ein Fluss ist mit weißem SChaum bedeckt

Foto: Imtiyaz Khan/Anadolu Agency/picture alliance

Entwicklungszusammenarbeit mit Indien:Reines Wasser einschenken

Deutschland möchte Indien beim Wassermanagement unterstützen. Unterwegs mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD).

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Aus delhi, varanasi, 12.6.2023, 07:50  Uhr

Leben und Tod liegen an den sieben heiligen Flüssen Indiens nahe beieinander. Am Yamuna Ghat, in der Hauptstadt Neu-Delhi, wird einem Kleinkind der Kopf geschoren. Ein Ritual, das den Aufbruch in die Zukunft symbolisiert. Andere schwimmen hier im Yamuna, dem wichtigsten Nebenfluss des Ganges. Auch wenn das Wasser trüb aussieht und einen leicht unangenehmen Eigengeruch hat. Ein Bad kühlt bei heißen 40 Grad ab. Ein paar Kilometer flussabwärts feuerbestattet Priester Acharya Sompal Mahapatra die Leichen verstorbener Hindus am selben Flusslauf. Ihre Asche wird dann dem Strom übergeben, der sich bis über 600 Kilometer nach Allahabad schlängelt.

Doch wie viel Badevergnügen, Abwasser und andere Fremdstoffe, etwa aus der Landwirtschaft, verträgt der Yamuna? Der Flussabschnitt, der durch die indische Hauptstadt führt, gehört zu den am stärksten verschmutzten des Landes. Wie am bekannteren Ganges soll es bereits zu einem Rückgang der Artenvielfalt gekommen sein. Auf verschiedenen Ebenen wird deshalb geplant, finanziert und gebaut, um den Fluss zu reinigen – auch mit Geldern und nach Vorbildern aus Deutschland und der EU.

„Ich sehe Verbesserungen“, sagt die angereiste SPD-Politikerin Svenja Schulze, als sie lässig in Turnschuhen am Yamuna Ghat in Delhi steht. Auch wenn noch nicht alles umgesetzt sei. Die 54-Jährige verbindet ihren Delhi-Besuch mit dem Treffen der Ent­wick­lungs­mi­nis­te­r:in­nen der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, bekannt als G20, das am Montag in der Gangesstadt Varanasi stattfinden soll. Doch es ist nicht ihre erste Reise.

2019 eröffnete sie in Delhi das deutsch-indische Umweltforum mit dem Schwerpunkt Klimaschutz. Diesmal kam sie in ihrer Funktion als Entwicklungsministerin mit einer Delegation am Wochenende vor dem G20-Treffen an. Der Fokus ist heute klarer definiert: Erneuerbare Energien, Agrarökologie und Entwicklungszusammenarbeit mit Drittstaaten stehen im Vordergrund. Vor gut einem Jahr unterzeichnete sie entsprechende Abkommen mit Indien. Bei all dem will sie den Klimaschutz mitdenken. Das macht sie auf ihrer Reise immer wieder deutlich.

Etwas Positives aus der Situation möchte auch die indische Wasserexpertin Nupur Bahadur ableiten: „Das Thema Wasser rückt immer mehr in den Vordergrund“, sagt sie. Auch wenn die Wasserkampagne nicht mehr in aller Munde ist, gehe sie weiter. Wasser ist eines der großen Themen in Indien und macht regelmäßig Schlagzeilen. Vor allem, wenn es zu wenig, zu viel oder zu verschmutzt ist.

Zur Verschmutzung wie am Yamuna-Fluss tragen vor allem ungeklärte oder unzureichend geklärte Abwässer bei. Ein Problem sei weiterhin, die genauen Quellen der Verschmutzung zu identifizieren, sagt Bahadur. Sie arbeitet am TERI-Kompetenzzentrum für Wasserwiederverwendung in Delhi.

