piwik no script img

Olympia-EröffnungMerci für die tolle Party

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Die Eröffnungsfeier der Sommerspiele in Paris zeigt: Es ist ein Glück für Frankreich, dass der identitäre Nationalismus die Wahl verloren hat.

Sängerin Lady Gaga trat vor der Eröffnungsfeier auf Foto: Sina Schuldt/dpa

D ie 33. Olympischen Sommerspiele sind in Paris am Freitagabend offiziell eröffnet worden. Es war ein tolles, grandioses und sogar mitreißendes Fest. Trotz Regens, trotz aller schier unüberwindbar scheinenden Schwierigkeit bei der Vorbereitung eines solchen Events mitten im Hauptstadtzentrum und dann auch noch auf der Seine, trotz zum Teil hämischer Einwände. Denn ehrlich gesagt: Die meisten hier waren bis zum Schluss skeptisch und zweifelten daran, dass diese außergewöhnliche Zeremonie gelingen würde, die den historischen Kern der Hauptstadt in die Bühne eines völlig verrückt anmutenden Spektakels verwandeln sollte.

Die Party auf und entlang der Seine begann zunächst mit Lady Gaga in einer Retro-Kabarettnummer im Stil des Moulin Rouge oder der Folies Bergère und „French Cancan“-Tänzerinnen. Doch die Klischees und die Nostalgie wurden danach rasch von einem phantastischen Wirbel von Bildern zu den Themen wie Liberté, Egalité, Fraternité, Sororité (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit) abgelöst. Damit feiert Frankreich nicht nur die eigenen Grundwerte seiner Republik, sondern auch seinen Anspruch einer universellen Ausstrahlung. Dazu gehörte nicht zuletzt die Toleranz – manche Szene dürfte provoziert oder gar schockiert haben.

Die Zeitzeugen der Geschichte wie Notre-Dame, die Conciergerie, der Louvre oder der Grand Palais dienten dabei als Bühne einer waghalsigen und ständig den Ort und die Epochen wechselnden Inszenierung, die der Seine entlang auf Großbildschirmen und für mehr als eine Milliarde Zuschauer in der Welt am Fernsehen übertragen wurde. John Lennons Lied „Imagine“ erklang, von den Fassaden an den Ufern widerhallend, wie eine olympische Hymne des Friedens und der Verständigung.

Die Delegationen aus mehr als 200 Ländern mit den Fahnen schwenkenden und tanzenden Sport­le­r*in­nen paradierten in einer Reihe wie vorgesehen auf den Flusskähnen und Booten. Unter ihnen die Teams aus Israel und aus Palästina, aus der Ukraine, aus dem Iran, beiden Koreas, aber auch kleinen Inselstaaten, die man auf der Weltkarte suchen muss. Besonders zahlreich waren die „Passagiere“ auf den Schiffen der USA und des Gastgeberlandes Frankreich.

„Unheimlich modern und kreativ“ oder „völlig verrückt“, so lauteten die meisten Kommentare im Publikum. Manche unter den etwa 300.000 Menschen, die während Stunden dem Regen trotzten, waren sogar zu Tränen gerührt, als Céline Dion vom Eiffelturm aus zum Abschluss Édith Piafs „L'hymne à l’Amour“ sang, und als das Duo der mehrfachen Olympia-Medaillensieger Marie-José Pérec und Teddy Riner nach anderen prominenten Fackelträgern wie Zinédine Zidane oder Rafael Nadal die Olympische Flamme entfachten, die dann von der Concorde in einem Ballon in den Himmel aufstieg.

Es war ein gelungenes Fest der Liebe, mit dem sich Frankreich wieder einmal von seiner besten, universell kreativsten und revolutionären Seite gezeigt hat. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass noch vor ein paar Wochen zu befürchten war, dass im selben Land eine rückwärtsgewandte, nationalistische und auf identitärem Egoismus gegründete Ideologie kurz vor einem Wahlsieg stehen würde. Merci!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • Wenn man es weniger kritisch betrachtet und als reine "Unterhaltung" sehen möchte hatte es sicherlich einen Wert für den Zuschauer. Nicht mehr und nicht weniger. Ich fand es imposant, neu und unterhaltsam.

  • Es wäre genauso identitär, Frankreichs Politik auf irgendwelche Lifestyle-Punkte zu reduzieren, oder?



    Besser universalistisch in der guten revolutionären Tradition, die auch in Frankreich stark ist.

