Erdoğan trifft Selenski in Lwiw: Seine liebste Rolle

Der türkische Präsident präsentiert sich als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland. Dabei geht es ihm vor allem um eigene Interessen.

Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin reichen sich vor Flaggen der Türkei und Russland die Hände

Präsident Erdoğan reicht Wladimir Putin die Hand Foto: dpa

ISTANBUL taz | Wenn der türkische Präsident Recep Tayyi Erdoğan heute auf Einladung des ukrainischen Präsidenten in der Ukraine mit Wolodimir Selenski und UN-Generalsekretär Antonio Guterres zusammentrifft, sieht er sich in seiner derzeit liebsten Rolle bestätigt: als erfolgreicher Vermittler und möglicher Friedensstifter in Russlands Krieg gegen die Ukraine.

Ausgezeichnet durch den Erfolg bei der Wiedereröffnung ukrainischer Häfen für Getreideexporte in alle Welt, hofft Erdoğan, nun den nächsten Schritt machen zu können: Ein Forum für direkte Gespräche zwischen Russland und der Ukraine zu schaffen, in dem möglichst unter türkischer Vermittlung Verhandlungen ausgelotet werden können. „Unser Ziel ist Frieden zwischen Russland und der Ukraine“, hieß es vor Erdogans Abflug nach Lwiw in einer Mitteilung aus dem Präsidentenpalast.

Obwohl nahezu alle Beobachter davon ausgehen, dass der Zeitpunkt für direkte Gespräche zwischen Russland und der Ukraine noch längst nicht gekommen ist, setzt Erdoğan doch unverdrossen auf Verhandlungen. Und zwar schon seit dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar.

Tatsächlich gelangen ihm in den ersten Kriegswochen zwei Achtungserfolge, als sich Ukrainer und Russen in der Türkei trafen und auch die Implementierung des Getreidedeals, den vor allem im Westen viele für nicht möglich gehalten hatten, bestätigte Erdoğan in seinen Vermittlungsbemühungen. Mit Beginn des Krieges stand die türkische Regierung scheinbar vor einem unüberwindbaren Dilemma. Sich rückhaltlos auf die Seite der Ukraine zu schlagen, hätte bedeutet, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland zu kappen und die Zusammenarbeit in Syrien zu beenden. Beides wäre für Erdogan zu einem Desaster geworden. Andererseits konnte er keinen Bruch mit der Nato und dem Westen riskieren.

Innerhalb der Nato knirschen sie mit den Zähnen

Aus diesem Dilemma entstand der Vermittler. Statt sich für eine Seite zu entscheiden, bot Erdogan seine guten Dienste als Moderator an und versuchte, sein Land ansonsten weitgehend neutral zu halten. Bislang hat das gut geklappt, er wird von beiden Seiten akzeptiert und auch wenn innerhalb der Nato angesichts der uneingeschränkten Wirtschaftsbeziehungen zu Russland, von denen die Türkei gerade sehr profitiert, so mancher vor allem in Deutschland mit den Zähnen knirscht, wird er doch nicht offen kritisiert. Möglichst früher als später wird man ja eine diplomatische Vermittlung brauchen.

Bei seiner neuen Rolle spielt Erdoğan in die Karten, dass nicht nur im Krieg zwischen Russland und der Ukraine die Türkei als Nachbar beider Staaten sich als Vermittler anbietet, sondern auch im Nahen Osten die Karten gerade neu gemischt werden. Die Wiederaufnahme voller diplomatischer Beziehungen mit Israel gehört dazu, aber auch in Syrien bahnt sich eine Zeitenwende an. Erdoğan, der sich in den letzten Jahren durch seine aggressive Politik im östlichen Mittelmeer mehr und mehr isoliert hatte, wollte schon länger die Beziehungen zu Israel wieder verbessern.

Seit dem Abgang des ihm persönlich verhassten Benjamin Netanjahu wurde verstärkt daran gearbeitet. Da Israel in der gesamten Region dringend Verbündete gegen den Iran sucht, war die neue Regierung auch gewillt, auf die türkischen Avancen einzugehen. Wahrscheinlich wird Erdoğan sich demnächst als Vermittler zwischen der Hamas und Israel anbieten.

Auch in Syrien steht Erdoğan zwischen den Fronten

Ein noch größerer Schwenk könnte in Syrien bevorstehen. Bei dem letzten Treffen zwischen Erdoğan und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin Anfang August in Sotschi, hatte Putin seinen Besucher offenbar dringend aufgefordert, endlich mit dem syrischen Diktator Assad zusammenzuarbeiten, statt erneut in Nordsyrien einzumarschieren.

Putins Drängen hat bereits Früchte getragen. Ende letzter Woche forderte der türkische Außenminister die syrische Opposition auf, sich langsam aber sicher mit dem Regime zu versöhnen. In den von der Türkei kontrollierten Gebieten in Nordsyrien kam es zu Protesten der bislang mit Erdoğan verbündeten Milizen. Die Syrer fühlen sich verraten, türkische Flaggen wurden verbrannt. Dennoch legte Çavuşoğlu Anfang der Woche noch einmal nach, eine politische Lösung sei überfällig. Dabei gab er auch bekannt, dass er sich im November letzten Jahres bereits einmal mit dem syrischen Außenminister am Rande einer Konferenz in Belgrad getroffen habe.

Erdoğans nächste Vermittlerrolle könnte sich also zwischen der syrischen Opposition und dem Regime in Damaskus abspielen, vorausgesetzt, die Kurdenfrage in Syrien wird dabei in seinem Sinne gelöst.

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