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Erschließung neuer GasvorkommenFlüssiggas? Ja, bitte!

Umweltpolitiker wie der Grüne Jürgen Trittin befürworten neue Gas-Investitionen. Das sei unumgänglich, um von russischen Lieferungen loszukommen.

Ein LNG Transportschiff liegt vor Dakar Foto: Michael Kappeler/picture alliance

Berlin taz | Es ist der umstrittenste Punkt in der Abschlusserklärung der G7-Staaten: Die mit Steuergeldern geförderte Erschließung neuer Gasvorkommen im Ausland soll auch nach 2022 möglich sein. Eigentlich hatten die sieben wirtschaftsstärksten westlichen Industrieländer noch im Mai vereinbart keine Investitionen für neue Gasquellen im Ausland mehr bereitzustellen. Doch bei ihrem dreitägigen Treffen Anfang der Woche im bayerischen Elmau hatten sie diese Selbstverpflichtung zurückgenommen, auch auf maßgeblichen Druck Deutschlands. Von Umweltverbänden hagelte es Kritik.

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin verteidigt diesen Schritt gegenüber der taz. „Es ist leider notwendig, temporär mehr Gas zu fördern, um dem russischen Gas zu entfliehen“, so der ehemalige Bundesumweltminister.

Von den 650 Milliarden Kubikmetern Gas, die weltweit gehandelt würden, stamme eine Fünftel aus Russland. „Wenn wir auf diese 150 Milliarden Kubikmeter verzichten, was politisch völlig richtig ist, müssen wir in neue Infrastruktur investieren.“ Voraussetzung sei, dass dies im Rahmen enger Grenzen und ohne Lock-In-Effekte, also ohne Abhängigkeitsverhältnisse zu schaffen, geschehe. „Wollen wir keinen Lock-In müssen die Abschreibungsfristen sehr kurz sein. Das geht nur mit Staatsgarantien.“

Trittin hält eine Ausweitung der Gasförderung auch im Zusammenhang mit den globalen Folgen des westlichen Boykotts von russischem Gas für geboten: „Die Industrieländer sichern sich in dieser Situation Optionen auf Flüssiggas zu Preisen, die sich arme Länder nicht leisten können. Ohne zusätzliche Gasmengen wären sie dann gezwungen wieder auf Kohle umzusteigen. Dies würde noch mehr CO2 emittieren“, befürchtet Trittin.

425 Milliarden Kubikmeter Gas vor Senegal

Konkret geht es um Gasvorkommen vor den Küsten Senegals und Mauretaniens. Das Gasfeld Greater Tortue Ahmeyim umfasst nach Angaben des Betreibers BP etwa 425 Milliarden Kubikmeter Gas. Senegal möchte Ende 2023 mit der Förderung beginnen. Präsident Macky Sall war am Montag auch zu Gast auf dem G7-Gipfel in Elmau. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Sall bereits bei seiner Afrika-Reise im Mai Unterstützung zugesagt. In der Abschlusserklärung der G7 heißt es nun: Um unabhängig von russischem Gas zu werden spiele Flüssiggas eine große Rolle. „Unter diesen außergewöhnlichen Umständen können öffentliche Investitionen in den Gassektor geeignete Übergangslösungen sein.“ Sie müssten aber mit den Klimazielen vereinbar sein.

Der Staatssekretär im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Jochen Flasbarth sieht es ähnlich wie Trittin: „Diese Ausnahmeoption ist absolut richtig. Die Alternative wäre, bei russischem Gas zu bleiben oder sich in einseitige Abhängigkeit von Staaten wie Katar zu begeben“, so Flasbarth am Mittwoch.

Flasbarth war in der Großen Koalition Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Seine damalige Chefin Svenja Schulze leitet nun das Entwicklungsressort. Ihr Haus ist nun auch zuständig für die Verhandlungen mit Senegal.

Staatssekretär Flasbarth hält es noch nicht für ausgemacht, dass tatsächlich öffentliche Investitionen nötig sein werden, um die Gasvorkommen im Senegal zu fördern oder ob es reiche, dass die künftigen Abnehmer langfristige Zusagen machten. Fest stehe aber: „Deutschland fällt ab 2040 als Abnehmer von Gas aus.“

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9 Kommentare

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  • Nonsens.

    Bestehende Anlagen vielleicht ein wenig länger nutzen? Ja, diskussionswürdig.

    Jetzt noch in die Planung für Erweiterung oder gar Neubau zu gehen? Für Investitionen, die sich vielleicht nach 20 Jahren amortisieren?

    Selbstmord.

    Nur eine drastische Reduktion unserer Abhängigkeit *jetzt* ist glaubwürdig und zielführend.

    Jedes Euro, das in diesen Neubau investiert würde ist in Erneuerbaren plus Abfederung der Härten viel besser untergebracht.

  • Bitte ab und zu mal darauf hinweisen dass mit „Flüssiggas“ hier zwecks Schiffstransport verflüssigtes tiefkaltes Erdgas gemeint ist…es denken bestimmt viele noch bei dem Begriff an Propan und Butan aus der Flasche…

  • Wenn man keine Veränderung will, dann müssen natürlich die Lagerstätten in den genannten Ländern und vielleicht, wie Niedersachsen will, auch die Lagerstätten in der Nordsee angebohrt werden. Womöglich auch noch, wie die Freien Radikalen wollen, Fracking in D möglich werden. Schließlich geht es doch ausschließlich darum, dass die ärmeren Länder keine Kohle verbrennen, nicht wahr? Wegen Klimaschutz und so! Eine perfide Logik, für das Weiter-so und ein schöner Kontrapunkt zu Paris und der Loslösung von Rohstoffabhängigkeiten. Nur nicht von u.a. China, für Seltenen Erden u.ä. für die Energie-, Verkehrs-, Mobilitäts- und Zeitenwende erforderlichen Rohstoffe.



