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ErderwärmungSo schnell wie Europa erhitzt sich kein Erdteil

Der Copernicus-Report zeigt, wie dramatisch der Kontinent vom Klimawandel betroffen ist. Klimaschützende warnen vor der neuen Bundesregierung.

Retten, was geht: Menschen bringen nach der Überschwemmung in Valencia im Oktober 2024 ihre Habseligkeiten in Sicherheit Foto: Susana Vera/reuters

Kein anderer Teil der Welt erhitzt sich so schnell wie Europa. Das geht aus dem gemeinsamen Bericht des EU-Klimadiensts Copernicus und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) hervor, der am Dienstag veröffentlicht wurde.

Laut Bericht prägte 2024 ein Ost-West-Gegensatz die klimatischen Verhältnisse in Europa. Zwar war es auf dem gesamten Kontinent außergewöhnlich heiß – während im Osten extreme Trockenheit vorherrschte, überwog im Westen aber eher feuchte Witterung. Westeuropa erlebte die heftigsten Überflutungen seit 2013.

Besonders von Hochwasser getroffen war die spanische Region Valencia. Weitere schwere Überschwemmungen gab es in Teilen Deutschlands und in Nachbarländern wie Polen, Österreich, Tschechien sowie in Italien, Ungarn, Rumänien und der Slowakei.

„Der Bericht 2024 zeigt, dass fast ein Drittel des Flussnetzes die Hochwasserschwelle überschritten hat und dass der Hitzestress in Europa weiter zunimmt“, sagt die Meteorologin Florence Rabier, „was deutlich macht, wie wichtig es ist, die Widerstandsfähigkeit zu verbessern.“ Sie leitet das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersagen, das den Copernicus-Dienst im Auftrag der Europäischen Kommission betreibt.

Viele Negativrekorde

Der Report zählt noch viele weitere Negativrekorde auf: So wurde der bisher massivste Gletscherverlust in Skandinavien registriert. Die Zahl der Tage mit starkem bis extremem Hitzestress war demnach 2024 in Europa die zweithöchste seit Beginn der Aufzeichnungen.

Als starker Hitzestress gelten Temperaturen ab 32 Grad Celsius, als extremer Hitzestress ab 38 Grad. In Südosteuropa wurden zwischen Juni und September gleich sechs Hitzewellen verzeichnet – darunter mit 13 Tagen Dauer die längste überhaupt gemessene.

Die Copernicus-Fachleute schätzen, dass durch Extremwetterereignisse wie Starkregen und Überschwemmungen im vergangenen Jahr mindestens 335 Menschen ums Leben kamen und Schäden von über 18 Milliarden Euro entstanden. Rund 413.000 Menschen waren direkt beteiligt.

2024 war das heißeste Jahr

Der Bericht bestätigt, was Copernicus bereits Anfang des Jahres veröffentlicht hat: 2024 war das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen – in Europa wie weltweit. Erstmals wurde die Marke von 1,5 Grad gerissen, die das Pariser Abkommen als Grenze für eine möglichst kontrollierbare Erderhitzung nennt. In Europa lag die Temperatur sogar um 2,92 Grad über dem vorindustriellen Niveau.

Das zeigt sich auch in den Ozeanen. Die Meeresoberflächentemperaturen lagen im europäischen Bereich um 0,7 Grad über dem langjährigen Durchschnitt. Im Mittelmeer seien die Durchschnittswerte sogar um 1,2 Grad überschritten worden.

Doch der Report enthält auch einige Lichtblicke: Der Anteil der erneuerbaren Energien an der europäischen Stromerzeugung stieg 2024 auf ein Rekordhoch von 45 Prozent. In immerhin 20 der 27 EU-Staaten kommt mittlerweile mehr Strom aus erneuerbaren als aus fossilen Quellen. 51 Prozent der europäischen Städte haben Strategien zur Klimaanpassung verabschiedet – vor sieben Jahren waren es noch 26 Prozent.

Die Bundesregierung muss handeln

Umwelt- und Klimaverbände fordern die künftige Bundesregierung zu schnellem Handeln auf. „Leider fürchte ich, dass die neue Regierung die Lücke zwischen Realität und nötigem Handeln nicht schmälert, sondern vergrößert“, warnt WWF-Klimaexpertin Fentje Jacobsen. Der Koalitionsvertrag liefere keine Antwort auf die fortschreitende Klima- und Biodiversitätskrise.

Sie erwarte, von den angekündigten Rückschritten etwa im Verkehrs- und Gebäudesektor abzulassen. „Echter Klimaschutz muss auch vor der eigenen Haustür stattfinden, statt CO2-Einsparungen in anderen Ländern einzukaufen“, fordert Jacobsen. Union und SPD planen, Emissionsminderungen auch in anderen Staaten anzurechnen, obwohl dabei in der Vergangenheit oft betrogen wurde.

Fridays for Future nimmt den Bericht zum Anlass für ähnlich scharfe Kritik: „Wir kommen uns langsam wie eine kaputte Schallplatte vor, wenn wir wieder und wieder Klimaschutz einfordern müssen“, sagte Sprecherin Carla Reemtsma.

Im April brennen im Rheinland Wälder, Schiffe liegen am Grund des ausgetrockneten Bodensees und können nicht mehr durch den Rhein fahren. All das seien Folgen der Klimakrise: „Greifbar, sichtbar, spürbar“, so Reemtsma. In einer 2-Grad-Welt würden in Südeuropa die meisten der heute existierenden Ökosysteme nicht überleben, warnt die Aktivistin. „Das heißt: keine Tomaten, Gurken, Orangen aus Spanien mehr im Supermarkt.“

Klimaschutz scheitere laut Reemtsma allein am politischen Willen. „Friedrich Merz muss kein Fan von Klimaschutz sein, machen muss er’s trotzdem – sonst wird er der Realität nicht gerecht.“ Die Bewegung werde mit Protesten auch auf die neue Regierung Druck machen, damit diese ihrer Verantwortung nachkommt.

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18 Kommentare

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  • Und da hieß es früher immer, der globale Süden hätte viel mehr Erhitzung zu verkraften als Europa.

  • In Analogie zu dem Beitrag "Kampflos in die Unfreiheit" u.ä. frage ich mich gerade, ob es die Menschheit bzw. die jetzige Biosphäre es eigentlich wert ist, dass ich meine persönliche Freiheit (Konsumverhalten) einschränken soll...

  • wäre Klimaschutz in der Bevölkerung verankert und selbstverständlich, würde es nur wenig Politik benötigen. Und es wäre auch weniger wichtig, ob ein Kanzler Klimapolitik mag oder nicht. WIr hättes es doch zum großen Teil selber in der Hand umd Co2 massiv einzusparen in unserem täglichen Leben.

    Schaue ich aber derzeit an die Airports sehe ich Urlauber ohne Ende in die Osterferien fligen. Das wird an Pfingsten und im Sommer nicht anders sein. Dazu Millionen von PKW´s für Wochenend- und Urlaubsfahrten etc. Niemand möchte verzichten. Also her mit dem Orchester, spielt auf ! - während das Schiff untergeht.

  • Wer nichts tut oder unpolitisch ist, macht sich dem Ökozid mitschuldig. Daher: Klima retten! Ein Nein wird nicht akzeptiert.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Fragen Sie mal nach, inwiefern diejenigen, die was tun, auch mitschuldig sind.

      Nach dem Aktivismus zur Erholung nach Thailand, weil man da ja noch nicht war.

      Als jemand, der in seinem Leben nur eine handvoll Male geflogen ist und wegen des Klimas beschlossen hat, das nun auch nicht mehr zu tun, frustrierte mich das.

      Ihr Maßstab zur Schuldverteilung überzeugt mich nicht.

  • Klimaschutz ist halt so ein Ewigkeitsthema, immer da, aber da auch immer negativ, auf Dauer immer wieder von anderen Problemen, die man kurzfristig lösen kann und anderen Meldungen abgelöst. Und sei es eine queere Theaterperformance.



    Dazu tragen die Meldungen auch selbst bei, die Studie sagt nicht, das sich Europa immer zu stark erhitzt, sondern es war 2024 so. Vielleicht, ein wenig Hoffnung darf man noch haben, wird es auch mal anders.



    Die Tomaten und Gurken wachsen auch nicht in Ökosystemen, sondern in der Plastewelt Südspaniens. Die könnte dann auch problemlos nach Schweden umziehen…..wenn es denn das einzige Problem wäre.



    Aber ja, Merz wird die Reduktion der CO2 Emission weiter voranbringen müssen. Es werden aber soviele andere Probleme anstehen, dass das nicht ausreichen wird. Wobei, bei einer Rezession , und sei sie Trumpschen Ursprungs, wird weniger ausgestossen.

  • Das wirklich erschreckende ist, dass inzwischen niemand mehr ernsthaft daran denkt, gegen die Klimakatatrophe ursächlich etwas zu tun. Wenn man so die Berichterstattung aus Städten, Ländern und der Bevölkerung hört, geht es immer nur noch um Schutz vor Klimaschäden, um Vorbereitung auf die "unabwendbare" Klimakatastrophe.



    Damit können die Menschen anscheinend umgehen, aber nicht mit der Ursachenbekämpfung.



    Ich schätze, die Letzte Generation hat ihren Namen wirklich sehr treffend gewählt.

  • Ich selbst bin für konsequentes Wegkommen von fossilen Brennstoffen bei Fernwärme, wo man z.B. für Berlin eigentlich schon öffentlich klares Konzept haben könnte, welches auch E-Kessel sowie Batteriespeicheranlage beinhalten könnte. Und beim Verkehr, könnten eher E-Mopeds, bzw. E-Choppers, gefördert werden, statt allen Leuten ständig ein Premium-Produkt andrehen zu wollen, welches sich auch in Europa nicht jeder leisten kann. Um mal paar Beispiele zu nennen. :)

  • Das ist ja alles richtig, aber die 2% deutschem Beitrag zum CO2-Ausstoss sind eben nur ein Beitrag zum weltweiten Gesamtausstoss. Jeder entsorgt das Zeug in der Atmosphäre. Aus den Augen, aus dem Sinn. Und dann verteilt es sich weltweit.



    Mit Atommüll geht man irgendwie verantwortungsvoller um - der wird (jedenfalls nicht bei uns) einfach in der Umwelt entsorgt.

    • @Carsten S.:

      Das sind immer noch 100 % über dem Durchschnitt der Weltbevölkerung an CO² -Ausstoß pro Bewohner. Das in Deutschland gerne von der persönlichen Verantwortung abgelenkt wir, weil die Staatsgläubigkeit hoch ist . Aber dieser Staat, als unseren kann man ihn ja nicht bezeichnen, ist gekapert von wirtschaftlichen Interessen, handlungsunfähig. Ich war am Montag auf einer Veranstaltung zur Wärmeleitplanung in meiner Gemeinde, da der Vortrag erstaunlich einseitig und unbedarft daherkam, habe ich mir die Muth Gmbh als Veranstalter angeschaut. Diese ist eine Tochter des lokalen Energieversorgers und Netzbetreibers. Bock zum Gärtner gemacht. In diesen Strukturen werden wir (das kleine) alle Klimaziel verfehlen.

      • @Dodoist:

        Ja gut, welcher Staat hat da keine wirtschaftlichen Interessen. Ihr Argument hinsichtlich des höheren CO² -Ausstoß pro Bewohner ist zwar moralisch richtig, auf das Klima bezogen aber trotzdem irrelevant. Es geht nicht um persönliche Verantwortung sondern um die Frage, in welchem Teil der Welt werden die meisten Emissionen produziert und wie bekomme ich die reduziert. Dem Klima ist total egal welcher Staat pro Kopf prozentual am meisten ausstößt oder welches Land historisch gesehen die meiste "Schuld" aufgebaut hat: es geht nur darum: an welcher Stelle kommen gegenwärtig der meiste Dreck in die Luft. Da muss man zuerst ran. Danach Schritt für Schritt die Länder mit geringerem Anteil. Aber so wie das derzeit vertraglich geregelt ist, dass jeder Staat seine Klimaziele eigenständig erreichen soll, wird das nie etwas werden.

    • @Carsten S.:

      "Mit Atommüll geht man irgendwie verantwortungsvoller um - der wird (jedenfalls nicht bei uns) einfach in der Umwelt entsorgt"



      Ich bin zwar kein absoluter Gegner von AKWs, aber das mit dem Müll verantwortungsvoller umgegangen wird, da spricht viel dagegen.



      Die USA versenkten bis in die 90er Atommüll einfach so im Meer - Pazifik wie Atlantik, geschätzt wird irgendwas plusminus 100.000 Fässer und 200.000 Kubikmeter radioaktive Flüssigkeit in verschiedensten Konzentrationen.



      Für Russland war/ist die Karasee praktizierte Universallösung für Atommüll, Atom-U-Boote, etc...



      China hat auch sein spezielles Plätzchen für derartigen Müll im stillen Wasser.



