EuGH-Urteil gegen Deutschland: „Systematische“ Luftverschmutzung
Jahrelang wurden in diversen deutschen Städten anhaltend die Luftgrenzwerte überschritten. Der EuGH sieht darin einen Verstoß gegen EU-Recht.
Stickoxide (NOx) sind Reizgase, für die überwiegend Dieselmotoren verantwortlich sind. NOx erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Husten und Bronchitis. Am stärksten betroffen sind Kinder und Jugendliche sowie Asthmatiker. Eine höhere NOx-Konzentration vergrößert außerdem das Risiko, vorzeitig an Herz-Kreislauf-Krankheiten zu sterben.
Um die Gesundheit der Bürger zu schützen, gelten seit 2010 die Grenzwerte der EU-Luftqualitäts-Richtlinie von 2008. Wenn die Grenzwerte überschritten sind, müssen die Behörden Luftreinhaltepläne beschließen. Dort sind Maßnahmen für eine schnellstmögliche Einhaltung der Grenzwerte zu benennen.
Seit 2014 hat die EU kritisiert, dass Deutschland die NOx-Grenzwerte nicht einhält. 2018 erhob die EU-Kommission Klage beim Europäischen Gerichtshof. Der EuGH gab der Klage nun in vollem Umfang statt.
Sanktionen sind unwahrscheinlich
Deutschland habe in 26 von 89 Beurteilungsgebieten den Jahresgrenzwert für Stickoxide überschritten. Betroffen waren etwa die Ballungsräume Berlin, Stuttgart, München, Köln und Freiburg: Die Jahresgrenzwerte wurden um bis zu 105 Prozent überschritten.
Ab 2010 war Deutschland daher verpflichtet, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Doch auch diese Pflicht habe Deutschland nicht ausreichend beachtet, stellte der EuGH jetzt fest.
Die Verurteilung richtet sich gegen Deutschland, weil die EU-Institutionen nicht danach unterscheiden, welche Ebene innerstaatlich zuständig war. Tatsächlich war die Aufstellung der Luftreinhaltepläne Sache der Bundesländer.
Mit dem EuGH-Urteil ist keine Sanktion verbunden, sondern nur die Feststellung, dass EU-Recht verletzt wurde. In einem neuen Verfahren könnte die EU-Kommission die Verhängung von Zwangsgeldern beantragen, um die Einhaltung durchzusetzen. Ein solches Zwangsgeld ist allerdings unwahrscheinlich, weil die Grenzwerte inzwischen weitgehend eingehalten werden.
Das dürfte vor allem Verdienst der Deutschen Umwelthilfe und ihres Anwalts Remo Klinger sein, die ab 2016 für Dutzende deutsche Städte auf bessere Luftreinhaltung klagten und mehrere Grundsatzurteile erstritten. Die Diskussionen um Diesel-Fahrverbote hat sicherlich auch dazu geführt, dass sich abgasreduzierte Autos schneller durchsetzten. Hilfreich dürfte zudem die Aufdeckung des Abgasbetrugs von VW und anderen Konzernen gewesen sein. Bei vielen Diesel-Motoren zeigte eine illegale Software beim Test geringere Abgaswerte an als beim tatsächlichen alltäglichen Gebrauch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin