabei ums Leben gekommen. 2013 wurden in Deutschland 127.000 Asylanträge gestellt. Die Hauptherkunftsländer waren Russland, Syrien und Serbien. 13,5 Prozent der Asylanträge wurden anerkannt.

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5 Kommentare

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  • D
    D.J.

    Aha. Die Rettung von 386 von ca. 400 Migranten vorgestern war also "Mord". Interessant.

    Warum sinken Schiffe sehr häufig eigentlich in unmittelbarer Nähe von Lampedusa?

     

    "Momentan dürfen hierzulande Asylsuchende, oft Jahre wartend auf die Bearbeitung ihrer Anträge, nicht arbeiten."

     

    So nicht ganz richtig. Das absolute Arbeitsverbot gilt nur für die ersten 9 Monate.

    • @D.J.:

      ...wenn man keine ahnung und das problem selbst gar nicht hat, kann man natürlich immer süperschlau daherreden...gelle!

       

      also erstens mal sind bisher nur 14 leichen geborgen worden...200 gerettet...bis zu 400 vermutet...

      "386 von 400" ist demnach schonmal sowas von schöngeredet...und vor dem hintergrund von 10 000den toten (tödlichste grenze der welt!) nicht mal das - sondern reine ignoranz!

       

      nicht falsch verstehen...retten ist wichtig, aber so viele tote sind alles andere als eine humanitäre meisterleistung. nimmt man die toten durch kriegstreiberei, ressourcenplünderei, umweltzerstörung und klimaerwärmung noch mit dazu enden wir bei millionen.

       

      der bezug auf 9/6 monate arbeitsverbot bezieht sich lediglich auf eine europäische vereinbarung und eben nicht auf reale zustände in deutschland. arbeitserlaubnisse gibts erst dann, wenn ein aufenthaltsstatus vorliegt (aktuelle bearbeitungszeit mindestens 1,5-3 [gerne auch bis 20!] jahre). danach werden bevorzugt deutsche und europäische menschen vermittelt (=praktisches arbeitsverbot bei theoretischer erlaubnis!). von der seite her gibt's am wahrheitsgehalt des zitierten satzes keinen deut zu zweifeln...es sei denn man hat eben keine ahnung und leistet legalistisch-vorauseilenden gehorsam gegenüber bürokratisch-willkürlichen behörden!

  • P. S.

     

    Wer weiß noch und erinnert sich noch an den sehr höflichen, in Englisch (oder Französisch) handgeschriebenen Brief an die EU der zwei 15jährigen Freunde aus Guinea, die bei ihrem heimlichen Flug nach Europa, versteckt zwischen dem unteren Gestänge des Passagierflugszeugs, ums Leben kamen? Die EU-Kommission nahm diesen unschuldigen Brief zur Kenntnis - und tat nischt! Schnell kehrte die übliche Tagesordnung zurück. Heute hat die EU "Frontex", die besonders von Otto Schily begrüßt und verteidigt wurde.

     

    Hier in Europa gibt es inzwischen auch sehr viel Krieg - europäischen und globalen Wirtschaftskrieg!

     

    Recht auf Arbeit und Bildung haben sie, sollten sie auch in ihren Heimatländern haben. Aber!

     

    Aber! Was wissen die meist jungen Flüchtlinge von der enormen Jugend-Massenarbeitslosigkeit in den südlichen Ländern Europas?

    Was wissen die meist jungen Flüchtlinge von der enormen Altersdiskriminierung in allen europäischen Sozialstaaten? Zu alt und zu teuer! Ähnlich geht es bestimmt den Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel in den Heimatländern der jungen Flüchtlinge. Um diesem Elend zu entkommen, haben sich die Jungen ja aufgemacht und ihre Hoffnungen/Ziele auf Europa gerichtet - und sind aus den Heimatländern übers Meer und über Land nach Westeuropa geflüchtet, nicht aber nach Osteuropa z. B. Kann ich voll verstehen.

     

    Afrikanische Union und Europäische Union müssen gemeinsam eine Lösung durch gemeinsame Sozialpolitik finden. Tun sie nicht, suchen sie nicht, finden sie nicht. Ignorieren, streiten und morden weiter.

  • Mit folgenden Forderungen kann ich mich einverstanden erklären:

     

    Abschaffung von "Frontex" und schnelle, legale Arbeitserlaubnis für Asylbewerber mit komplettem Identitätsnachweis, unabhängigem Rechtsbeistand durch spezialisierte Regional-Anwälte, EU-Anwälte - ähnlich den spezialisierten Wirtschaftsanwälten bzw. EU-WirtschaftsAnwälten. Menschenwürdige Asyl-Unterkünfte mit geräumigen Einzelzimmern für Alleinflüchtlinge oder mit geräumigen Zimmern für mitgeflüchtete Familienangehörige sowie Sicherheitsschutz durch dafür ausgebildetes Personal und keine Kontaktsperren nach außen zur inländischen Bevölkerung und keine Kontaktsperren ins Heimatland (obwohl sehr gefährlich, liegt in Verantwortung der Geflüchteten) sowie keine Finanzsperren für selbst, nämlich im Inland durch Arbeit legal (nicht illegal, nicht mafioses) verdientes Unterhaltsgeld.

     

    Die Flüchtlinge sind eben nicht "Menschen wie alle anderen", weil sie eben nicht gleiche Rechte und gleiche Pflichten wie alle anderen Inländer der europäischen Staaten haben. Die Rechte und Pflichten in europäischen Staaten sind so unterschiedlich, im Norden, Süden, Westen und Osten. Deshalb haben wir ja jetzt Europawahlen am 25. Mai 2014 in 28 EU-Ländern!

     

    Und was macht und regelt z. B. die Afrikanische Union, die sich aus über 58 Staaten auf dem riesigen afrikanischen Kontinent zusammensetzt? Welche Forderungen werden von den unterschiedlichen, kulturellen, traditionellen Flüchtlingen an die Afrikanische Union gestellt?

  • Erinnert mich an die "Europäischen Märsche" 1987 nach Amsterdam. Aus vielen Hauptstädten und Ländern (West)Europas. Die deutsche und europäische Gewerkschaftsbewegung beteiligte sich nicht, weil diese relativ große Soziale Bewegung von Kommunisten und Rechtsextremen unterwandert gewesen sein soll. Es ging den europäischen Marschierenden vor allem um die Schaffung einer Sozialunion. Helmut Kohl und die anderen Europäer hatten jedoch nur die Währungsunion im Sinn und lehnten die Forderung nach einer Sozialunion (europäische Sicherung von Sozialstandards) strikt ab!

     

    Pierre Bourdieu aus Frankreich (leider verstorben) erkannte erst viele Jahre später die Notwendigkeit von einer großen europäischen Sozialbewegung. Daraus ging dann, glaube ich, Attac hervor und aus Globalisierungs g e g n e r (Politik und Medien) wurden endlich Globalisierungs k r i t i k e r (Politik und Medien, aber ohne Zustimmung "der" Wirtschaft und "der" Finanzen, Großbanker) und dementsprechend dann endlich und generell verstanden.