Entschuldigung von Politiker:innen: Die politische Nonpology
Karl Lauterbach und Frank-Walter Steinmeier wurden dafür gelobt, dass sie Fehler eingestanden haben. Dabei ist das selbstverständlich.
E s gibt diese Ideen, die imstande wären, zu einer progressiveren Gesellschaft beizutragen – würden sie nicht in Windeseile von der Corporate Welt geschluckt werden. Übrig bleibt von diesen Ideen dann meist nur noch ein verdünnter Stoff, der allein zur Imagepolitur dient. Fehlerkultur ist so ein Beispiel. Während Unternehmen früher Pannen eher totgeschwiegen und verschleiert hätten, setzen moderne Konzerne inzwischen auf eine „positive Fehlerkultur“. Konkret bedeutet das: Fehler werden als solche benannt und aufgearbeitet. Im Gegenzug darf man sich die Reputation einer innovativen und lernfähigen Unternehmenskultur erhoffen.
Dass sich dieser Trend nun auch in der Politik abzeichnet, ist wenig überraschend. Letztlich gibt es nicht viel, was politische und wirtschaftliche Interessen der Bundesregierung trennt, gerade beim Thema Pandemie, aber auch viel zu lange schon beim Thema Russland. In beiden Fällen gab es diese Woche Eingeständnisse von Politikern, die öffentlich Fehler zugaben und sich dafür entschuldigten – wohlgemerkt, nachdem sie in der Öffentlichkeit bereits scharf kritisiert worden waren.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier räumte ein, sein Festhalten an der Gaspipeline Nord Stream 2 sei eindeutig ein Fehler gewesen. Dass Steinmeier besonders in seinem früheren Amt als Außenminister unter Merkel eine stark wirtschaftlich orientierte und sehr russlandfreundliche Politik mitgeprägt hat, wurde seit Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine immer wieder Thema. Nun erklärt Steinmeier, er habe sich in Putin „geirrt“.
Und wird für seine Selbstkritik gefeiert, weil ein solches Verhalten im Politbetrieb für ungewöhnlich erachtet wird. Doch wirkt dieser Irrtum sehr naiv für jemanden, der bereits verschiedene Regierungsämter innehatte. Wir erfahren nicht, was aus Steinmeiers Sicht genau zu diesem Irrtum führte, und warum die Warnungen von unterschiedlichster Seite vor Putins imperialem Machtbestreben Steinmeier Jahre und Jahrzehnte lang kalt gelassen haben.
Erklärung war überfällig
Im Angesicht von Meldungen russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine erscheint eine Erklärung Steinmeiers längst überfällig. Doch ist sie auch angemessen oder gar glaubwürdig? Oder handelt es sich hier vielmehr um eine „Nonpology“? Eine Entschuldigung, die keine ist, weil sie das eigene Handeln rechtfertigt („Wir haben an Brücken festgehalten“), anstatt die Quelle des Irrtums ehrlich zu benennen (Profite).
Bei Karl Lauterbach fällt die Entschuldigung grammatikalisch deutlich komplizierter aus: „Die Beendigung der Anordnung der Isolation nach Coronainfektion durch die Gesundheitsämter zugunsten von Freiwilligkeit wäre falsch und wird nicht kommen. Hier habe ich einen Fehler gemacht“, twitterte der Gesundheitsminister mitten in der Nacht, nachdem es an den Plänen, die Isolationspflicht aufzuheben, massive Kritik gegeben hatte. Natürlich ist es besser, eine falsche Entscheidung zurückzunehmen, als sie stur durchzudrücken.
Weder vertrauenswürdig noch volksnah
Lauterbachs Latenight-Rückzieher dürfte gerade bei Risikogruppen und deren Angehörigen für große Erleichterung gesorgt haben. Aber nach zwei Jahren Pandemie Entscheidungen von solcher Tragweite in den Raum zu werfen und je nach öffentlicher Stimmungslage kurzfristig zu reagieren und zu revidieren, wirkt weder vertrauenswürdig noch volksnah. Es wirkt flakey. Unzuverlässig. Und es ist genau ein solches Verhalten, das das Misstrauen von Corona-Leugner_innen weiter befeuert und frustrierte Arbeitnehmer_innen verunsichert.
Das bedeutet nicht, dass Fehlerkultur in der Pandemie keinen Platz hat. Sondern, dass die Pandemie nicht wie ein Geschäft gemanaged werden sollte. Das Eingestehen schwerwiegender Irrtümer ist selbstverständlich – und eben nichts Lobenswertes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich