Erweiterung von Tesla in Grünheide: Gigafactory auf Überholungskurs
Tesla will in Grünheide groß ausbauen, dafür werden gerade die Bürger befragt. Manche sehen im US-Autobauer eine Chance, andere fürchten um die Umwelt.
D er Werlsee glitzert idyllisch, freistehende Einfamilien- und Reihenhäuser säumen das Ufer. An diesem Sonntag lässt sich in Grünheide kaum erahnen, dass nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt der Autobauer Tesla seine „Gigafactory“ zur größten Autofabrik Deutschlands ausbauen will. Trotz des Sonnenscheins ist es noch kühl, Lou Winters trägt eine grüne Jacke und hält ein Klemmbrett in der Hand. Sie klingelt am Gartenzaun, eine Antwort lässt auf sich warten.
Im Vorbeigehen grummelt ein älteres Ehepaar: „Woher kommt ihr? Aus Berlin? Geht da demonstrieren!“ Kaum einen Moment später öffnet eine Frau die Tür ihrer Reihenhauswohnung. Sagt: „Toll, was ihr macht, Ich habe schon mit Nein gestimmt!“ Winters gibt ihr noch einen Flyer der Initiative in die Hand und geht zielstrebig zum nächsten Haus.
Es ist Wahlkampf im brandenburgischen Grünheide. Zusammen mit 20 anderen Aktivist:innen des Bündnisses „Tesla den Hahn abdrehen“ ist Lou Winters tatsächlich aus dem nur 20 Bahnminuten entfernten Berlin angereist, um die Tesla-Gegner:innen der Bürgerinitiative Grünheide zu unterstützen. Haustür für Haustür mobilisieren die Aktivist:innen gegen die geplante Erweiterung der Gigafactory.
Die beschauliche Gemeinde Grünheide, in der in allen Ortsteilen zusammen rund 9.000 Einwohner:innen leben, steht im Zentrum der Expansionsbestrebungen von Elon Musks E-Auto-Unternehmen. 2019 hatte Musk angekündigt, die einzige Tesla-Fabrik Europas in Grünheide errichten zu wollen, im dünnbesiedelten, von Kiefernwäldern, Seen und Flüssen geprägten Rand Berlins.
Nach einer Rekordbauzeit von nur zwei Jahren eröffnete die Gigafactory im März 2022. Obwohl die geplante Produktionskapazität von 500.000 Fahrzeugen pro Jahr erst zur Hälfte ausgeschöpft ist, plant Tesla schon die Erweiterung. Im März 2023 beantragte das Unternehmen eine Erhöhung auf 1 Million Fahrzeuge pro Jahr, nun soll auch das derzeit 280 Hektar große Fabrikgelände erweitert werden. Noch einmal 100 Hektar Wald will der Elektro-Autobauer roden, vor allem um Lager- und Logistikflächen anzulegen.
Doch zum ersten Mal können die Grünheider:innen darüber abstimmen, wie es mit Tesla in ihrer Nachbarschaft weitergeht. Noch bis zum 16. Februar können sie dem Bebauungsplan zustimmen oder ihn ablehnen. Auch wenn das Ergebnis rechtlich nicht bindend ist, ist die Bürgerbefragung ein Novum. Hofiert von der Brandenburger Landesregierung, konnte Tesla zuerst sogar bereits ohne Genehmigung anfangen zu bauen – für demokratische Entscheidungsprozesse war beim „Tesla-Tempo“ keine Zeit.
Der Riss durch die Gemeinde
Die Befragung offenbart den tiefen Riss, der sich durch die Gemeinde gezogen hat. Da sind die einen, die in der Fabrik eine Gefahr für die Umwelt, vor allem für das empfindliche Wassersystem in der Region sehen. Aber es gibt auch die, die in Tesla eine Chance auf eine lange wirtschaftlich vernachlässigte Region ausmachen, ein Unternehmen, das nicht nur gut bezahlte Arbeitsplätze schafft, sondern auch Zukunft gestaltet.
So wie Silas Heineken. Der 17-jährige Gymnasiast, großgewachsen, lange blonde Haare. Er sitzt mit seinen Freunden Tariq und Moritz auf einer Couch in einer ausgebauten Garage in einem Gewerbegebiet im Grünheider Ortsteil Herzfelde. Normalerweise proben sie hier nach der Schule mit ihrer Band oder planen Videoprojekte – im ruhigen Grünheide gibt es nicht viel zu tun. Doch in den letzten Tagen haben sie hier pausenlos an ihrer Kampagne „Againsters“ gearbeitet. Plakate designt und aufgehängt, eine Homepage und einen Webshop aufgesetzt. Auch sie wollen im Wahlkampf mitmischen.
Als die Bürgerbefragung die Diskussion um Tesla in der Gemeinde neu entfachte, hatten Silas und seine Freunde das Gefühl, dass die Bürgerinitiative Grünheide mit dem Nein in den Medien zu präsent ist. „Das ist eine kleine, laute Gruppe, die sehr viel Aufmerksamkeit bekommt“, sagt Tariq, „über die positiven Aspekte wird viel zu selten geredet.“
Der Name der Kampagne ist eine nicht ganz so versteckte Anspielung auf die Bürgerinitiative. „Es gibt viele Leute, die sich gar nicht weiter mit dem Thema beschäftigen und erst einmal prinzipiell dagegen sind“, vermutet Silas.
Den Autobauer sehen die Jugendlichen vor allem als Chance. „Bevor Tesla hierhergekommen ist, ist hier gar nichts passiert“, sagt Silas. Die Fabrik hat Grünheide viel internationaler gemacht, der Regio fahre nun viel häufiger, es gebe mehr Gastronomie, ein größeres Angebot im Supermarkt. Auch als Arbeitgeber ist Tesla für die Jugendlichen attraktiv. „Für uns wäre das ein großer Grund zu sagen, wir bleiben hier“, meint Tariq, „es ist ja trotzdem weiterhin sehr schön hier.“
Fortschritt in eine fossilfreie Zukunft
Als Tesla-Fans wollen sich die Jungs nicht bezeichnet wissen, sie sehen auch einige Sachen skeptisch. „Natürlich ist das doof, wenn da Wald gerodet werden muss“, wägt Moritz ab. Doch letztendlich sehen sie vor allem in Tesla den Fortschritt in eine fossilfreie Zukunft. „Ich finde es schön, das hautnah miterleben zu können“, sagt Silas.
Wie kaum ein anderes Unternehmen auf der Welt steht Tesla für das Versprechen des grünen Kapitalismus: Technologischer Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum sollen nicht die Ursache, sondern Lösung für die Klimakrise sein. Weitermachen wie bisher, nur auf die richtigen Technologien setzen. Und glaubt man Tesla-Chef Elon Musk, ist diese Technologie das elektrische Auto.
Dieses Versprechen richtet sich nicht nur an die Grünheider Jugend, sondern vor allem an die Investor:innen von Tesla, die Musk zu einem der reichsten Menschen der Welt gemacht haben. Die Aktie des Autobauers gilt als massiv überbewertet. Um die Erwartungen zu erfüllen, muss Tesla seine Produktion und Umsätze in kurzer Zeit enorm steigern.
Produzierte das Unternehmen 2019 weltweit noch etwas mehr als 360.000 Fahrzeuge, waren es 2023 schon über 1,8 Millionen. Und es sollen noch viel mehr werden – 20 Millionen Fahrzeuge pro Jahr will Tesla bis 2030 verkaufen. Dafür müssen auch die Produktionskapazitäten in Grünheide kräftig ausgebaut werden. Die Aktionäre vertrauen auf Musks Versprechen, dass Tesla bald zum größten Autohersteller der Welt aufsteigt. Doch das Unternehmen muss schnell sein, denn die Konkurrenz aus China wächst.
Dabei plant Tesla, die Produktionserweiterung in Grünheide auf den bestehenden 280 Hektar umzusetzen. Die zusätzlichen 100 Hektar, über die in der Bürgerbefragung abgestimmt werden, benötigt Tesla für „Lager- und Logistikflächen“. Im Bebauungsplanentwurf begründet Tesla den Flächenbedarf mit „international veränderten Rahmenbedingungen“, die es notwendig machten, zu einer flächenintensiven Lagerlogistik“ zurückzukehren.
Was das bedeutet, zeigt der zweiwöchige Produktionsstopp, den Tesla Ende Januar für das Werk in Grünheide ankündigte. Es könne nicht weiterproduziert werden, weil aufgrund der Kämpfe im Roten Meer wesentliche Teile nicht rechtzeitig geliefert würden.
Wieder mal eine Ausnahmegenehmigung
Dass Tesla für die Erweiterung wieder eine Ausnahmegenehmigung bekommt, gilt als sicher. Eigentlich sind Neuausweisungen und Erweiterungen von Industriegebieten im Wasserschutzgebiet verboten, doch bislang hat die Brandenburger Landesregierung alle Wünsche Teslas erfüllt. Im März 2023 hat sich Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) mit einem persönlichen Schreiben an Musk gewendet und ihm seine Unterstützung für die Erweiterung zugesagt, trotz aller Bedenken.
Woidke (SPD) sieht in Teslas Wachstumszwang eine Chance, den lang gehegten Traum zu erfüllen, das wirtschaftsschwache Flächenland Brandenburg zu einem grünen Industriezentrum zu machen. Auch das Rekordtempo, in dem die Fabrik hochgezogen wurde, gilt in Deutschland einmalig und wäre ohne politische Rückendeckung nicht denkbar gewesen. Mit der Strategie hat Woidke Erfolg. 2022 verzeichnete Brandenburg das größte Wirtschaftswachstum aller Bundesländer. Eine Entwicklung, die vor allem Tesla zuzuschreiben ist.
