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Endspurt im EuropawahlkampfGrüner Anstrich für Brüssel

Die Grünen läuten auf einem Parteitag den Wahlkampfendspurt ein. Sie wollen bei der EU-Wahl ihr historisch bestes Ergebnis erreichen.

Ska Keller sagt, dass Grundwerte wie Frauen- und Minderheitenrechte zu verteidigen seien Foto: dpa

BERLIN taz | Die Europawahl ist zwar erst am kommenden Sonntag. Doch die Grünen hatten bereits an diesem Wochenende Anlass zu einer vorgezogenen Wahlparty. Bei den U18-Wahlen, den bundesweiten Jugendwahlen, die traditionell kurz vor einem regulären Urnengang stattfinden, ist die Partei mit gut 28 Prozent Zustimmung erstmals klar stärkste Kraft geworden.

Entsprechend ausgelassen war die Stimmung unter den Delegierten, die am Samstag auf einem Parteitag in Berlin die heiße Phase des Europawahlkampfs einläuteten.

Auf dem Wahlparteitag, der in einer alten Lagerhalle im Berliner Westhafen stattfand, machte die Grünenspitze die zentrale Bedeutung des Klimaschutzes deutlich. „Die Europawahl ist eine Klimawahl“, sagte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Beflügelt von der „Fridays for Future“-Bewegung will die Partei mit diesem urgrünen Thema punkten.

„Sorgen wir dafür, dass sich dieser Aufbruch an der Wahlurne manifestiert“, sagte Parteichef Robert Habeck. Die Zeit des Nichtstuns sei vorbei. Es dürfe nicht darum gehen, wann das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet werde, sondern „wie viele jetzt und in diesem Jahr“ abgeschaltet würden.

Für Demokratie und gegen EU-feindliche Populisten

Mitten in den Parteitag platzte die Meldung aus Wien, dass der dortige Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der rechtspopulistischen FPÖ infolge der Video-Affäre seinen Rücktritt erklärt. Das war insofern passend, als sie an die zweiten Ansage der Grünen anknüpfte: Den Kampf für Demokratie und gegen die europafeindlichen Populisten. Der Skandal zeige, so Parteichefin Annalena Baerbock: „Die Rechtspopulisten verachten unsere Werte wie Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit.“ Die Europaabgeordnete Terry Reintke rief: „Wir sind das Gegengift dazu.“

Ska Keller, zusammen mit Sven Giegold Spitzenkandidatin fürs Europaparlament, betonte, dass hart erkämpfte Grundwerte wie Frauen- und Minderheitenrechte an der Wahlurne zu verteidigen seien. „Die Leute dürfen uns nicht nur gut finden, sie müssen uns auch wählen“, sagte sie. Giegold appellierte, Umwelt und Kapital nicht gegeneinander auszuspielen: „Wir müssen unser Wirtschaftssystem in Marsch setzen, um Ökonomie und Ökologie zu vereinen.“

Zum Ende des dreistündigen Parteitags verabschiedeten die rund 90 Delegierten einen Leitantrag. Dieser soll als Grundlage für die Mitgestaltung an der Politik in Brüssel dienen. Das vierseitige Papier fasst die Kernforderungen der Grünen zusammen. Dazu zählen ein EU-weiter Kohleausstieg bis 2030, die Einführung einer europaweiten CO²-Steuer sowie die Stärkung des EU-Parlaments.

Die Grünen könnten vor der SPD landen

Verschiedene Umfrageinstitute sehen die Grünen aktuell bei 17 bis 19 Prozent. Die Partei könnte erstmals bei einer bundesweiten Wahl zweitstärkste Kraft werden und somit vor der SPD landen. „Unser Ziel ist, das historisch beste Ergebnis bei einer Europawahl zu erreichen“, sagte Michael Kellner. Das hieße, das Ergebnis von 2009 zu toppen: Damals holten die Grünen 12,1 Prozent.

Viel spricht dafür, dass die Politik in Brüssel künftig einen grüneren Anstrich erhält. Denn auch in anderen EU-Staaten wie in Belgien und Finnland dürften die grünen Parteien zulegen, sodass sich die Gesamtzahl der Grünen-Abgeordneten von bislang 52 leicht vergrößern könnte.

„Wir könnten die größte Grünen-Fraktion im EU-Parlament bekommen, die wir jemals hatten“, sagte Michael Kellner. Da es danach aussieht, dass Konservative und Sozialdemokraten zusammen erreichen, könnten die Grünen auch bei der Entscheidung über den neuen Kommissionspräsidenten eine entscheidende Rolle spielen.

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10 Kommentare

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  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Ich frage mich gerade, was ich inhaltlich mit diesem Artikel anfangen soll. Vielleicht etwas Wahlwerbung für die Grünen? Ich kenne weder Frau Keller noch Herrn Giegold und attraktive Wahlwerbung der Grünen für die Europawahl habe ich bis heute nicht erlebt. Im schreiben von Leitanträgen, Thesenpapieren und so waren und sind die Grünen immer an der Spitze der Bewegung gewesen - als sie an der politischen Macht waren haben sie der SPD bei der Demontage der Sozialen Marktwirtschaft und dem Gemeinwohl assistiert und - zugegeben - das Dosenpfand eingeführt. Was versetzt mich in den Glauben, dass die Grünen im EU-Parlament originär grüne Politik umsetzten anstatt ominösen Mittetendenzen hinterher zu laufen? Und letztlich „Freitag für die Zukunft“ für sich zu instrumentalisieren ist eher ärmlich. Der Vergleich mit dem „grünen Anstrich“ verdeutlicht meine Skepsis.

  • "Ska Keller"

    Wenn Journalisten nicht mal in der Lage sind Vornamen richtig zu recherchieren, kann der Rest des Artikels nur Schrott sein.

    • @danny schneider:

      Mich nervt das "Ska" für "Franziska" ebenfalls irgendwie, aber es entspricht dem Wunsch der Genannten, da wohl die kleine Schwester den Vornamen in tiefen Kindestagen nicht vollständig aussprechen konnte, sodass sie nur ...ska sagte.

    • @danny schneider:

      Sie sprechen ein wichtiges Thema an: Qualität im Sinne exakter journalistischer Recherche. Ich sehe ungenaue Beschreibungen (oft an der Grenze zu falsch) ebenfalls als allgemeines Problem der Glaubwürdigkeit der Medien an. Auch ich lese oft nicht weiter wenn Dinge vom Journalisten offensichtlich nicht verstanden oder mangelhaft dargestellt werden. Bei echten Fachzeitschriften ist das interessanterweise anders! Warum nicht im politischen oder Alltagsjournalismus fragt man sich oft.

      In diesem Fall sehe ich das anders: Ska Keller bewegt sich genau mit diesem Kürzel im Wahlkampf inkl. Nennung auf der eigenen Homepage. Ihre Brutalkritik halte ich daher für ziemlich überzogen.

      • @Tom Farmer:

        Für die Politikerin mag das Masche sein um eine hippe Zielgruppe an zu sprechen. Von Journalisten erwarte ich das man solche Werbemaßnahmen nicht 1:1 übernimmt. Insofern halte ich meine Kritik aufrecht

  • "Grüner Anstrich für Brüssel"

    Quietschgrün....

    www.youtube.com/watch?v=XPynZgJgMt4

  • Na klar, Greta Thunberg hat Recht! Wir müssen in einen neuen Green Deal investieren! Ich habe für Europa die Liste mit Varoufakis Nr. 25 Demokratie in Europa - DiEM25 gewählt:



    Entweder wir investieren in die Zukunft - oder wir haben keine. Ab sofort Jährlich und Europaweit Mind.. 500 Milliarden Euro für eine radikale Energiewende investieren!



    Greta Thunberg hat recht! Sogar der Papst glaubt an sie!

  • „Wir müssen unser Wirtschaftssystem in Marsch setzen, um Ökonomie und Ökologie zu vereinen.“

    "Wir müssen, wir müssen, wir müssen" ist die regelmäßige Aussage der EU Parlamentarier vor den Wahlen. Und dann? Jetzt soll also ein ganzes Wirtschaftssystem in Marsch gesetzt werden. Eine höchst qualifizierte Aussage, die offensichtlich viel Grundlagenwissen über Ökonomie vorgaukeln soll. Wer wird mit solchen Aussagen angesprochen? Wer ist damit zufrieden? Ich vermute, diejenigen, die von diesem Wirtschaftssystem profitieren und die nichts zu befürchten haben hinsichtlich CO2 Steuer, weil die Zeche wieder andere zahlen werden. Interessanterweise beschränken sich auch die Grünen auf einen populistischen Ökonationalismus, der davon ausgeht, dass am deutschen Wesen die Welt genesen muss. Dieser Anspruch scheint seit dem Kaiserreich nicht mehr aus den Köpfen derjenigen zu weichen, die eine (deutsche) moralische Überlegenheit zur Grundlage ihres Denkens machen.

    Leider ist es der EU nicht gelungen, einen verbindlichen Klimafahrplan festzulegen und Konzepte auszuarbeiten, auf globaler Ebene einen wirklichen Wandel herbei zu führen. Im Gegenteil. Polen setzt z.B. weiter auf Kohlekraftwerke. Klimawandel ist nur durch globale Anstrengungen möglich, was nicht bedeuten soll, sich deshalb untätig zurück zu lehnen und warten, bis alle etwas unternehmen. Die Herrschenden hätten mühelos in Deutschland einen für alle hier lebenden Menschen vorteilhaften Wandel einleiten können. Z.B. mit dem Ausbau des ÖPNV, Tempolitmit, Infrastrukturausbau für Radfahrer, Modifikationen bei vorhandenen Verbrennungsmotoren, Verbesserung der Forschung für alternative Mobilitätskonzepte oder alternative Energiekonzepte. Nicht zu vergessen den Ausbau des Güterverkehrs durch die Bahn bei gleichzeitiger Eindämmung des LKW Verkehrs. Das ist aber mit Politikern nicht zu machen, die der IDEOLOGIE des Neoliberalismus anhängen.

    • @Rolf B.:

      Ach Herr B. Die Politik rang in der Sache doch nicht um Lösungen, es ging um einen Ersatz für die womöglich abschmelzende Mineralölsteuer und das am Besten parallel, weil dann mehr bei rüberkommt.



      Da wollte doch keiner die wirklich drängenden Themen anpacken.



      Und während wir uns zerfleischen, wer der bessere CO2 Sparer ist, Veganer mit perfektem ÖPNV vorm besetzten City-Haus und bei einer Öko NGO tätig, hat Politik die mediale Disziplinierung dazu genutzt uns einzureden, dass ausgerechnet eine Steuer die Lösung ist. Und? Hat geklappt, die Steuer kommt, wir zahlen, die Kassen füllen sich bis zu den geplanten Erwartungen von Herrn Scholz und Politik lacht über uns Deppen, die über eine ökologisch sinnvolle Lenkungsfunktion hysterisch diskutieren, während sie gar nie mehr vor hatte als nur zu kassieren.

      • 6G
        61321 (Profil gelöscht)
        @Weidle Stefan:

        .



        Was die Politik tut, ist das was wir zulassen. Anscheinend sind wir, die Masse, schlichtweg zu doof. Im Übrigen sehen Sie und Rolf B. die Dinge schon ganz richtig