Erster Mai in China: Superschlechtes Tauschgeschäft

Immer mehr Menschen in China haben die gesetzlichen Feiertagsregelungen satt. Denn für einen freien 1. Mai müssen sie extra einen Sonntag arbeiten.

Eine große Menschenmenge versammelt sich während des Maifeiertags auf dem Platz des Himmlischen Friedens, wo ein Porträt von Sun Yat-sen hängt.

Menschen auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 30. April 2023 Foto: Andy Wong/dpa/ap

Es entbehrt durchaus nicht einer gewissen Ironie, dass der Tag der Arbeit im selbsternannten Arbeiterparadies ein außerordentlich unbeliebter Feiertag ist – und das, obwohl die Chinesen seit 2019 rund um dieses Datum sogar drei Tage frei haben.

Der Frust beruht auf einem staatlich erzwungenen Tauschgeschäft: Damit die Angestellten diesen längeren Urlaub kriegen, müssen sie jeweils den Sonntag vor und nach dem Mai-Feiertag durcharbeiten. Die Intention der kommunistischen Parteiführung fußt dabei weniger auf der Erholung ihrer Arbeiterinnen und Arbeiter, sondern auf dem Wohl der Volkswirtschaft: Durch die sogenannten „goldenen Wochen“ sollen Tourismus und Binnenkonsum angekurbelt werden.

Für die meisten Chinesen sind die ersten Tage im Mai hingegen alles andere als ein Genuss: Da ein Großteil der 1,4 Milliarden Einwohner auf Reisen sein wird, sind nicht nur Zug- und Flugtickets praktisch ausverkauft, sondern auch Hotels um ein Vielfaches teurer. Selbst in kleineren Provinzstädten kosten spartanische Einzelzimmer während der Feiertage umgerechnet locker pro Nacht 150 Euro, während sie nur eine Woche später wieder für ein Fünftel davon zu haben sind.

Eine aktuelle Online-Umfrage des staatlichen China Newsweek fasst den Frust der chinesischen Angestellten in Zahlen: Nur 11.000 User gaben an, sich für die gesetzlich vorgeschriebenen „Ausgleichswochenenden“ auszusprechen. Knapp 90.000 User hingegen lehnen die Sonntagsdienste für längere Feiertage ab.

Frust entlädt sich im Netz

Wie jedes Jahr entlädt sich dieser Tage die angestaute Wut der Chinesen im Internet. „Die gesetzliche Regelung dient nicht dazu, den Menschen eine Pause zu gönnen, sondern dazu, einen Beitrag zur Wirtschaft zu leisten“, schreibt ein Poster auf der Online-Plattform Weibo. Ein anderer meint erbost gegen die Politiker, die die Ferienreglungen beschließen: „Das chinesische Volk braucht endlich Ruhe: mehr Feiertage und weniger Korruption“.

Der Zorn der Volksseele lodert auch deshalb, weil den Angestellten in China ohnehin kaum freie Tage zustehen. Neben den gesetzlichen Feiertagen haben sie per Gesetz lediglich Anspruch auf fünf Ferientage pro Jahr. Und diese werden in vielen Fällen aufgrund von vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem Chef nicht einmal zur Gänze aufgebraucht. Zu groß ist der soziale Druck im Büro, als Faulenzer dazustehen – und auf die Abschussliste der Firma zu gelangen.

Der Großteil der rund 20 Feiertage entfällt auf die drei jährlichen „goldenen Wochen“. Ist ein Feiertag nicht sowieso an einem Sonntag, muss er jeweils durch Vor- oder Nacharbeitstage kompensiert werden. Gleichzeitig bekommen im Zeitalter von Globalisierung und sozialen Medien immer mehr Chinesen mit, dass in vielen Teilen der Welt deutlich ausgiebigere Ferienansprüche gelten.

Es ist also kein Wunder, dass die urbane Jugend in den ostasiatischen Staaten vor allem die skandinavischen Länder mit ihrer zur Schau gestellten Work-Life-Balance als utopische Wunschdestination idealisiert. Diese steht im krassen Gegensatz zur Arbeitskultur der chinesischen Unternehmen, die sich mit „9-9-6“ zusammenfassen lässt: Von morgens bis abends um neun Uhr im Großraumbüro schuften, und das sechs Tage die Woche.

Trotz des Burn-Outs vieler Chinesen dürfte sich vorerst aber wenig an den Gegebenheiten ändern: China verbietet Streiks, sie werden im kommunistisch regierten Land mit Gefängnisstrafen geahndet. Auch die Gründung von unabhängigen Gewerkschaften steht unter Strafe. Die offiziellen, von der Partei installierten Gewerkschaften hingegen propagieren eine Botschaft an ihre Mitglieder, die der protestantischen Erwerbsethik in nichts nachsteht: arbeitet hart im Interesse des Staats!

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