  • Ein schauerlich, grandioses Spektakel, das Frankreich und Paris als Mittelpunkt der Welt inszenierte. In bewährter postkolonialer Arroganz hat man sich vielfältige Kulturen angeeignet und ganz unverfroren als Teil der französischen Identität ausgegeben. Den Gipfelpunkt bildete dabei die von Axelle Saint-Cirel vorgetragene französische Nationalhymne vom Dach des Grand Palais vor den Augen des französischen Präsidenten. Macron hat es mal wieder geschafft gleichzeitig einen Großteil der französischen Bevölkerung als auch den kompletten globalen "Nicht-Westen" gegen sich aufzubringen.

  • Das Eröffnungsfest würde ich ähnlich wie der Artikel einsortieren.

    Die Bedeutung der rückwärtsgewandten, nationalistischen und auf identitären Egoismus gegründeten Ideologie würde ich anders sehen. Das ist nicht DIE große Bedrohung der Gesellschaft, es ist eines von vielen Symptomen, dass die Gesellschaft im Moment keine Mitte hat. Auch wenn alle identitären Rechten verschwinden würden, blieben genügen verschiedene und vielfältige Gruppen und Weltsichten mit sovielen gegenseitigen Unverträglichkeiten, dass die grundsätzliche Situation die gleiche wäre.

    Wir können uns da glaube ich nur langsam vorantasten.

  • Mein Highlight war die Kooperation der französisch-malischen Sängerin Aya Nakamura mit dem Chor und Blasorchester der Republikanischen Garde. Der Tiefpunkt war wohl der Werbeclip aus den Louis Vuitton-Werken. Es gab durchaus schöne Ideen und Szenen, aber letztlich gab es von allem zu viel, zu viele Erzählstränge, zu viele Schnitte, zu viele Promis, zu viel Gold, zu viel Kitsch – ja und natürlich auch zu viel Regen (schade). Aber wir haben vier Stunden durchgehalten und werden versuchen, es innerlich auf spannende 45 Minuten zu komprimieren.

  • "Es war ein gelungenes Fest der Liebe, mit dem sich Frankreich wieder einmal von seiner besten, universell kreativsten und revolutionären Seite gezeigt hat."



    Abgesehen von dem einschläfernden Bootkorso auf der Seine war es wirklich "völlig verrückt", danke dafür🇫🇷🥳



    ---



    "Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass noch vor ein paar Wochen zu befürchten war, dass im selben Land eine rückwärtsgewandte, nationalistische und auf identitärem Egoismus gegründete Ideologie kurz vor einem Wahlsieg stehen würde"



    Wirklich? Es zeigt und bestätigt doch nur einmal mehr das Stadt- und Landbevölkrung immer weiter auseinanderdriften.



    Das ist weltweit zu beobachten - die 'Fly-Over-Staaten' in den USA, die Deutschlandkarte nach der Europawahl - schwarzblau mit urbanen bunten Tupfen,...



    Die gewaltigen Herausforderungen dieses Jahrhunderts (Klimawandel, Überbevölkerung, Migrationswellen, Neuordnung der Machtblöcke) verlangen von uns enorme Flexibilität. Damit tun sich Weltoffene, Gebildete, Junge und Jungegebliebene schon immer leichter und prozentual findet man davon mehr in Städten als auf dem Land - 'Stadtluft macht frei 2.0' sozusagen

  • Merkwürdig, wie unterschiedlich die Wahrnehmung sein kann. Mir war das alles viel zu Flaggenlastig. Tricolore an der Brücke, Opernsängerin in der Tricolore, usw. Die Fremdenlegion hisst die Olympiaflagge und der Rest hatte nestenfalls den Chrame des ESC (was sollte dieser blaue Neptun?). Und Celine Dion hat ganz sicher nicht live gesungen. Alles in allem ist es wie immer mit Eröffnungsfeierlichkeiten; zum Glück sind sie zu Ende und die Spiele beginnen.

    • @DiMa:

      Ihr blauer Neptun war tatsächlich Gott Bacchus, der Gott der Weines. Das Fest war eine Darstellung der Bacchanalien.

      Wein -> Frankreich! Compris?

      • @Angelika70:

        Wie sollte man bei dieser Darstellung bitte auf einen Bacchus kommen. Alle bisherigen Darstellungen zeigen Bachhus mit Weinkelch und oder Weintrauben. Das ist dann wohl der schlechteste Baccus ever (es wäre auch der schlechteste Neptun ever). Misslungen bleibt misslungen.

  • Bin an sich kein Freund solcher Großveranstaltungen die Unsummen an Geld verschlingen.



    Habe auch meine Zweifel ob der "Olympische Geist"



    wirklich bei alldem im Vordergrund steht.

    Aber die Idee, Olympische Spiele direkt in der Stadt zu veranstalten und zu eröffnen halte ich für genial und für "bürgernäher", als wenn man für Millionen irgendwo Wettkampfstätten, die danach niemand mehr braucht, aus dem Boden gestampft hätte.