Die Wasserexpertin fordert zudem ein Umdenken: „Es ist an der Zeit, Abwasser nicht nur zu reinigen, sondern damit auch Geld zu verdienen“, sagt sie. Als Beispiel nennt sie die indische Stadt Surat, die mit der Reinigung von Wasser hohe Beträge erwirtschaftet. An ihrem Wasserzentrum wird auch erforscht, wie die Erkenntnisse aus der Reinigung des Ganges auf den Yamuna übertragen werden können. Eines der größten Wasserprojekte in Indien ist der Versuch, den 2.500 Kilometer langen Ganges zu reinigen. Es ist ein Mammutvorhaben mit vielen Anläufen.

Seit 2016 unterstützt die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) das Vorzeigeprogramm der Modi-Regierung „Namami Gange“ („Sauberer Ganges“). Sie berät bei der Verbesserung der Leistung von Kläranlagen im Norden Indiens sowie beim Management des Einzugsgebiets. Ein GIZ-Projekt, das ab Herbst in der dritten Phase weiterlaufen soll. „Unser Beitrag ist nicht nur ein finanzieller, sondern wir bringen Know-how in das Projekt ein, wie das gesamte Einzugsgebiet des Ganges wieder sauberer werden kann“, so Entwicklungsministerin Svenja Schulze.

Indien sei zentraler Partner in Asien, war schon von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu hören. Und die westliche Balz um Annäherung wird weitergehen. Dabei bedeutete Asien für viele lange Zeit vor allem China. Mit den wachsenden Spannungen westlicher Staaten gegenüber China und den Folgen des Ukrainekriegs hat sich die Position Indiens jedoch verändert. Das Interesse an dem Land wächst, trotz autoritärer Züge unter der Regierung von Narendra Modi und seiner hindunationalistischen Regierungspartei BJP.

Aus Deutschland kam zuletzt neben Scholz und Außenministerin Baerbock auch Verteidigungsminister Boris Pistorius. Schulzes zweiter Indien-Besuch war zumindest in der Hauptstadt weniger laut als bei ihrem Parteikollegen Pistorius, den Vertreter aus der Wirtschaft begleiteten. Während seiner Reise wurde eine Absichtserklärung für ein U-Boot-Joint-Venture mit thyssenkrupp Marine Systems unterschrieben.

Man fängt etwas scheinbar Kleines an, doch die Idee für ein internationales Plastikabkommen, daran arbeite nun ihre Nachfolgerin im Bundesumweltministerium Steffi Lemke weiter, so Schulze in Delhi. Dass die Reinigung des Ganges ein wichtiges Projekt ist, das steht für sie außer Frage. „Wenn wir es schaffen, hier zum Beispiel die Plastikabfälle zu reduzieren, dann hilft es den Weltmeeren.“ Das sei nicht nur gut für die Region, sondern für die ganze Welt. Sie unterstreicht damit Indiens Rolle: „Nur gemeinsam mit Indien können wir globale Probleme lösen“, so Schulze. Eine Schlussfolgerung, die sich wohl auch auf Armut und Klimaschutz übertragen lässt.

Schulze wirbt für eine Reform der Weltbank: „Die Weltbank ist gegründet worden, um Armut zu bekämpfen und die Entwicklung der Staaten voranzubringen“, sagte die Entwicklungsministerin während ihres Besuchs. Man könne heute Armut nicht mehr bekämpfen, ohne zu berücksichtigen, was der Klimawandel bedeutet, betonte sie. Deutschland gehört nach den USA und Japan zu den größten Geldgebern. Sie hofft mit dem neuen indisch-amerikanischen Weltbankchef Ajay Banga auf Änderungen. Banga hatte erst kürzlich angekündigt, die Privatwirtschaft bei der Vergabe stärker einzubeziehen.

Aktuell beläuft sich die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Indien jährlich auf etwa 1 Milliarde Euro, vor allem in Form von günstigen Krediten. Die Bundesregierung beziffert die Summe des BMZ mit Indien einschließlich nichtstaatlicher Mittel auf ungefähr 11 Milliarden Euro, 6 Milliarden davon entfallen in den Energiesektor „für ein umwelt- und klimaschonenderes Wachstum“.