    Die Nato-Norderweiterung kommt auch gerade recht, um sich mit Russland in 5-10 Jahren um die riesigen Rohstoffvorkommen im arktischen Meeresboden zu kloppen. Oder sich mit Nachdruck für die eisfrei werdenden Schifffahrtsrouten zu "engagieren"? Klimafreundliche kürzer Routen, Logo! Schnellerer Transport, höhere Renditen sind nur die Zierkirschen, oder?



    Griechenland und die Türkei beanspruchen Lagerstätten im Mittelmeer für sich. Schaun mer ma, wer sich durchsetzt! Die 30 größten börsennotierten Finanzkonzerne investierten 2020/2021 740 Mrd. Dollar für die Erschließung neuer Gasfelder und Ölquellen. Vermutlich auch nur, damit die ärmeren Länder keine Kohle verbrennen. Alles Klimaschutz, alles nur eine Frage der Vermarktung.



    Aber vielleicht geht es schon längst nicht mehr nur um ein "Weiter-so", sondern bereits um ein ökonomisches "Rette sich, wer kann". Höhere Rüstungsausgaben sind dafür von besonderer Bedeutung.

  • Ist die Erschließung neuer Gaslagerstätten samt Bau der nötigen Infrastruktur überhaupt wirtschaftlich, oder muss da mal wieder der Steuerzahler einspringen?

    Der Verbrauch wird Jahr für Jahr sinken. Weltweit. In 20 Jahren wird er nahe 0 liegen.

    Es herrscht ja auch jetzt keine globaler Gasmangel, nur steht derzeit unsere Transportinfrastruktur an der falschen Stelle.

  • Das Problem bei den Erneuerbaren ist die volatile Erzeugung. Man braucht deshalb im Energiemix eine Erzeugungsart, die sehr flexibel diese Schwankungen der Erneuerbaren kompensieren kann. Mit Kohle und Kernenergie geht das nicht, aber mit Gas kann man so etwas machen. Wenn jetzt die Erneuerbaren nochmals ausgebaut werden, wird dieses Problem noch größer. Speicher im großen Stil sind entweder zu teuer, ineffizient oder beides. Das gleiche gilt auch für Wasserstoff.

  • Es mag ja "notwendig [sein], temporär mehr Gas zu fördern, um dem russischen Gas zu entfliehen“.



    Neue Gasfelder zu erschließen, dauert aber etwas länger und damit sollte nicht mehr begonnen werden.

    Warum steht auch hier nichts von grünem Wasserstoff, auch umgewandelt in Ammoniak, der ebenso schnell importiert werden könnte?

    Nachdem ein großer Teil des geförderten Gases nicht international gehandelt wird, rechnet sich das Fünftel des gehandelten Gases, das aus Russland kommt, wohl eher in rund ein Zehntel des geförderten Gases um, ohne den Bedarf in Russland selbst.



    Schon aus Klimaschutzgründen sollten wir jedes Jahr ein Zehntel des Erdgases aus dem Markt nehmen und in der Regel durch erneuerbare Energien ersetzen.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    „Deutschland fällt ab 2040 als Abnehmer von Gas aus.“

    Da fließt noch viel Wasser den Rhein runter. Und Mehrheitsverhältnisse in der EU können sich ändern!

  • „Diese Ausnahmeoption ist absolut richtig. Die Alternative wäre, bei russischem Gas zu bleiben oder sich in einseitige Abhängigkeit von Staaten wie Katar zu begeben“

    Katar hat bereits anderweitige Kunden für all sein gefördetes Gas. Russland hat 2020 168 Milliarden m³ per Piepeline nach Europa geliefert - entspricht ~121 Millionen Tonnen LNG. Laut BP Werbeprospekt soll das genannte Gasfeld vor Mauretanien und dem Senegal jährlich 2,5 Millionen Tonnen produzieren.



    Es mag sich jeder Grundschüler selber ausrechenen, ob wir es dem Russen mit diesem nächsten Steuergeschenk an BP so richtig zeigen werden...

    • @darthkai:

      Ihre Aussage ist ungefähr genauso sinnvoll wie, dass es nichts bringt, wenn Deutschland Treibhausemissionen einspart, weil wir ja eh nur 2% der weltweiten Emissionen produzieren...

      Und ja: der übergroße Teil des Gases, das wir bislang importiert haben, muss, darf und soll natürlich auf grünem Wege substituiert werden. Dummerweise fällt uns unsere Lahmarschigkeit der letzten Jahr(zehnt)e da ein bisschen auf die Füße. Von jetzt auf gleich geht es nunmal noch nicht. Aber die Abhängigkeit könnte bereits deutlich geringer sein.

      Die Aufwände, die wir bislang gescheut haben, kommen uns jetzt ungleich teurer zu stehen und das ganz ohne die negativen zukünftigen Effekte des CO2-Ausstoßes miteinzubeziehen.