„Wir sehen die Industrialisierungspläne des Landes kritisch“, sagt Steffen Schorcht vom Nabu Brandenburg. Besonders die Wasserressourcen seien in Brandenburg begrenzt. „Die langfristige Perspektive für die Wasserversorgung der Region sieht schlecht aus“, sagt der Nabu-Experte. „Mit der Tesla-Fabrik verschärfen wir die Situation noch weiter.“ Das Argument, Tesla brächte Jobs nach Grünheide, hält Schorcht in Zeiten des Fachkräftemangels für wenig überzeugend. „Die Frage ist, wofür machen wir das eigentlich? Es geht um kapitalistisches Wachstum, es geht um Profit.“
Tesla behauptet, weder mit der Vervierfachung der Produktion noch mit der Werkserweiterung mehr Wasser als die bereits zugesagten 1,8 Millionen Kubikmeter zu benötigen. Möglich machen soll das vor allem eine neue Produktionsabwasser-Recyclinganlage auf dem Gelände. Doch Schorcht ist skeptisch. Denn wenn wie geplant 40.000 Beschäftigte in der Gigafactory arbeiten, verbräuchten allein diese durch Duschen und Toilettengänge so viel Wasser wie eine Kleinstadt. Nicht zu vernachlässigen seien auch die Auswirkungen, die die Waldrodungen auf den Wasserhaushalt haben werden, warnt Schorcht. Der Klimawandel und das Ende des Braunkohletagebaus, der derzeit noch Millionen Liter Grundwasser aus den Kohlegruben zusätzlich in die Spree pumpt, drohen die Situation in den kommenden Jahren zu verschärfen.
Auch der zuständige Wasserverband Strausberg-Erkner warnt: Sollte die Fördermenge nicht erhöht werden, können weitere Bauprojekte wie Schulen und Neubaugebiete nicht mehr versorgt werden. „Wir sind aufgrund der begrenzten genehmigten Wasserentnahmemengen, die wir bereits ausgeschöpft haben, nicht mehr in der Lage, weitere Baugebiete mit Trinkwasser zu versorgen“, teilt der Wasserverband in einer Stellungnahme zum Bebauungsplanentwurf mit. Ab dem kommenden Jahr sollen sogar Maximalgrenzen für Privatverbraucher:innen in Höhe von 105 Liter pro Person und Tag eingeführt werden.
Genug vom „Tesla-Tempo“
Was das „Tesla-Tempo“ für die Gegend bedeutet, zeigt Manu Hoyer von der Bürgerinitiative Grünheide bei einem der monatlichen Waldspaziergänge im Januar. Die Anfang 60-jährige Grünheiderin engagiert sich schon von Beginn an gegen das Tesla-Werk.
Rund 20 Menschen sind gekommen, um sich das Fabrikgelände und den von der Rodung bedrohten Wald aus der Nähe anzugucken. Langgestreckte Kiefern reihen sich hier aneinander, ein typischer Brandenburger Forst. Hoyer deutet auf die vielen weißen Plastikreste, die sich im Unterholz verfangen haben. „Tesla lagert den Müll nicht vernünftig, deswegen weht er oft in den Wald“, erklärt sie. Wie bei fast allem in der Fabrik nehme es Tesla auch mit der Müllbeseitung nicht so genau, erst seit kurzem gäbe es eine Lagerhalle, sagt Hoyer, während sie auf eine riesige graue Halle auf dem Gelände zeigt.
Auch das Vertrauen, dass von der Gigafactory keine Gefahr für das Grundwasser ausgeht, ist bei den Tesla-Kritiker:innen gering. 70.000 Menschen werden durch die Brunnen im Einzugsgebiet versorgt. „Die Fabrik ist ein hohes Risiko, wenn Schadstoffe erst einmal im Grundwasser sind, sind sie drin“, sagt Nabu-Experte Steffen Schorcht.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Die Gefahren von Havarien bei Tesla sind nicht nur hypothetisch. Im September berichtete der Stern über 26 Umwelthavarien, die Tesla seit der Eröffnung des Werkes 2022 dem Landesumweltamt gemeldet hat. Mit dabei: Austritte von 15.000 Liter Lack oder 13 Tonnen flüssiges Aluminium. Ins Grundwasser gelangt sei keiner der Stoffe, sagte das Umweltamt. Schorcht beruhigt das nicht. „Havarien sind eine statistische Größe“, die Frage sei nicht, ob, sondern wie oft sie passieren.
Die Fragen, die die Gigafactory in Grünheide aufwirft, gehen weit über die Lokalpolitik hinaus. „Wenn wir Mobilität für alle haben wollen, können wir nicht auf eine Antriebswende setzten“, erklärt Klimaaktivistin Lou Winters, während sie zielstrebig zum nächsten Haus geht, „Es braucht nicht noch mehr Autos, sondern mehr Schienen und E-Busse“, erklärt Winters. E-Autos, wie Tesla sie produziert, bezeichnet sie als „grüne Lüge“. Die ökologischen Folgen zeigten sich nicht nur in Grünheide, sondern auch im Globalen Süden, in Ländern wie Chile oder dem Kongo, wo viele Rohstoffe für die E-Autos abgebaut werden.
Die Entscheidung, die lokale Bürgerinitiative zu unterstützen, war für Winters naheliegend: „Es ist krass, dass im trockensten Bundesland der reichste Mensch der Welt Wasser abgräbt für E-Autos, die keiner braucht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken