Europäischer Gerichtshof urteilt: Neutral ohne Kopftuch

Die EuGH-Richer:innen billigen Kopftuchverbote durch private Unternehmen. Voraussetzung ist, dass alle religiösen Symbole verboten sind.

Eine junge Frau mit Kopftuch

Der Europäische Gerichtshof entschied über zwei Fälle aus Deutschland Foto: Wolfram Steinberg/dpa

BERLIN taz | Ein privater Arbeitgeber kann religiöse Zeichen wie islamische Kopftücher verbieten, wenn er ein strenges Neutralitätskonzept verfolgt und dafür triftige Gründe hat. Das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH). Ein weitergehender Schutz der Religionsfreiheit durch das deutsche Grundgesetz ist jedoch möglich.

Konkret ging es um zwei Fälle aus Deutschland. In Hamburg war eine Muslimin betroffen, die als Erzieherin für einen privaten Verein arbeitete, der Kindertagesstätten betreibt. Im zweiten Fall ging es um eine Verkaufsberaterin und Kassierin bei einer Drogeriekette. Beiden Musliminnen droht die Kündigung, weil sie sich weigerten, bei der Arbeit ihr Kopftuch abzulegen, das sie aus religiösen Gründen tragen.

Das Arbeitsgericht Hamburg und das Bundesarbeitsgericht legten die jeweiligen Fälle dem EuGH vor. Der EU-Gerichtshof sollte die EU-Antidiskriminierungs-Richtlinie von 2000 auslegen.

Der EuGH knüpfte dabei nun an eine Entscheidung zu zwei Fällen aus Belgien und Frankreich von 2017 an. Damals hatten die Rich­te­r:in­nen entschieden, dass Arbeitgeber ein strenges Neutralitäts-Konzept durchsetzen können. Nun entschieden die Rich­te­r:in­nen erneut, dass so ein Neutralitätskonzept zulässig ist. Dabei werden nicht die Symbole einer bestimmten Religion verboten, sondern alle religiösen Zeichen.

Weitergehender Schutz durch Verfassungsrecht möglich

Es liege aber kein zulässiges Neutralitätskonzept vor, wenn nur große Symbole (wie Kopftücher) verboten werden, während kleine Symbole (wie Kreuze um den Hals) erlaubt bleiben, um gezielt gegen Musliminnen vorgehen zu können. Dies wäre dann eine verbotene unmittelbare Diskrimierung, betonten die EU-Richter:innen.

Ein Unternehmen kann aber ein echtes Neutralitätskonzept einführen, so nun der EuGH, wenn es ein „wirkliches Bedürfnis“ dafür gibt, zum Beispiel wenn eine bestimmte Kundenerwartung besteht. Bei einer Kita könnte dies der Wunsch der Eltern sein, „dass ihre Kinder von Personen beaufsichtigt werden, die im Kontakt mit den Kindern nicht ihre Religion zum Ausdruck bringen.“ Das Neutralitätskonzept muss dann aber „konsequent und systematisch“ verfolgt werden, also auch „bei jedem noch so kleinem Zeichen“.

Am wichtigsten ist aber die Feststellung des EuGH, dass das EU-Recht den nationalen Gesetzgebern und Gerichten einen „Wertungsspielraum“ lässt. Deshalb ist ein weitergehender Schutz der Religionsfreiheit durch deutsches Verfassungsrecht möglich. (Az.: C-804/18)

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2003 entschieden, dass die Kopftuch tragende Verkäuferin in der Parfümerie-Abteilung einer Drogerie nur gekündigt werden kann, wenn das Unternehmen die „konkrete Gefahr“ wirtschaftlicher Nachteile belegt. Diese Anforderung gilt also weiterhin.

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