Die indische Kohleproduktion ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Zugleich setzt das Land auf erneuerbare Energien sowie grünen Wasserstoff

Bei letzten Regierungskonsultationen wurde mit Indien eine Partnerschaft für erneuerbare Energien verhandelt sowie überwiegend günstige Kredite für eine Energiewende. Kein anderes Land erhält so viel Unterstützung aus Deutschland, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Dahinter steckt auch die Idee, Indien den Kohleausstieg zu erleichtern. Bisher war das Interesse an der „Just Energy Transition Partnership“ (JETP), die auf dem G20-Gipfel in Bali ins Leben gerufen wurde, aber geringer. Im Gegensatz dazu haben Südafrika, Indonesien und Vietnam bereits zugesagt.

Menschen mit gelben Westen stehtn um einen Plan herum

Bauplan für die größte Kläranlage Asiens: Schulze mit indischen Vertretern des Projekts in Delhi Foto: Foto: Natalie Mayroth

Doch Indien pocht auf eine Energiewende nach eigenen Vorstellungen, die zunächst ohne einen Kohleausstieg auskommt. Nach Angaben des indischen Kohleministeriums ist die indische Kohleproduktion in den letzten fünf Jahren um rund 23 Prozent gestiegen. Gleichzeitig setzt das Land auf erneuerbare Energien sowie grünen Wasserstoff. Der Weg weg von der Kohle wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Allerdings hat sich die Regierung Modi bisher das ehrgeizige Ziel gesetzt, 500 Gigawatt nicht fossile Energie bis 2030 zu installieren. Und die wird Indien brauchen. Denn nicht nur die Bevölkerung wächst, sondern auch der Bedarf. Längst ist nicht jedes Dorf in Indien elektrifiziert – und selbst in Großstädten wie Delhi oder Varanasi sind kurzfristige Stromausfälle keine Seltenheit.

Gleichzeitig ist in Indien ein selbstbewussteres, nationalistischeres Selbstverständnis herangewachsen, das die alten Armutsklischees hinter sich lassen will. Und das Vorreiter in Sachen Klimapolitik werden will. Wie bei der deutsch-indischen Entwicklungszusammenarbeit liegt Indiens Schwerpunkt im Energiesektor. „Grüne Entwicklung ist eine der wichtigsten Prioritäten Indiens, sowohl innenpolitisch als auch auf der G20-Agenda“, sagt der Energieexperte Promit Mookherjee, der bei der Denkfabrik Observer Research Foundation (ORF) in Delhi zu Energiewende und Klimapolitik forscht.

Schon bei den vierten Regierungskonsultationen 2017 wurde ein milliardenschwerer Entwicklungsetat unterzeichnet, doch nun wird auch Indien ernster genommen. Was im bevölkerungsreichsten Land funktioniere, könne auch in anderen Ländern eine Lösung sein, meint Ministerin Schulze und erklärt, dass sich die Idee hinter der Entwicklungszusammenarbeit verändert hat: „Wir arbeiten in einer Partnerschaft zusammen“, sagt sie. Bei den sogenannten Dreieckskooperationen entwickelten Länder gemeinsame Ideen und lernten dabei voneinander. Die Kosten davon trägen sowohl Deutschland als auch Indien.

Ob die Zukunft mit elektrischer Einäscherungsanlage noch für den Hindu-Priester Acharya Sompal Mahapatra kommt, bleibt dahingestellt. „Seit über 50 Jahren führe ich Rituale und Gebetsdienste durch“, sagt er. Er leitet ein Krematorium am Rande Delhis. Von seinem Arbeitsplatz aus, dem Shamshan Ghat, schweift der Blick über den Strom zum benachbarten Bundesstaat Uttar Pradesh. Der Ort ist markant, zwei Hauptautobrücken überqueren den Fluss hier und führen den Hauptverkehr der Stadt in und aus dem Ballungsraum.

