Elias-Frank-Haus in Basel: Nachfahren von Anne Franks Familie wollen ihr Haus retten
Die Familie Elias überlebte in ihrem Haus in Basel den Holocaust. Nun droht das Stück Weltgeschichte Gegenstand von Immobilienspekulationen zu werden.

Leyb-Anouk und Hannah Elias' Großvater, der 2015 verstorbene Schauspieler Bernhard „Buddy“ Elias, war Anne Franks Cousin. Nun droht das Haus der Familie, in dem Anne Franks Vater Otto Frank nach der Befreiung des KZ Auschwitz Zuflucht fand, in fremde Hände verkauft zu werden. Wegen einer Erbregelung.
Das Haus im Stadtteil St. Johann, der im Norden an Frankreich grenzt, ist auch ein Stück Weltgeschichte. „Das ist der Ort, wo die Familie gemeinsam darüber gesprochen hat, die Schriften von Anne Frank zu veröffentlichen“, erzählt Leyb-Anouk Elias. „Die letzte Postkarte der Franks aus Amsterdam ist auch dorthin, nach St. Johann, nach Basel geschickt worden.“
Früher gehörte das Haus dem Großvater und ihrer Großmutter Gerti, die noch immer in dem Haus lebt. Dann wurde es an die nächste Generation weitergegeben. „Leider ist die letzte Person, der das Haus gehört hat, gestorben“, sagt Leyb-Anouk Elias. Deshalb gehört die Immobilie derzeit einer Erb:innengemeinschaft aus mehreren Nachkommen der Großeltern.
Die ist sich jedoch uneinig. Ein Teil der Gemeinschaft möchte das Haus verkaufen, Hannah und Leyb-Anouk Elias möchten es hingegen der Öffentlichkeit zugänglich machen. Das Haus dürfe nicht zum Objekt von Immobilienspekulationen werden. Die beiden wollen die anderen Erb:innen auszahlen und das Haus in Familienhänden halten. Dafür brauchen sie 1,7 Millionen Schweizer Franken, rund 1,8 Millionen Euro.
Kampagne gestartet
„Eine Erbregelung macht es möglich, dass unsere Familie das Haus nutzen kann, solange unsere Großmutter lebt“, sagt Leyb-Anouk Elias. Sie habe dort lebenslanges Wohnrecht. „Aber sie ist jetzt 91 Jahre alt. Wir haben nur noch so lange die Möglichkeit, das Geld zusammenzusammeln, bis unsere Großmutter verstirbt.“
„Anlässlich des 100. Geburtstages unseres Großvaters und des 80. Jahrestages der Ermordung Annes möchten wir das Haus im Herzen Basels der Öffentlichkeit zugänglich machen. Als Begegnungsstätte für den interreligiösen und interkulturellen Dialog“, heißt es in einem Schreiben der Kampagne „Rettet das Elias-Frank-Haus“.
Die beiden Geschwister haben sie zusammen initiiert. Schnell seien jedoch auch Freund:innen und Familie mit eingestiegen. „Für uns ist es wichtig, Orte jüdischen Lebens zu erhalten und sichtbar zu machen“, sagt Leyb-Anouk Elias. Auch die 91-jährige Großmutter unterstützt die beiden dabei. Mit der Stadt Basel habe die Familie Elias ebenfalls Kontakt aufgenommen, jedoch bisher ohne konkrete Ergebnisse.
Zwischen Weltgeschichte und Zuhause
Nach seiner Befreiung aus Auschwitz zog auch Otto Frank, der Vater von Anne Frank, in die Dachkammer des Hauses ein. Auch für die weiteren Generationen bleibe es ein wichtiger Ort: „Es ist ganz einfach das Haus, in dem unsere Familie Nazideutschland überlebt hat. Also der Grund, warum ich hier sitzen kann“, betont Leyb-Anouk Elias.
Die Familie Elias konnte in den Jahren kurz vor der Machtübergabe an die Nazis von Frankfurt nach Basel migrieren. 1941 erkannten die Nationalsozialisten ihnen als im Ausland lebende jüdische Deutsche die Staatsbürgerschaft ab - die Familie wurde staatenlos.
Leyb-Anouk Elias
Die Schweizer Staatsbürgerschaft bekamen sie erst 1952. Teilweise lebten die Familienmitglieder da schon 23 Jahre in Basel. 1942 führte die Schweiz eine restriktive Asylpolitik ein, viele Flüchtende, insbesondere jüdische Menschen, wurden abgewiesen.
Die Rolle der Schweiz
Ihre Familie konnte viele materielle und nicht-materielle Erinnerungsstücke bewahren, sagt Leyb-Anouk Elias. Das liege auch daran, dass die Schweiz sich nicht aktiv im Zweiten Weltkrieg an Kämpfen beteiligt habe. Es gebe aber ein großes Aufarbeitungspotenzial, die Schweizer „Neutralität“ sei ein großes Problem: „Im Zuge unserer Kampagne wollen wir auch das adressieren: die Frage nach der Schweizer Verantwortung“.
Zwar seien jüdische Menschen weniger gesetzlichen Repressalien ausgesetzt gewesen als in Deutschland, doch auch in der Schweiz war Antisemitismus allgegenwärtig: „Unser Großvater hat erzählt, dass es auch in der Schweiz an der Tagesordnung war, als ‚Judensau‘ beschimpft zu werden“, erzählt Elias.
„Die Zugverbindungen und Infrastruktur wurden trotzdem von den Nazis genutzt, für Waffen und andere Transporte. Die Schweiz hat Nazideutschland einen finanziellen Umschlagsplatz geliefert.“ Auch Deportationen, bei denen Geflüchtete, vor allem jüdische Menschen, den Nazis übergeben wurden, gab es.
Da müsse auch ein Gegenwartsbezug hergestellt werden: „Wie ist denn heute die Situation für geflüchtete Menschen oder generell die Migrationspolitik der Schweiz? Das ist noch immer sehr restriktiv“, so Elias.
Seit 1999 ist die Schweizer Volkspartei (SVP) die stimmenstärkste Partei im Land. „Ideell ist sie auf dem Niveau der AfD, aber vom Standing her eher wie die Union. Es gibt hier einfach seit Langem eine ganz andere Toleranz gegenüber rechter Politik“, sagt Hannah Elias. Geschichtliche Aufarbeitung, wie sie in Deutschland zum Beispiel in Schulen stattfindet, habe es in der Schweiz lange kaum gegeben.
Tausende Briefe und Fotos gefunden
Hannah Elias
Als die Elias-Geschwister Kinder waren, sei das Haus ihrer Familie voll gewesen mit alten Kleidern, Briefen, Erinnerungsstücken. Vieles sei noch immer dort, vor allem Familienerbstücke. „Aber auch Dinge von anderen jüdischen Familien, die sie dort zur Verwahrung abgegeben hatten, in der Hoffnung, sie nach dem Krieg wieder abzuholen“, sagt Leyb-Anouk Elias.
Vor einigen Jahren hat ihre Großmutter etwa auf dem Dachboden über 1.000 Briefe und Fotos der Familie gefunden, die bis dahin noch nicht bekannt waren. Aus denen ist 2011 ein Buch entstanden. „Du spielst da als Kind zwischen den ganzen Sachen. Und dann schaust du dir Kinderbücher an, die jemandem drei Generationen vor dir gehört haben“, sagt Hannah Elias.
Aber es ist auch Zuhause. Trotzdem sei das Familienerbe eine Herausforderung, sagt Leyb-Anouk Elias: „Stell dir vor, du gehst in ein Museum und auf einmal siehst du Bilder von deiner Familie an der Wand. Das fühlt sich immer wieder total absurd an, dass die Weltöffentlichkeit über deine Familie so gut Bescheid weiß“. Hannah Elias ergänzt: „Diese Spannung zwischen etwas sehr Privatem und gleichzeitig etwas so Öffentlichem zieht sich einfach durch unser Leben.“
„Gleichzeitig geht damit für mich eine große Verantwortung einher. Gerade jetzt rund um die Bundestagswahlen und dem Erstarken von rechtem Gedankengut überall“, sagt sie.
Sprechen über Anne Frank
In der Familie Elias wurde über diese Themen hingegen viel gesprochen. „Ich kann mich nicht an einen Zeitpunkt erinnern, an dem entschieden wurde 'Jetzt reden wir über den Holocaust‘. Das war immer ein Thema. Wir sind mit den Geschichten aufgewachsen. Vor allem unser Großvater war sehr aktiv, die Erinnerungen weiterzutragen“, sagt Hannah Elias.
Auch über seine Cousine Anne Frank habe Buddy Elias oft gesprochen. Die beiden hätten ein sehr enges Verhältnis gehabt.
„Diesen familiären, ganz persönlichen Einblick zu bekommen, abseits von der historischen Figur Anne Frank, die sie ja geworden ist, ist wirklich kostbar“, sagt Leyb-Anouk Elias. „Mitzubekommen, dass sie ein junges Mädchen war, ein Kind wie du und ich, wie wir alle. Gar nicht berühmt und groß, sondern einfach erstmal ein Mensch, mit Wünschen und Ängsten, Sorgen und Hoffnungen.“
All dieses Wissen konnte in der Familie Elias weitergetragen werden. Und in ihrem Haus. „Es ist so eine Art Museum entstanden, das die Familiengeschichte über so lange Jahre dokumentiert. Das ging auch, weil das Haus in der Hand der Familie geblieben ist“, sagt Hannah Elias. Hunderte Gegenstände aus dem Haus befinden sich im Jüdischen Museum Frankfurt.
„Wir sind beide in einem Haushalt aufgewachsen, in dem die Überzeugung bestand, dass wir uns einsetzen müssen für die Dinge, die uns wichtig sind“, sagt Hannah Elias. Mit der Kampagne „Rettet das Elias-Frank-Haus“ wollen die Geschwister aber nicht nur das Gebäude bewahren, sondern es für alle öffnen. Einen Begegnungsort schaffen, an dem interkultureller Austausch und ein friedliches Miteinander gelebt werden können.
„Aber davor muss dieses Haus erst gerettet werden. Das größte Ziel ist jetzt, das Geld dafür zusammenzubekommen“, sagt Hannah Elias.
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