      Und von den "verlorenen Atombomben" wollen wir erst gar nicht anfangen. Zwar zählen dazu auch Fehlzündungen und Abstürze, aber tatsächlich sind auch schon Atombomben einfach so unterwegs verloren gegangen...🤷‍♂️



      Bei den Russen kann man es nur schätzen, bei den USA weiß man es etwas genauer - mit plusminus 100 verlorenen Atombomben die irgendwo in den Ozeanen schlummern sind wir grob dabei.



      AKWs als Energiebrücke gegen die Klimaerwärmung bis zur Dekarbonisierung sind eine Option, aber verantwortungsvoller Umgang, nun ja, fraglich.

  • Der Handlungsdruck, endlich konsequente Klimaschutzpolitik zu machen, wird immer größer, keine Frage. Bewiesen wird dies seit Jahr(zehnt)en immer wieder. Alleine die Realitätsverweigerung vieler Zeitgenossen ist besorgniserregend. Und dann gibt es zusätzlich die Politikverweigerer. Die aktuelle Politik ist ja letztlich nur ein Spiegel dessen. Ich bin ja überhaupt kein Pessimist, aber derzeit ist es schwer, nach vorne zu schauen. Ich werde mich trotzdem weiterhin an vielen Protestaktionen beteiligen und Druck aufbauen. Bleibt eh' nix anderes übrig. Unseren derzeitigen Lebensstil werden wir nicht mehr lange durchhalten können.

  • Selbst wenn Deutschland das hauptbetroffenste Land überhaupt wäre: Nur die weltweiten Gesamt-Emissionen sind relevant, die Musik spielt schon längst in China und Indien, und nichts was die nächste Regierung unternimmt oder unterlässt wird den Klimawandel nennenswert beeinflussen.



    Eine Vorbildfunktion hat Dtld. schon lange nicht mehr; die Energiepolitik ist eher ein abschreckendes Beispiel wie man auch mit sehr viel Geld sehr wenig erreichen kann wenn man nur genug falsch macht.



    Die Auswirkungen abmildern dagegen, das muss die Regierung schon tun (ist aber langweilig, undramatisch, und nicht das, was Klimaaktivisten wollen).

    • @Descartes:

      Wahrscheinlich würde es tatsächlich reichen, wenn nur die TOP 10 der 195 Länder weltweit ihren CO2-Ausstoss deutlich reduzieren würden. Blöd nur, dass Deutschland auf Platz 6 steht, oder? Hinter Deutschland dürfen sich nach Ihrer Logik also 189 Länder verstecken ("...solange Deutschland nicht handelt, brauchen wir nix tun..."). Und Deutschland steht auch nicht nur für sich, sondern als Teil der EU für einen größeren Anteil an CO2-Ausstoß (größer als Indien).



      Was China angeht, hat sich die Zunahme der C02-Emissionen eingebremst und wird als demnächst rückläufig prognostiziert. In der Angelegenheit bleibt nur, an einem Strang zu ziehen zu versuchen.



      Deutsche Firmen haben auch einen Anteil an Chinas Emissionen durch deren dortige Produktion so wie sehr viele andere Länder auch. Auch hier besteht ein gewisser Einfluss.

      Klar, USA und China werden die großen Gamechanger sein müssen. Aber Kleinvieh (Deutschland und andere "unwichtige" Länder) macht in der Summe auch Mist.

      70% der Emissionen kommen eben nicht aus China!

      • @Sisone:

        Ergänzung:

        Im Jahr 1990 lag der CO2-Ausstoß Deutschlands bei 1.251 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalenten.



        Im Jahr 2023 lag der CO2-Ausstoß Deutschlands bei 674 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalenten.

        Im Jahr 2000 lag der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch in Deutschland bei rund 6 Prozent.



        Im Jahr 2024 lag der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch in Deutschland bei rund 54 Prozent.

        Warum sollte Deutschland nicht als Vorbild dienen können? Hätte Deutschland sich nicht angestrengt, lägen wir heute mit unserem CO2-Ausstoß bei knapp der Hälfte von Indien bei einer Einwohnerzahl von 1/18 von Indien.

  • Wir werden den unumkehrbaren Teil vom Klimawandel erleben und es ist zu befürchten, dass diese Regierung sich dabei eher um die Wirtschaft und die Interessen des oberen 1% der Vermögenden verdient machen wird. Die Kosten werden die Normalbürger tragen dürfen.

    • @Axel Schäfer:

      Die 18 Milliarden EUR Schäden müssen nun repariert werden. Diese Investitionen sind gut für die Wirtschaft und ein Beitrag zum Wirtschaftswachstum. Wir sollten uns freuen.



      (Glosse)