Elternkammer zu Schulöffnung nach Corona: „Vielen Kindern ging es nicht gut“

Hamburgs Elternkammer-Chefin Alexandra Fragopoulos warnt vor zu viel Druck in der Schule. Gespräche und Spiel seien wichtiger als Lehrplan-Einhaltung.

Zwei Kinder laufen in Gummistifeln durch Wasser auf der Straße

Nachmittags können Kinder auch einfach mal durch Pfützen laufen Foto: Wolfgang Kumm/dpa

taz: Frau Fragopoulos, seit dieser Woche sind alle Schüler wieder in Teilpräsenz in der Schule. Sind Sie zufrieden?

Alexandra Fragopoulos: Es ist gut, dass die Kinder wieder langsam an die Schule gewöhnt werden. Fünf Monate ohne war eine lange Zeit. Es gibt Schüler, die sich wieder daran gewöhnen müssen, morgens früh aufzustehen und vollkommen bekleidet in die Schule zu kommen. Wir sind sehr froh. Die Inzidenzen sinken und wir gehen davon aus, dass die Testungen dazu führen, dass es noch sicherer wird, als es sowieso schon war.

Schulsenator Ties Rabe sagt, dass ab 31. Mai die Jahrgänge nach und nach in Vollpräsenz zur Schule sollen. Auch gut?

Ja. Es sind dann zwar nur noch drei Wochen bis zu den Schulferien, aber die Zensuren stehen schon fest, sodass wir hoffen, dass diese Zeit genutzt wird, um die Pandemiezeit aufzuarbeiten. Wir sehen, dass es vielen Kindern doch nicht so gut ging. Die nahmen viel hin, ohne aufzumucken. Da ist viel Bedarf an Spielen und Gesprächen und einfach Spaß und Freude. Dass die Kinder mal frei sein können, ohne Druck.

Sie fordern, den Kindern die Zeit zurückzugeben. Sollte das Schuljahr verlängert werden?

Das ist keine generelle Forderung, das Schuljahr zu verlängern. Wir wollen ein Gespräch, wie es in der Schule überhaupt weitergehen kann. Wir haben in der Pandemie erlebt, dass vieles in der Schule nicht so läuft, wie es laufen könnte. Jetzt ist die Zeit, darüber zu reden: Wie können wir den Kindern Druck nehmen? Denn der stört uns. Die Kinder haben alles mitgemacht, ohne Murren. Sie sind die stillen Helden der Pandemie. Jetzt zu sagen als Dankeschön: Ihr habt alles gegeben, ihr rückt nach den Ferien auf in den nächsten Jahrgang und holt nachmittags nach, was ihr versäumt habt, ist einfach unheimlich viel Druck.

Wie kann man den nehmen?

52, ist seit März Vorsitzende der Hamburger Elternkammer. Die Mutter einer Tochter engagiert sich seit 13 Jahren in der Elternarbeit und ist Elternratsvorsitzende am Gymnasium Rahlstedt.

Zum Beispiel, indem man die Bildungspläne abspeckt. Wir können nicht sagen, ihr müsst jetzt nachmittags noch in den Unterricht, ihr müsst Lernferien machen. Gerade jetzt, wo es wieder losgeht, muss Schule vormittags passieren. Nachmittags müssen Kinder wieder frei sein, ihren Sport machen, was sie immer machen wolle. Wir können nicht sagen: Ätsch, da musst du lernen.

Sind Sie denn mit der Schulbehörde darüber im Gespräch?

Der Schulsenator hat das zugesagt. Es gibt keinen Termin.

Nimmt die Behörde genug Rücksicht auf die Pandemie? Etwa bei Abschulungen nach Klasse sechs am Gymnasium.

Das ist die Frage. Am Ende der 6. Klasse wird entschieden: Hat dieses Kind in den letzten zwei Jahren genug geleistet? Nur fand 15 Monate kein regulärer Unterricht statt. Da fragen wir: Wie können wir da die Leistung beurteilen? Und ist die leistungsgerechte Abschulung gerecht?

2020 zog die Behörde die Abschulungen ja durch. Wird das jetzt wieder so sein?

Das ist unser Wissensstand. Wir hatten gefordert, das zu stoppen. Aber da kam keine Reaktion aus der Schulbehörde. Die ist da nicht sehr offen.

Haben Sie Einblick, wie es den Schulabgängern geht? Ob die eine Ausbildung finden?

Es gibt sicherlich Berufe, die Nachwuchs suchen. Oft passen aber Angebot und Nachfrage nicht zusammen. Das war schon oftmals so. Aber wir denken, es wird in diesem Jahr noch schwerer, denn es fallen viele Ausbildungsplätze weg. Etwa in der Gastronomie oder im Tourismus. Da fällt es Kindern schwer, eine Perspektive zu sehen.

Würde ein freiwilliges Wiederholungsjahr helfen?

Das ist ja möglich. In diesem Jahr kann jeder Schüler seinen Jahrgang auf Antrag wiederholen. Das wird laut Schulbehörde großzügig gehandhabt. Das macht Sinn für den, der sagt: Ich hätte es besser machen können, hätte ich Präsenzunterricht gehabt. Aber die, die eine Ausbildung oder einen Studienplatz haben, die sollen die auch antreten. Doch es muss auch Perspektiven geben für die, die beides nicht wollen, die sagen, ich habe meinen Abschluss und will mit Schule nie wieder zu tun haben.

An was denken Sie dabei?

Es kann eine Begleitung geben, ein Mentorenprogramm.

Die Präsenzpflicht bleibt ausgesetzt. Keiner muss zur Schule. Ist das richtig?

Vorerst ist das nur bis zum 6. Juni so. Ich fände es richtig, wenn die Präsenzpflicht bis zu den Ferien aufgehoben bleibt. Gerade um den Familien mit Risikopatienten noch zusätzlichen Schutz zu geben.

Sehen sich denn Eltern ausreichend geschützt, jetzt, wo die Schule wieder losgeht?

Eine spannende Frage. Wir bekommen viele E-Mails, die eigentlich zu gleichen Teilen verteilt sind auf: „Lasst die Schule zu“ bis hin zu „Öffnet sie endlich wieder für alle“. Es gibt Eltern, die Corona gegenüber sehr ängstlich sind. Und Eltern, die sagen, hier zu Hause läuft es nicht, in der Schule ist mein Kind gut aufgehoben.

Sollte man Homeschooling auch künftig möglich machen?

Auf jeden Fall. Die Digitalisierung, die jetzt durch die Pandemie in die Schule einzog, hat gezeigt, dass Homeschooling in Teilen sehr gut funktioniert. Auch dort sollte Schule sich öffnen und versuchen, das Beste rauszuholen für die Kinder.

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