Arbeitskampf bei Amazon: Held:innen im Streik
An deutschen Amazon-Standorten haben Mitarbeiter:innen die Arbeit niedergelegt. Der Konzernerfolg in der Pandemie macht Hoffnung auf Tarifverträge.
So einfach, so billig, so mies: Dass die Arbeitsbedingungen beim Onlineversandhändler Amazon nicht die besten sind, ist quasi Allgemeinwissen. Aber was soll’s, wenn nahezu jedes erdenkliche Produkt in den verschiedensten Varianten über die Plattform zu haben ist – und natürlich deutlich geringere Preise aufgerufen werden als beim Laden um die Ecke. Nicht zu vergessen, die Lieferung direkt nach Hause. Wie bequem. Gerade in Coronazeiten, wenn alle wochenlang daheim sitzen müssen und die Konsument:innen wenig mit sich anzufangen wissen. Außer Onlineshopping, dem besten Virenschutz. Da vergisst selbst so manche Amazon-Boykotteur:in ihre Prinzipien.
Corona scheint eingedämmt, der Lockdown großflächig vorbei, nun wird gestreikt bei Amazon. Auch noch an mehreren Logistikzentren gleichzeitig. PR-mäßig ein wunderbarer Zeitpunkt. Laut Verdi haben Mitarbeiter:innen an den Amazon-Standorten Bad Hersfeld, Koblenz, Rheinberg, Werne und Leipzig die Arbeit niedergelegt. Warum? Es geht wieder mal um den Tarifkonflikt, den der Megakonzern seit rund sieben Jahren mit der Gewerkschaft ausficht. Und um Gesundheitsschutz. Der Vorwurf der Gewerkschaft: Die Konzernleitung hätte sich nicht ausreichend um den Schutz ihrer Mitarbeiter:innen vor einer Ansteckung durch Covid-19 bemüht.
Maßnahmen wie Desinfektionsmittel am Arbeitsort, größere Abstände zwischen den Spinden, Maskenpflicht, gestaffelte Pausenzeiten würden nicht ausreichen. Tatsächlich wurden im Mai an mehreren Standorten in Deutschland einige Dutzend Coronafälle gemeldet. Medienberichten zufolge hätten sich die Mitarbeiter:innen aber weder ausreichend geschützt noch über die Zahl der Infizierten informiert gefühlt.
Dabei wurden sie doch von der Konzernleitung persönlich als Held:innen in der Coronakrise bezeichnet. Schließlich würden sie möglich machen, dass während der Pandemie sie die Menschen im Lockdown mit dem versorgten, was sie bräuchten, hieß es in Werbebotschaften. Weltweit wurden Jobs ausgeschrieben und die Löhne erhöht – in Europa um ganze zwei Euro für all diejenigen, die auch in Coronazeiten regulär zur Arbeit kamen.
Der Konzern gibt sich entspannt
Ein Klacks für den Konzern. Denn während andere Unternehmen ins Straucheln gerieten, verbuchte der Onlinehandel hohe Umsätze. Amazon-Chef Jeff Bezos gilt mit einem Privatvermögen von mehr als 140 Milliarden US-Dollar als der reichste Mensch der Welt. Allein in den vergangenen sechs Monaten – also in der Coronahochphase – soll sein Vermögen laut Bloomberg um rund 30 Milliarden US-Dollar gestiegen sein, der Aktienkurs des Unternehmens stieg rasant.
Nun also Streik bei Amazon. In Deutschland folgen die Mitarbeiter:innen mit ihrer Aktion den Kolleg:innen in Italien oder Frankreich, die bereits vor einigen Wochen die Arbeit niederlegten. Vor allem aus Protest gegen die schludrigen Corona-Sicherheitsmaßnahmen.
Hierzulande ist der Erfolg bisher nur mittelmäßig, trotz Unterstützungsbekundungen von politischer Seite und von Boykott-Aktivist:innen. Es ist nicht der erste Arbeitskampf an den Amazon-Standorten und wie bisher beteiligen sich laut Verdi einige Hundert Beschäftigte. Von einer geschlossenen Haltung der rund 13.000 Mitarbeiter:innen bundesweit ist man weit entfernt. Die Konzernleitung gibt sich entspannt. Auswirkungen auf die Arbeitsabläufe sehe man bisher keine. Bestellungen könnten normal bearbeitet werden, heißt es vom Coronakrisengewinnler.
Einen Tarifvertrag wird es vermutlich auch nach diesem Streik nicht geben. Dafür viel Wirbel und die Erkenntnis in einer gefühlten Coronamüdigkeit und Post-Lockdown-Zeit: Konsum betäubt Ängste in der Krise und sorgt für Befriedigung. Mittelmäßige Arbeitsbedingungen bleiben derweil bestehen. Genauso wie Steuerschlupflöcher, mauer Datenschutz, diverse Überwachungsmechanismen oder das manipulative Werbegebaren eines Megakonzerns.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt