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Erdoğans Einmarsch in NordsyrienDie Welt darf nicht zuschauen

Gastkommentar von Anita Starosta

Erdoğan führt Krieg gegen die Kurden – und die westliche Welt lässt ihn gewähren und beliefert ihn mit Kriegsgerät. Das muss sofort aufhören.

Die angekündigte türkische Militäroffensive gegen die Kurden ist jetzt Realität Foto: dpa

D ie Bundesregierung zeigt sich besorgt über die türkische Militäroperation in Nordsyrien und in den USA gibt es Kritik an Donald Trumps angekündigtem Truppenrückzug. Ernsthaften Widerstand gegen Erdoğans angekündigten und am Mittwoch tatsächlich begonnenen Einmarsch in Nordsyrien gibt es jedoch nicht, schon gar nicht aus Deutschland.

An fehlenden politischen Beziehungen liegt das nicht: Innenminister Seehofer war erst letzte Woche in Ankara und traf dort den türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, um den EU-Türkei-Deal nachzuverhandeln. Doch statt Menschenrechtsverletzungen zu thematisieren oder völkerrechtswidrige Angriffskriege zu verhindern, steht die Migrationsabwehr im Fokus der deutschen Türkeipolitik.

Die Kooperation mit Erdoğan bleibt die außenpolitische Leitlinie in der Region. Grund und Ausdruck dieser Partnerschaft sind die Waffenlieferungen der deutschen Rüstungsindustrie. Bereits beim völkerrechtswidrigen türkischen Einmarsch in Afrin rollten deutsche Leopard-2-Panzer über die Grenze. Auch für den aktuellen türkischen Angriff auf Rojava sind Bundesregierung und EU mitverantwortlich, ebenso für die absehbare Vertreibung Zehntausender Menschen. Auch die Reorganisierung des „Islamischen Staates“ droht, etwa im Flüchtlingslager al-Hol, wo sich etwa 10.000 IS-Anhängerinnen immer weiter radikalisieren.

Anita Starosta

ist Referentin für Syrien bei medico international. Sie bereist die Region regelmäßig und war 2022 zuletzt in Nordostsyrien, wo sie langjährige Projektpartner von medico besuchte, u.a. Nothelfer und Menschenrechtsaktivisten.

Das friedliche Zusammenleben in Rojava ist gefährdet

Mit dem Krieg gegen die Kurden ist vor allem das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien und religiöser Minderheiten in Rojava gefährdet. Die kurdische Selbstverwaltung ist der bedeutendste Versuch, eine demokratische Alternative in der Region zu etablieren. Diese Bemühungen müsste die internationale Gemeinschaft eigentlich stützen.

Auch die Bundesregierung muss jetzt handeln: Aufkündigung des EU-Türkeideals, Einstellung der damit verbundenen Zahlungen, Einstellung aller Rüstungsexporte in die Türkei. Solange die gegenwärtigen Beziehungen bestehen, machen sich Bundesregierung und EU erpressbar und sind mitverantwortlich für Erdoğans Krieg.

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14 Kommentare

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  • " „Türkei erhält deutsche Kriegswaffen im Wert von 180 Millionen Euro“ "

    Ist vielleicht eine blöde Anmerkung, aber sind 180 Millionen Euro für Deutschland sooooo viel Geld, dass wir Herrn Erdogan dafür machen lassen müssen, was er will?

    Schwieriger wiegt aus meiner Sicht, dass er Mitglied der NATO ist. Aber ist er das nicht in erster Linie auf Wunsch der USA? Brauchen die USA oder wir die Türkei noch in der NATO? Allmählich denke ich, wir sollten uns von manchen Partnerschaften lösen. Damit meine ich, nicht wir von der NATO sondern die NATO von der Türkei. Das löst das Problem der Kurden war nicht, aber wir machen uns zumindest nicht mehr die Hände schmutzig.

  • Warum MUSS die Bundesregierung den EU-Türkeideal aufkündigen? Es handelt sich um einen Deal der EU. Dieser ist im Interesse der EU und hat mit dem Einmarsch nichts zu tun.

    Das einzige was die Bundesregierung machen sollte ist die Einstellung von Waffenlieferungen in die Türkei.

    Eine Mitverantwortlichkeit ist jedoch keinesfalls ersichtlich.

  • Die Trennung zwischen einem tatenlos zuschauenden Westen auf der einen und einer aggressiv imperialistisch agierenden Türkei auf der anderen Seite sehe ich nicht. Als NATO-Mitglied ist die Türkei ein Teil des Westens, als Waffenbruder und Waffenlieferant ist der Westen ein Teil dieses Feldzugs. Es ist zum verzweifeln!

    Ansonsten Zustimmung.

  • Unter dem Titel „Türkei erhält deutsche Kriegswaffen im Wert von 180 Millionen Euro“ meldet Zeit online:



    „Bei den Waffen für die Türkei handelt es sich den Angaben zufolge ausschließlich um "Ware für den maritimen Bereich". Es ist wahrscheinlich, dass es um Material für sechs U-Boote der Klasse 214 geht, die in der Türkei unter maßgeblicher Beteiligung des deutschen Konzerns ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) gebaut werden.“ www.zeit.de/politi...xporte-deutschland



    Beim Blick auf die Landkarte grüble ich: Wie können die U-Boote in dem vorgesehenen Gebiet eingesetzt werden . . .?

    • @Pfanni:

      Naja, die Meldung ist eben inkorrekt. An die Türkei verkauft man hauptsächlich Landwaffen, also Panzer. Gleichzeitig an Griechenland eher Schiffe. Der Militärich-industrielle-Komplex ist ja nicht komplett hohl.

    • @Pfanni:

      Und was heißt das jetzt? Es ist OK ein Land mit Waffen zu versorgen, das seit Jahren in der Region zündelt?

      Im übrigen benutzen die angreifenden Truppen jede Menge deutsche Waffen. Darunter Panzer.

  • "Ernsthaften Widerstand gegen Erdoğans angekündigten und am Mittwoch tatsächlich begonnenen Einmarsch in Nordsyrien gibt es jedoch nicht, schon gar nicht aus Deutschland."

    Natürlich. Die Türkei geniest als wichtiger NATO Partner Narrenfreiheit. Es hat doch auch nie gestört, wenn Kurden in der Türkei massakriert wurden. Solche Kleinigkeiten haben die "Wertegemeinschaft" nie gestört.

  • Erdoğan sieht ja schon länger überall nur Terroristen. Seit heute spätestens sollte wirklich allen klar geworden sein, dass dies vor allem daran liegt, weil er selbst nämlich auch nur ein Terrorist unter vielen ist.



    Die Kurden haben an der Seite der Amerikaner mutig gegen den IS gekämpft, wofür wir alle ihnen zu großem Dank verpflichtet sind. Das Amerika eines Donald Trump ist heute alles andere als ein zuverlässiger Bündnispartner. Wer auf die USA setzt, hat auf Sand gebaut. Amerikas Rückzug aus Syrien stärkt tatsächlich direkt den IS und indirekt Putin und legt das Schicksal der Kurden ausgerechnet in die Hände eines Erdoğan, der die Kurden lieber heute als morgen ausradiert sehen möchte. Das ist inakzeptabel und erfordert ein grundlegendes Umdenken der deutschen Politik gegenüber der Türkei Erdoğans, gegenüber Amerika Trumps und gegenüber einer Nato, die Erdoğans mieses, verlogenes Spiel ohne den Hauch eines erkennbaren Widerspruchs mitspielt. Nicht etwa die Kurden sind eine Bedrohung für die Türkei, sondern ein größenwahnsinniger Erdoğan und ein uneiniges und unentschlossenes Europa sind es.

  • Danke. Auf diesen Artikel habe ich gewartet.



    Ich hoffe auf Frankreich. Die sitzen im Sicherheitsrat und im Gegensatz zu Merkel hat Macron bisher immer gut erkannt, was international möglich ist und sein Talent für stille Diplomatie bewiesen.



    Die französische Armée de l’Air ist entgegen der unseren auch schlagkräftig und schon seit 2014 in diesem Gebiet im Einsatz.



    Mein erster Gedanke, als ich las, dass von US Seite die NATO Flugdaten für die Türkei abgeschaltet wurden, war: Hoffentlich springt Frankreich ein, abgesprochen mit Putin und natürlich nicht ohne vorher bei der UN zu erklären, dass man kein Verbrechen in Nordsyrien zulassen wird; ... das würde die nebulösen Äusserungen Russlands zu erfolgreicher Diplomatie erklären.



    Dass sich Junker jetzt so lautstark meldet, zeigt ja schon das Mutti im Hintergrund laut trommelt.



    ...ich gebe zu, es schmerzt wenn Deutschland nur verbal "verurteilt" und die rechten Ungarn blockieren und vielleicht am Ende deutsche Panzer auf kurdische Siedlungen schiessen. Das macht mich wütend, weil die Kurden mir am Herzen liegen. Klar, die Gegend ist kein Paradies, aber der Mut der Kurden in den letzten Jahren und die Art wie Frauen und Männer gleichermassen in Militär und Verwaltung dort für Ruhe und Sicherheit sorgen, dass ist ein wertvolles Gut. Eine Schande das weg zu werfen.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Ich bin so wütend wie man nur sein kann über die Situation aber was wird realistischerweise passieren? Werden wir die YPG hochrüsten? werden wir die Bundeswehr schicken? Waffenlieferungen an die Türkei einstellen?



    Selbst die SPD lässt ja Waffen an Kriegsverbrecher liefern wenn da Jobs in SPD regierten Ländern dran hängen.



    Selbst dann das hält die Türkei keine 2 Minuten auf, einzig militärische Drohung kann die Türkei jetzt noch aufhalten und dafür haben wir ein paar Jahre zu lang gespart an unseren Streitkräften.

    • @83379 (Profil gelöscht):

      Da stimme ich ihnen zu.



      Mal angenommen, man würde die YPG aufrüsten und unterstützen. Dann ist eine militärische Drohung gegen die Türkei tatsächlich die nächste Konsequenz.



      Und dann? Wollen wir so weit gehen, dann auch den Waffengang anzutreten, um die Kurden zu unterstützen und unsere Drohung nicht zahnlos/lächerlich zu machen?

      Da käme dann eine verdammt lange Liste an problematischen Folgen zusammen.

  • Was fehlt: Türkei raus aus der NATO

    • @Michael Tripp:

      Warum? Die Türkei ist als NATO-Mitglied doch in bester Gesellschaft und würde auch ohne NATO ins syrisch-kurdische-Gebiet eindringen. Die Denkweise: Hier die liebe NATO und dort die böse Türkei, die in das tolle Militärbündnis gar nicht reingehört, ist quatsch und ein leicht zu durchschaubares Good Cop – Bad Cop Spiel. Am Ende sitzt die NATO in Syrien, und darum geht es doch letztendlich.

    • @Michael Tripp:

      In die NATO passt sie doch. Die NATO ist ein Militärbündnis, kein Wertesystem. Mit Neigung zu territorialen Neuordnungen, siehe Irak usw.. Die Türkei passt gut dazu. Aus der UNO vlt eher rauswerfen. Ach wobei, wer da alles Mitglied ist...