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Entscheidung des BVerfG zu ArbeitskampfTrommeln auf dem Amazon-Parkplatz

Verdi mobilisierte auf dem Gelände des Onlinehändlers zum Streik. Amazon muss das akzeptieren, entschied das Verfassungsgericht.

Abgesegnet vom Verfassungsgericht: Verdi-Streik bei Amazon in Koblenz 2015 Foto: imago stock&people

Freiburg taz | Die Gewerkschaft Verdi darf auf den Betriebsparkplätzen von Amazon für einen Streik agitieren – wenn es die einzige Möglichkeit zur persönlichen Kontaktaufnahme mit den Amazon-Beschäftigten ist. Dies hat jetzt das Bundesverfassungsgericht entschieden und eine Klage von Amazon abgelehnt.

Seit 2013 versucht Verdi (Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft) vergeblich, mit dem Onlinehändler Amazon in Deutschland einen Tarifvertrag abzuschließen. Da Amazon keinem Arbeitgeberverband angehört, muss die Gewerkschaft direkt mit dem Unternehmen verhandeln. Doch man kommt sich kaum näher. Amazon zahlt die Beschäftigen bisher so, wie es dem Tarifvertrag für die Logistikbranche entspricht. Verdi hält jedoch den Tarifvertrag für den Versandhandel, der bessere Löhne vorsieht, für passender. In Deutschland arbeiten in den 15 Versandzentren von Amazon rund 13.000 Festangestellte.

Immer wieder versucht Verdi, mit Streiks Druck auf Amazon auszüben. So kam es Ende 2014 im Versandzentrum Kobern-Gondorf (bei Koblenz) zu zweitägigen Arbeitsniederlegungen, ebenso im September 2015 bei Amazon in Pforzheim (bei Stuttgart). Die Gewerkschaft wollte jeweils zum Schichtwechsel die arbeitswillige Mehrheit der Beschäftigten von der Teilnahme am Streik überzeugen. Auf dem jeweiligen Firmenparkplatz bauten deshalt einige Dutzend Verdi-Mitglieder Stehtische auf, teilweise gab es auch große Trommeln.

Gegen diese Aktionen wehrte sich Amazon. Man sei nicht verpflichtet, der Gewerkschaft beim Streiken zu helfen, indem man den Betriebsparkplatz für Infostände zur Verfügung stellt. Stattdessen klagte Amazon gegen Verdi auf Unterlassung. Die Vorinstanzen urteilten unterschiedlich. Doch das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied Ende 2018 zugunsten von Verdi. Dagegen erhob das Unternehmen Verfassungsbeschwerde, die in Karlsruhe nun aber zurückgewiesen wurde. Die Verfassungsrichter konnten im BAG-Urteil keine Verletzung der Grundrechte von Amazon erkennen.

Unternehmerische Freiheit vs. Koalitionsfreiheit

Das Bundesverfassungsgericht betonte, dass hier die Rechte von Amazon und Verdi gegeneinander abgewogen werden müssten. Amazon berief sich auf seine unternehmerische Freiheit und den Schutz des Eigentums. Deshalb könne es Kundgebungen von Verdi auf seinem Parkplatz unterbinden. Verdi berief sich auf die im Grundgesetz garantierten Gewerkschaftsrechte, die sogenannte Koalitionsfreiheit.

In den zwei konkreten Fällen hielt Karlsruhe es für richtig, dass Verdi an Streiktagen die beiden Firmenparkplätze von Amazon nutzen konnte. Denn es sei die einzige Möglichkeit gewesen, mit den Beschäftigten ins persönliche Gespräch zu kommen. Die Mitarbeiter kämen überwiegend mit dem Auto, parkten dann auf dem Firmenparkplatz, der direkt ans Firmengelände anschließt.

Zur Gewerkschaftsfreiheit gehöre es nicht nur, so Karlsruhe, eine Gewerkschaft zu gründen, einen Tarifvertrag zu fordern und dafür zu streiken, sondern auch für einen Streik zu mobilisieren. Ohne effizientes Streikrecht sei das Unternehmen der Gewerkschaft „strukturell überlegen“, den Beschäftigten bliebe dann nur das „kollektive Betteln“. Die Gewerkschaft nutze den Parkplatz also nicht widerrechtlich zur Streikmobilisierung, sondern rechtmäßig.

Die Richter sahen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es bei Auseinandersetzungen auf dem Parkplatz zu Exzessen seitens der Gewerkschafter kommen würde. Diese waren daher auch nicht verpflichtet, den Arbeitswilligen eine Gasse zum Arbeitsort freizuhalten, sie mussten also jeweils die Gruppe der Verdi-Aktivisten durchqueren.

Az.: 1 BvR 719/19 u.a.

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12 Kommentare

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  • Verdi hat gewonnen und nichts erreicht. Am besten beschreibt folgender Satz der Begründung die derzeitige Situation der Gewerkschaft:

    "Ohne diese oder gleich effektive Eskalationsstufen zur Herstellung von Kompromissfähigkeit wären Kollektivverhandlungen nur „kollektives Betteln“."

    Ich verstehe noch immer nicht, weshalb für Mitarbeiter eines Logsitikzentrums der Tarifvertrag für den Einzelhandel einschlägig sein sollte.

    • @DiMa:

      Stimmt, die vielen Hände packen ja nur die Beutel ein. Der ..oder etwas wie ein.. Verkauf findet nur durch Herrn Amazon allein statt. (..Ironie Ende..)

      • @Gerhard Krause:

        Wo war den da Ironie?

        Eine persönliche Beratung findet bei Amazon nicht statt. Die Verkaufsstruktur wird von ITlern geschaffen. Einen Kundenkontakt haben die Mitarbeiter nie. In den bestreikten Versandzentren findet nichts anderes als Logistik statt.

        • @DiMa:

          Stimmt, Ihre Ironie hat mehr Zauber. Verkauf wird also von Beratung gekennzeichnet. Verzeihung, war mir unbekannt.

          • @Gerhard Krause:

            Wikipedia zum Einzelhandelskaufmann:



            "...dessen Tätigkeitsbereich dem Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung, Schwerpunkt Absatzwirtschaft und Kundenberatung, zugeordnet ist."

            Übrigens, mein Test war vollkommen ohne Ironie oder Zauber.

            • @DiMa:

              Hier werden Tätigkeiten entmenschlicht und entstellt, aber nicht Berufs- und Tätigkeitsbilder weiterentwickelt, damit nicht verbindliche Berufsbeschreibungen zu Diskussionen führen :-).

              • @Gerhard Krause:

                Ja klar. Sorry Berufsbezeichnungen und Tätigkeitsbeschreibungen sind nix anderes als menschlich. Ein Einzelhandelskaufmann hat Kundenkontakt und nimmt auch mal Geld entgegen. Ein Lagerist nicht. Oder war das nur mal wieder Ironie (sorry Ironie und Satire erkenne ich ohne Hinweis nicht).

                • @DiMa:

                  Der EHK stellt Ware bereit ;-), der "Lagerist" ebenfalls. - keine Satire - Oder verkauft der Bote? Achja, der nimmt ja kein Geld ein. Dann bin ich dafür, dass der IT-ler, der das elektronische Bezahlsystem programmiert hat, als EHK bezahlt wird, oder als "Schreibkraft". Wie war das nun mit dem Entmenschlichen? Ich jedenfalls bin in Satire besser 🤔..

                  • @Gerhard Krause:

                    Der ITler, der die Software für Amazon erstellt, verdient möglicherweise gut oder halt auch nicht. Er dürfte in aller Regel nicht in Deutschland tätig sein, daher ist da sicherlich kein Fall für Verdi.

                    Und die Mitarbeiter des Konzerns, die in den neuen Tower nach Kreuzberg sollen, sollen wohl auch ganz ordentlich verdienen. Nur die dürften halt allenfalls mit der Ware in Kontakt kommen, wenn sie sie als Konsumenten über Amazon bestellen.

  • Wieso wird dem Leser in der taz eigentlich nie verraten wieviel die Mitarbeiter bei Amazon verdienen?

    Um sich ein Urteil zu bilden über die Arbeitsbedingungen ist das eine unverzichtbare Information.

    • @Argonaut:

      Sehr gute Frage… sie würde dann auch beantworten, ob Amazon Mitarbeiter von ihrer Rente hinreichend leben können. Wenn nicht muss Grundsicherung beantragt werden und das bedeutet, der Staat subventioniert Amazon.

  • Das "Danke an unsere Helden" auf der Amazon.de Webseite war dann so ernst wohl nicht gemeint, bzw. schloss eine Wertschätzung, die über Lippenbekenntnisse hinaus ging nicht mit ein.

    Niemand hilft den Amazon-Angestellten. Die Politik hält sich zurück wie beim Mietrecht, oder der Regulation von uber oder BnB.