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Einstellungen zu Long Covid„Polemiken helfen da nicht“

Alles Faulpelze und Simulanten? Georg Schomerus forscht zur Stigmatisierung von Menschen, die an den Spätfolgen einer Corona-Erkrankung leiden.

Aktivisten der Initiative „NichtGenesen“ protestieren am ersten Internationalen Long Covid Awareness Day im März 2023 Foto: Florian Boillot
Interview von Martin Rücker

taz: Herr Schomerus, werden Long-Covid-Erkrankte in unserer Gesellschaft stigmatisiert?

Georg Schomerus: Eindeutig. Wir müssen nur zuhören, was Betroffene berichten. Sie machen so viele extrem entwertende Erfahrungen, die sich mit dem Konzept der Stigmatisierung treffend beschreiben lassen.

Wie äußert sich das?

Stigmatisierung entsteht, wenn eine Gruppe von Menschen mit einem Etikett versehen und daraufhin mit Stereotypen in Verbindung gebracht wird. Die Reaktion auf ein solches Zerrbild ist Ausgrenzung, ein „wir gegen die“. Viele Long-Covid-Betroffene berichten genau das: Sie werden als „die Anderen“ abgewertet. Das beginnt oft schon in der Arztpraxis.

Bild: privat
Im Interview: 

Georg Schomerus

ist seit 2019 Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig. Forschungsschwerpunkte des 50-Jährigen sind die Einstellungen der Gesellschaft zu Menschen mit psychischen Krankheiten sowie die Gründe und Folgen ihrer Stigmatisierung.

Woran machen Sie das fest?

Long-Covid-Erkrankte stoßen bei Ärztinnen und Ärzten oft auf Unverständnis. Ihre körperlichen Leiden werden psychologisiert, oft wird sogar eine psychische Erkrankung diagnostiziert. Menschen mit ME/CFS [Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. Die postvirale Multisystemerkrankung gilt auch als schwerste Ausprägung von Long Covid; Anm. d. Red.] kennen das schon seit Jahrzehnten. Mehr oder weniger explizit wird ihnen auch unterstellt, dass sie lieber Sozialleistungen bekommen als gesund werden möchten. Das sind Zuschreibungen, die den Menschen selbst völlig fremd sind: Es sind häufig sehr leistungsbereite Menschen – aber jetzt, da sie krank sind, unterstellt man ihnen plötzlich fehlenden Willen.

Ist das ein gesamtgesellschaftliches Phänomen?

Das glaube ich eigentlich nicht. Aber es gibt bisher noch keine Untersuchungen darüber, wie die Allgemeinbevölkerung über Long Covid denkt. Was wir bereits sehen können, ist, dass es in den Medien neben einigen ausgewogenen auch viele sehr einseitige Berichte über postvirale Erkrankungen gibt. Hier setzt sich die Stigmatisierung fort, und eine ernste Erkrankung wird zum Gegenstand einer weiteren Polarisierung.

Haben Sie dafür Beispiele?

Vor einiger Zeit gab es einen polemischen Kommentar in der Süddeutschen Zeitung. Der Autor schrieb mit triefender Ironie darüber, wie viel Energie die „chronisch Erschöpften“ doch aufbringen würden, um als „lautstarke Aktivisten“ in den sozialen Medien aggressiv für eine bessere Versorgung zu streiten. Das ist nicht nur eine hemmungslose Verallgemeinerung – hier profiliert sich ein Journalist auf Kosten einer Gruppe von Kranken. Er wirft Menschen, die in unserem Versorgungssystem vielfältig schlechte Erfahrungen machen, vor, dass sie sich wehren und dabei auch mal gereizt sind. Das finde ich offen gestanden infam: Erst behandeln wir die Menschen schlecht, dann kritisieren wir sie dafür, dass sie sich über die schlechte Behandlung beschweren. Dieser Kommentar sticht besonders hervor, aber er steht für eine ganze Strömung. Auch Ärzte haben in Interviews versucht, Long Covid in die Ecke eines bloßen Medienereignisses zu stellen, als seien postvirale Beschwerden nicht echt. Das reicht bis zu der Behauptung: Würde man nicht mehr darüber berichten, gäbe es bald auch viel weniger Erkrankte.

Nun sind die Krankheitsmechanismen bei Long Covid tatsächlich noch nicht geklärt. Ließen sich solche Beiträge nicht auch als Ausdruck des wissenschaftlichen Streits einstufen?

Wenn sich Ärztinnen oder Ärzte über Long Covid äußern, sollten sie einerseits auf dem Stand der Forschung sein und andererseits das Bewusstsein haben, dass wir vieles eben noch nicht wissen. Die Beschwerden als rein psychisch bedingt einzustufen, nur weil übliche Labortests keine Befunde liefern, ist einfach unsachlich – dafür gibt es viel zu viele gegen­teilige Erkenntnisse. Wir haben in der Wissenschaft praktisch einen Konsens, dass Long Covid keine psychische Erkrankung ist. Wer sich darüber einfach hinwegsetzt, der überschreitet meiner Meinung nach die Grenze zur Stigmatisierung.

Was ist die Motivation dahinter?

Das frage ich mich auch. Eigentlich liegt es im Interesse von uns Ärzten, diesem neuen Krankheitsbild auf die Spur zu kommen und es nicht vorschnell in die „Psycho-Schublade“ zu packen. Vielleicht ist es ein Problem, dass unsere Medizin so stark in Fachrichtungen aufgegliedert ist. Ein Syndrom, das sich hier nicht einfach einsortieren lässt, kommt deshalb wohl bei keiner Disziplin so richtig an. Gängige psychosomatische Konzepte passen hier nicht gut, weil sie eben von einer vornehmlich psychischen Ursache der Beschwerden ausgehen. Und wenn Betroffene dem widersprechen, wird ihnen das als Beleg für ihre Uneinsichtigkeit vorgehalten. Auch wenn wir Beschwerden noch nicht erklären können, ist es im Zweifelsfall doch angemessen, den Patienten einfach zu glauben, die gerade ihre Erfahrungen mit dieser neuen Erkrankung machen müssen.

Welche Auswirkungen hat die Stigmatisierung von Long-Covid-Erkrankten?

Im Ergebnis erhalten viele Betroffene keine angemessene Beratung und nicht die bestmögliche Therapie. Ich sehe deshalb auch die Gefahr, dass sich Menschen von der Medizin abwenden und auf alternative Heiler ausweichen. Die vermitteln zwar den Eindruck, sie ernst zu nehmen, therapeutisch haben sie aber nichts anzubieten. Stigmatisierung geht auch von Ämtern aus, wenn die sich nicht ausreichend mit der Krankheit befasst haben. Wir müssen davon ausgehen, dass Long-Covid-Erkrankten Leistungen vorenthalten werden, weil man ihnen ihre Beschwerden nicht glaubt. Auch am Arbeitsplatz treffen Betroffene auf Unverständnis. Es bräuchte zum Beispiel dringend Handreichungen für Arbeitgeber, wie sie Menschen mit Long Covid wiedereingliedern können, ohne sie zu überfordern.

Politisch wird ebenfalls über Long Covid gestritten, etwa über die richtige Höhe von Geldern für die Forschung und Therapie. Spielen Stigmata auch in dieser Debatte eine Rolle?

Die Gefahr besteht. Long Covid ist eine häufige und zugleich neue Erkrankung, es besteht also die große Chance, dass wir noch vieles herausfinden, was den Menschen helfen kann. Die Forschung zu fördern erscheint mir naheliegend und dringend notwendig. Polemiken helfen da nicht.

Was lässt sich der Stigmatisierung entgegensetzen?

Klassischerweise gibt es drei Strategien: Protest, Edukation und Kontakt. Von psychischen Krankheiten weiß man, dass Kontakt am besten funktioniert: Wer Betroffene kennenlernt, hinterfragt plötzlich seine Vorstellungen von einer Erkrankung. Bei Long Covid sind wahrscheinlich alle drei Strategien nötig. Medien sollten genau hinhören, was Menschen mit dieser Erkrankung erleben. Wir Mediziner müssen darüber aufklären, dass sich zum Beispiel ihre Form der Erschöpfung deutlich von einer landläufigen Erschöpfung unterscheidet. Und dass es durchaus kognitive Tests und einfache Untersuchungen etwa der Handkraft gibt, die spezifisch auf Long Covid hinweisen. Ohne den Protest der Menschen stünde es um die Anerkennung dieses Syndroms wahrscheinlich noch viel schlechter. Es gehört zu den zweischneidigen Erlebnissen, dass das Protestieren von manchen dann wieder gegen die Menschen verwendet wird, nach dem Motto: So erschöpft können die ja nicht sein.

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25 Kommentare

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  • Wenn die taz es erlaubt, würde ich gerne auf diesen Link verweisen:

    hier kann man schön in den Diskurs blicken und ich denke für den/die eine(n) oder andere(n) Betroffene könnten da ein paar hilfreiche Gedankenanstösse dabei sein :

    www.doccheck.com/d...ts-nichts-zu-sehen

    P.S.: mich amüsiert besonders der Psychologe, der natürlich alles durch seine Brille sieht. Eigentlich müsste ihm das Phänomen der selektiven Wahrnehmung doch geläufig sein, na ja.

  • So wie jetzt den PostCovid-Betroffenen ergeht es den von anderen (seltenen) multisystemischen Erkrankungen (wie z. B. MCAS od. MCS) Betroffenen schon lange. Die meisten Ärzte kennen diese Erkrankungen nicht oder bezweifeln sogar deren Existenz.



    Die Betroffenen werden erst von Facharzt zu Facharzt geschickt und schließlich zum Psychiater abgeschoben oder als Simulanten oder eingebildete Kranke abgestempelt.



    Die oben genannten Erkrankungen verursachen auch psychische Symptome, die aber Folge und nicht Ursache der Erkrankungen sind.



    Die verordneten Psychopharmaka verschlimmern die Gesamtheit der Symptome oft, da viele Medikamente bei diesen Krankheiten unverträglich sind.



    Ich hatte gehofft, daß sich durch die PostCovid-Forschung auch der Umgang mit anderen multisystemischen Erkrankungen ändern würde. Dem scheint aber nicht so zu sein.

    • @Birgit "Robienne" Weber:

      Ich muss sagen, ich freue mich (in Anführungszeichen), dass hier jemand mal von Mastzellaktivitätssyndrom MCAS bzw. erhöhter Mastzellaktivität MCA spricht.



      In den Medien sonst? Fehlanzeige - im Gegensatz zu me-cfs. Warum bloß?

      Da ich seit Beginn meiner Beschwerden nun auch eine Histaminintoleranz entwickelt habe (messbar, da DAO-Aktivität eingeschränkt - DAO ist das Enzym, dass u.a. Histamin abbaut), die TEIL (!!) einer MCAS sein kann und auch Berhard Schiefer, der Kardiologe der PostVac-Ambulanz der Uni Marburg in einem Interview (Zeit Online glaube ich), als Sofortmaßnahme eine histaminarme Ernährung anregte, scheinen die Mastzellen ja auch deutlich an der Problematik beteiligt zu sein.



      Bei mir hat die Ernährungsumstellung nach diesem Zeit-Interview wirklich eine deutliche Entlastung bedeutet.

      Was ich noch nicht ganz verstehe ist der Unterschied zwischen MCAS und Me-cfs, denn es gibt viele Überschneidungen, auch gerade der Kardinalsymptome.

      1.) Post Extertional Malaise (PEM) - also Verschlechterung nach mentalen wie physischen Anstrengungen die über das Pacing hinausgehen.



      2.) Pacing hilft eben sehr zuverlässig



      3.) Verschlechterung, v.a. auch Fatigue



      4.) bei beiden Phänomenen kann es eine erhöhte Neigung zu Hämatomen geben.

      Ich verstehe deshalb wirklich nicht, dass dies kaum thematisiert wird.

      Ich persönlich denke, dass es auch eine Mastzellaktivierungs- Untergruppe bei PostCovid/PostVac gibt.

  • "...ich glaube, selbst wenn man einige Biomarker findet: es gibt trotzdem nicht ein einheitliches PostCovid. "

    Höchstwahrscheinlich nicht. Der folgende Artikel aus dem Ärzteblatt beschreibt drei Varianten mit unterschiedlichen Ursachen aber ähnlichen Symptomen:

    www.aerzteblatt.de...&s=nur&s=schicksal

    Für mich klingen die Zusammenhänge logisch und aus meinem privaten Umfeld kenne ich rund drei Handvoll Menschen, die an Long Covid leiden, und die sich jeweils in eine der drei Kategorien einsortieren lassen.

    Bei den Wirkzusammenhängen hat die Wissenschaft noch einige Fragen zu beantworten. Ein differenzierter Blick auf mögliche, unterschiedliche Ursachen hilft dabei.

    • @Holger_0311:

      Dieser Beitrag wurde falsch einsortiert. Er ist als Antwort auf einen Post von Oliver Tiegel gedacht, ich habe ihn weiter unten erneut gepostet, dort befindet er sich an der richten Stelle.

  • Ein sehr interessanter Beitrag. Ich bin neugierig, wie Schomerus zu dem vergleichbaren Thema PostVac steht. Auch da sind dieselben Reaktionen zu beobachten und die Betroffenen haben eine noch kleinere Lobby.

    • @Martin Temmen:

      Also, bei mir ist es PostVac gewesen, das lies sich im Blut auch nachweisen, da ich nur Antikörper gegen das Spikeprotein des Virus, jedoch nicht gegen die Virushülle hatte. Bei der echten Infektion bilden sich jedoch Antikörper gegen Spike und Virushülle.

      Meistens rede ich von PostCovid in meinem Fall, da PostVac einfach zu sehr politisch aufgeladen ist und einfach nicht die Kraft habe, mich da ins Getümmel zu stürzen.

      Besonders schlimm ist, dass man mitten in diesem ideologischen Spannungsfeld liegt:

      PostVac Relativierer einerseits, die den Ruf der Impfung - verständlicherweise - retten wollen, aber durch ihre Ignoranz teilweise das Gegenteil erreichen und andererseits die Impfgegner, die Leute wie mich als "wandelndes Argument" ideologisch schlicht missbrauchen.

      Der einzig Vernünftige scheint mir da Bernhard Schiefer, von der PostVac-Ambulanz der Uni Marburg zu sein.



      Kein Schwurbler und nimmt die Leute trotzdem ernst.

      Ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich mit PostVac die kleine Schwester von PostCovid erwischt habe und bin - Stand heute - auch kein Gegner der Impfung. Wäre das Virus ungebremst auf mich getroffen hätte ich m.M.n. heute wahrscheinlich eine vernarbte Lunge und müsste bedeutend mehr leiden.



      Denn es gab eine unentdeckte Entzündung schon vorher bei mir, so dass ich vulnerabel war und ich mir die hochgejazzten Entzündungswerte während einer akuten Infektion z.B. mit Delta gar nicht ausmalen mag.







      Der Immun-Impuls der Impfung hat eben diese schon vorhandene Entzündung nur noch verstärkt, bzw. dann etwas erst recht entgleisen lassen.

      Und das die Krankheit selber nochmal reinhaut, durfte ich - trotz mildem Verlauf - dann doch noch einmal im Blutbild erleben:



      Vitamin D Spiegel halbiert (ok, kann man schnell wieder auffüllen) aber v.a. eine Verschlechterung der Immunfunktion (Aktivität der Natürlichen Killerzellen) im Vergleich der Messung VOR der Infektion, aber NACH den Impfungen.

    • @Martin Temmen:

      Natürlich kann der Körper mit einer Immunreaktion auf das Vaccin genauso reagieren wie auf die Krankheit selber - das ist prinzipbedingt und in Grenzen beabsichtigt.