Diese Flussübergänge waren schon oft auf Fotos zu sehen, wenn dort die Chhath-Zeremonie stattfand. Bei diesem hinduistischen Fest stehen Frauen knietief im Wasser und beten zum Sonnengott Surya und seiner Gemahlin Chhathi Maiya. Früher badeten die Menschen auch in diesem Teil des Flusses, doch im Laufe der Jahre verschlechterte sich die Wasserqualität so sehr, dass der Yamuna bekannt geworden ist für den weißen, giftigen Schaum. „Das Wasser hier ist schmutzig“, sagt auch Hindu-Priester Sompal. Der Druck auf die Regierung wuchs. Im November vergangenen Jahres wurde die Zeremonie im Yamuna verboten. Je weiter man sich dem Fluss Richtung Stadtrand nähert, desto stärker wird der Geruch. Es sind zu viele Abwässer, die aus der Hauptstadt in den Fluss fließen.

Unweit vom Shamshan Ghat wird deshalb eine neue Super-Kläranlage gebaut, die zudem Biogas produzieren und Strom erzeugen soll. Mit einer Reinigungsleistung von 564 Millionen Litern pro Tag soll sie die größte Asiens werden. Die Betonstrukturen von Klärbecken und riesigen Rohren sind bereits zu erkennen. Teil des Projekts sind künstliche Seen, die das Grundwasser wieder auffüllen sollen. Gerade liegt durch die Bauarbeiten besonders viel Staub in der Luft.

Es ist ein ehrgeiziges Projekt, das von der Erfahrung der japanischen Entwicklungsagentur JICA profitierten soll und zudem von der Weltbank im Rahmen eines Ganges-Projektes unterstützt wird. „Der Ganges ist Indiens wichtigste kulturelle, wirtschaftliche und ökologische Ressource“, unterstreicht Sameer Kumar Khare aus dem indischen Finanzministerium. Im Einzugsgebiet, das vom Himalaja bis zum Golf von Bengalen reicht, leben immerhin über eine halbe Milliarde Menschen, die darauf warten, dass sich die Gewässer wieder erholen.

Strom aus Photovoltaikanlagen

Ein weiterer Stopp bei Svenja Schulzes Reise: das Stadtviertel Hauz Khas in Delhi. Hier sorgt ein Solarprojekt dafür, dass es in der Umgebung weniger Stromausfälle gibt. Zu Stoßzeiten, wenn zum Beispiel alle gleichzeitig die Klimaanlage einschalten, hält das Netz nicht immer mit, erklärt ein Projektmitarbeiter der GIZ. Dann kommt es zu Stromausfällen für alle Haushalte, die nicht an einen Dieselgenerator angeschlossen sind.

Als Notstromversorgung sind Generatoren in vielen Entwicklungsländern noch unverzichtbar. Im Süden der Hauptstadt wird in einem Pilotprojekt eine Alternative erprobt: Strom aus Photovoltaikanlagen, der nicht sofort ins Netz eingespeist, sondern in Batterien gespeichert und dann abgegeben wird, wenn der lokale Strombedarf besonders hoch ist.

Das Wasser, das gebraucht wird, um die Anlagen von Staub zu befreien, wird auch noch zur Bewässerung kleiner Gemüsebeete verwendet. „Was ich faszinierend finde, ist, dass wir zum Beispiel anstoßen, wie man Solar- und Batterieelektrik so zusammenbringt, dass dann das Stromnetz stabilisiert wird“, sagt Schulze. Das Konzept sei so erfolgreich, dass es nachgebaut wird. Entwicklungsministerin Schulze erlebte bei ihrem Besuch auf dem Subkontinent ein Land, das sich vom Klischee der Armut lösen will. Durch seine Ambitionen bei erneuerbaren Energien und grünem Wasserstoff will Indien dabei als fortschrittliches Land auftreten.

Deutschland hat es zwar als Partner an seiner Seite. Doch Indien ist nicht nur an Kleinprojekten und Krediten interessiert, sondern auch an Investitionen. „Die von Deutschland zugesagten Mittel werden nur dann eine große Wirkung entfalten, wenn es gelingt, größere private Kapitalinvestitionen anzustoßen“, betont Energieexperte Mookherjee. Von Pilotprojekten bis zu großen Kläranlagen, es sind viele Bemühungen, die den Herausforderungen an Wasser- und Stromversorgung mit einem kleineren ökologischen Fußabdruck gerecht werden wollen. Und es wird noch viele solcher Initiativen brauchen.

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