    Die Eröffnung hätte für meinen Geschmack eine Stunde kürzer sein können, war aber genial und durch die Vielfalt faszinierend.



    Kann mich nicht erinnern, dass die Themen wie Toleranz, Diversität und Gleichheit bei anderen Eröffnungen jemals so behandelt wurden. Toll gemacht.



    Die Anwohner werden die zeitlich begrenzten Einschränkungen sicher verkraften.

  • Echt jetzt? Doch wohl eher ein Siegeszug des Zynismus.

    Ich habe 2 bis 3 Minuten gesehen. Wenn man es schafft, mit der Kombination eines endlos langweiligen Einzug von AthletInnen mit einem wilden Zappen durch kitschige Showelemente über ca. 6 km Seine ZuschauerInnen zu Tränen zu rühren, zeigt das wieder einmal, wie simpel gestrickt das Publikum ist. Mein Höhepunkt war, als Moderator Tom Bartels die Lage in Myanmar mit den den Worten zusammenfasste: 'Keine guten Voraussetzungen für Leistungssport.'

    Heino Jägers 'Sport Aktuell' bleibt eben der unerreichte Prototyp guter Sportberichterstattung und ein Vorbild für alle, die nach ihm kamen und noch kommen.

    • @Stoersender:

      Wo Sie da Zynismus sehen bei den Veranstaltern haben Sie nicht erklärt. Ich konnte keinen entdecken. Die deutsche Moderation, die sich mit dem Jemen solidarisierte, weil er von Israel angegriffen worden sei, war allerdings unterirdisch.

  • Rudolf Balmer , Autor des Artikels, Auslandskorrespondent Frankreich

    Schon mal alle anderen Text in der taz zu diesem Thema gelesen?? Darüber wurde ja wirklich nicht nur von mir, sondern auch mit Reportagen berichtet.

  • Die russische Reaktion zeigt das absurde und fehlende russische Verständnis für die Freiheit aller denkenden Menschen.



    Wie weit Russland im Zarenreich und der kommunistischen Herrschaft und Putins Diktatur verhaftet ist, wird bei den täglichen Reaktionen in der russischen Zwangspresse dokumentiert.

  • Sein Ernst ? Kein Wort das man nur noch mit QR Code zu seiner Wohnung kann , das zehntausende Pariser die Stadt verlassen ,das Bedürftige vertrieben werden ? Nur Jubel Trubel Heiterkeit ?

    • @Mr Ambivalent:

      Ja, sein Ernst, leider!



      Die Klimadebatte streichen wir auch. Ist während dieser Feier kein Thema.



      Die LG klebt ja in Frankfurt

    • @Mr Ambivalent:

      Danke. Dadurch kann ich mir meinen Kommentar sparen.

  • Rein von Aufwand, Kreativität und individuellen Charakter der Show war das auf alle Fälle spektakulär bis monumental. Soviel verschiedene Künstler, Sportler und Aktionen mit soviel Leichtigkeit in ein Programm zu vereinen, war schon stark. Auch den Mut zu haben, sich vom Prozedere bisheriger Shows abzuheben und neue Ideen umzusetzen, nötigt schon Respekt ab.



    Und die Hoffnung bleibt, dass von der Botschaft von Diversität, Toleranz und Freiheit bei den Menschen etwas hängen bleibt.



    Mag sein, dass da hier und da zuviel Pomp war, sicher auch etwas kitschig und zu kostspielig sowieso. Aber mei, egal was da gestern gewesen wäre, irgendwelche Miesepeter finden sich sowieso immer, die nur Negatives sehen wollen.

  • Danke für diesen schönen Artikel!



    Gemeinsame Erfolge müssen gefeiert werden,



    dazu gibt es, nach dieser letzten Wahl, in der sich die BürgerInnen doch noch für die Demokratie entschieden haben , allen Grund.



    In diesen Zeiten, die von Gewalt geprägt sind, ist es ein Hoffnungsschimmer, ein solches Volksfest zu feiern.



    Friedlicher Wettstreit reicht, wir brauchen keine Kriege.



    Das kann durchaus Botschaft sein, die von den ewig schlecht gelaunten Deutschen gerade mal wieder verunglimpft werden will.



    Es ist schön für Paris, das in der jüngeren Vergangenheit viel Grund zur Trauer hatte, nun einen Grund zur Freude zu haben.



    Die Idee, den Beginn der Spiele in der Öffentlichkeit abzuhalten, ist im wahrsten Sinne bürgernah.



    300.000 ZuschauerInnen passen in kein Stadion.



    Danke für die schöne Botschaft aus Paris!