Erdbeben in der Türkei und Syrien: Erdoğan ruft Notstand aus

Laut WHO könnten bis zu 23 Millionen Menschen den Folgen des Bebens ausgesetzt sein. Annalena Baerbock fordert die Öffnung aller Grenzübergänge.

Zahlreiche Menschen auf Trümmern

Auf der Suche nach Überlebenden in Hatay, Türkei Foto: Umit Bektas/reuters

ISTANBUL/BERLIN dpa/afp/rtr | Einen Tag nach den verheerenden Erdbeben in der Türkei ruft Präsident Recep Tayyip Erdoğan den Notstand aus. Er gelte für drei Monate in zehn betroffenen Provinzen im Süden des Landes, sagte Erdoğan am Dienstag. Zugleich erklärte er die Region zum Katastrophengebiet. 70 Länder hätten inzwischen Hilfe bei den Such- und Rettungsmaßnahmen angeboten, sagte Erdoğan weiter. Die Regierung plane zudem, von den schweren Erdstößen betroffene Menschen vorübergehend in Hotels in der westlich gelegenen Tourismusmetropole Antalya unterzubringen.

Von dem Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet könnten nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis zu 23 Millionen Menschen betroffen sein. Eine Übersicht der betroffenen Gebiete in beiden Ländern ergebe, dass „potenziell 23 Millionen Menschen“ den Folgen des Bebens ausgesetzt seien, darunter fünf Millionen ohnehin besonders verletzliche Menschen, erklärte die hochrangige WHO-Vertreterin Adelheid Marschang am Dienstag in Genf.

Immer weiter steigt die Opferzahl im türkisch-syrischen Grenzgebiet – und nach wie vor werden viele Menschen unter den Trümmern vermutet. Insgesamt liegt die Zahl der Toten inzwischen nach Angaben vom Dienstagmorgen bei über 5.000. Bisherigen Informationen zufolge wurden in der Südtürkei und in Nordsyrien zudem mehr als 23.500 Menschen verletzt. Tausende Gebäude stürzten ein. Zahlreiche Länder sagten Unterstützung zu, auch aus Deutschland machten sich inzwischen Hilfsteams auf den Weg.

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Am frühen Montagmorgen hatte ein Erdbeben den Südosten der Türkei und Regionen in Syrien erschüttert. Mittags folgte in derselben Region ein weiteres Beben der Stärke 7,5. Es gab zudem Hunderte Nachbeben.

Retter in Syrien vermuten, dass noch immer Hunderte Familien unter den Trümmern begraben sind. Die Suche über Nacht sei aufgrund von Sturm und fehlender Ausrüstung nur „sehr langsam“ verlaufen, hieß es von den Weißhelmen, die in den von Rebellen gehaltenen Gebieten Syriens aktiv sind. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte seien zudem auch Mediziner überfordert und könnten nicht allen Verletzten das Leben retten.

Am Dienstagmorgen berichtete eine Augenzeugin der Deutschen Presse-Agentur, im südtürkischen Hatay sei der Strom ausgefallen. Hilfe werde dringend benötigt. Die Tankstellen hätten kein Benzin mehr und es gebe kein Brot zu kaufen. Auch in der Nachbarprovinz Osmaniye sei der Strom ausgefallen, sagte eine Reporterin des Senders CNN Türk. In der südosttürkischen Metropole Diyarbakır verbrachten viele Menschen die Nacht draußen, in Schulen oder Moscheen, wie ein dpa-Mitarbeiter berichtete. „Die Menschen haben Angst, in ihre Häuser zurückzukehren.“ Mehrere Nachbeben seien zu spüren gewesen und es sei bitterkalt. Die Zelte der Katastrophenschutzbehörde Afad seien nicht beheizt und reichten nicht aus.

Temperaturen um den Gefrierpunkt

In Syrien haben die verheerenden Erdbeben nach UN-Angaben vor allem Menschen getroffen, die ohnehin schon schutzlos unter desaströsen Bedingungen lebten. Viele Binnenflüchtlinge, die vor der Katastrophe in baufälligen Unterkünften wohnten, mussten die Nacht bei Schnee und eisigen Temperaturen im Freien verbringen, wie eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR der Deutschen Presse-Agentur am Dienstagmorgen sagte. „Bei den vielen Nachbeben und Erschütterungen hatten die Menschen Angst, in ihren Häusern zu bleiben.“

Einige der betroffenen Gebiete seien zudem abgelegen und nur schwer erreichbar. Es gebe unter anderem nicht genügend Notunterkünfte, Decken und warme Kleidung für die Erdbebenopfer. In dem Bürgerkriegsland leben rund 6,8 Millionen Binnenvertriebene.

Im Katastrophengebiet herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt. Viele Menschen können nicht in ihre Häuser zurück, weil diese eingestürzt sind oder eine Rückkehr angesichts der zahlreichen Nachbeben zu gefährlich wäre.

Die Türkei bat ihre Nato-Partner unter anderem um drei für extreme Wetterbedingungen geeignete Feldkrankenhäuser und Personal dafür.

Der türkische Vizepräsident Fuat Oktay teilte am späten Montagabend mit, dass etwa 8.000 Verschüttete aus den Trümmern gerettet worden seien. Es wurden demnach sogar mehr als 20 Stunden nach dem ersten Beben weiterhin Menschen lebend geborgen. Allerdings schwinden die Chancen mit jeder Minute.

In dem betroffenen Bereich habe es seit etwa 900 Jahren kein so großes Beben mehr gegeben, sagte die Geologin Charlotte Krawczyk vom Geoforschungszentrum Potsdam der ARD. Ob und wann weitere große Beben folgen, könne nicht vorhergesagt werden.

Mit am schwersten getroffen ist die Region Idlib

Griechenland schickte trotz der Spannungen mit der Türkei am Montag eine Rettungsmannschaft mit Spürhunden ins Erdbebengebiet. Das Technische Hilfswerk (THW) bereite die Lieferung von Notstromaggregaten, Zelten und Decken vor, kündigte Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser (SPD) am Montag an. Die EU-Staaten wollen sich untereinander abstimmen. Hilfszusagen kamen etwa auch aus Großbritannien, Indien, Pakistan, Finnland, Schweden, Russland, der von Russland angegriffenen Ukraine sowie den USA.

Eines der am schwersten vom Erdbeben betroffenen Gebiete ist die Region Idlib in Syrien, die von Rebellen gehalten wird. Dies dürfte dort die staatliche Nothilfe erschweren. Nach mehr als elf Jahren Bürgerkrieg kontrollieren Regierungstruppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad wieder rund zwei Drittel des Landes.

Baerbock fordert Öffnung der Grenze

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat die Öffnung aller Grenzübergänge gefordert, um schnelle humanitäre Hilfe auch in Syrien zu ermöglichen. Derzeit gebe es nur einen offenen Grenzübergang, der bei dem Erdbeben aber auch beschädigt worden sei, sagte die Grünen-Politikerin am Dienstag in Berlin. „Deswegen ist die Öffnung der Grenzübergänge so zentral.“ Es sei „das absolute Gebot jetzt, dass die humanitäre Hilfe dort ankommt, wo sie gebraucht wird“.

Im Nordwesten Syriens sei die Versorgung der Menschen ohnehin schon schwierig. „Deswegen sollten alle internationalen Akteure – Russland eingeschlossen – ihren Einfluss auf das syrische Regime nutzen, dass die humanitäre Hilfe für die Opfer dort auch ankommen kann“, betonte Baerbock. Es dürften keine zusätzlichen Hürden aufgebaut werden, weil es hier auf jede Minute ankomme.

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