      Trotzdem wird ein durch das Training des Immunsystems so geschützter Körper in den allermeisten Fällen weniger dramatisch auf die Erkrankung reagieren und höchstwahrscheinlich auch ein schwächeres "Post..." entwickeln.

      Ich hatte sowohl nach der ersten Corona-Erkrankung ein heftiges Brainfog als auch nach der ersten Impfung - dann aber merklich schwächer. Ich spreche also von eigener Erfahrung, die mich auch nicht überrascht hat.

  • Danke. Wird Zeit für mehr Forschung und endlich mehr geschultes Personal und Geld für spezielle Long Covid Ambulanzen. Die fehlen selbst in vielen Uni-Kliniken.

  • "Ihre körperlichen Leiden werden psychologisiert, oft wird sogar eine psychische Erkrankung diagnostiziert."

    IMMER noch??? Wie dumm kann man sein? Oder im Fall von Ärzten: (zusätzlich) wie arrogant und unwissenschaftlich kann man sein?



    Ich könnt ausflippen, wenn ich sowas lese.

    "Wir Mediziner müssen darüber aufklären, dass sich zum Beispiel ihre Form der Erschöpfung deutlich von einer landläufigen Erschöpfung unterscheidet."

    Es gibt noch Hoffnung...

  • Liebe taz, vielen Dank für dieses tollen Artikel.



    Den von Herrn Schomerus kritisierten Kommentar in der Süddeutschen kannte ich bereits. Für mich der absolute Tiefpunkt der Debatte. Unfassbar, wie ein Wissenschaftsjournalist hier von seinem Baum, auf den er gestiegen ist, nicht mehr runterkommt.



    Wenn für einen Herr Werner Bartens die Psychosomatik nunmal ein Hobby ist, wie für andere Leute die Modelleisenbahn im Keller, dann darf eben auch niemand dem Werner Bartens dieses Hobby kaputt machen und in Frage stellen.



    Eine persönliche Bias, nach dem Prinzip:



    Für den Zimmermann ist alles ein Nagel.

    Was mir aber persönlich auch noch wichtig ist:



    ich glaube, selbst wenn man einige Biomarker findet: es gibt trotzdem nicht ein einheitliches PostCovid.



    Als persönlich Betroffener:



    - beim Muskeltest werde ich nicht per se durchfallen. Es sind eher Anfälle, bei den die Muskeln ohne erkennbaren Anlass ins anaerobe übergehen.



    - niedriger Cortisolspiegel sollte ein Marker sein. Der ist bei mir aber überraschenderweise normal



    - Calprotektin im Blut (nicht Stuhl) ist jedoch erhöht. Wenn ich das Pacing verlasse, schmerzen meine Gefässe und ich neige zu blauen Flecken



    - ich brauche bei Überlastung Tage um wieder klarzukommen. Der ganze Körper fühlt sich entzündet an



    - ich habe keine Depressionen (trotz der Weltlage!!!), jedoch bei Verlassen des Pacings eine erhöhte Schreckhaftigkeit.



    - Lichtempfindlichkeit und Seestörungen sind dank Nahrungsergänzungsmitteln (dessen Spiegel ich im Labor überprüfen lasse!!) viel besser geworden. Ebenso die Hautausschläge und der Haarausfall.



    - Immunfunktion ist aber scheisse.



    - innerhalb des Pacings: fast alles OK. Mittlerweile kann ich auch wieder Fahrradfahren, was auch gegen Entzündungen hilft. Wichtig: keinen Druck und langsam warm werden.

    Letzteres ist auch eine Quelle für Unverständnis:



    ich sehe gesund aus, kann lachen, fahre Fahrrad. Die Leute haben aber Presse-Bilder von schweren ME-cfs im Kopf. Urteil leichtere Fälle: Simulant !

    • @Oliver Tiegel:

      ...ich glaube, selbst wenn man einige Biomarker findet: es gibt trotzdem nicht ein einheitliches PostCovid. "

      Höchstwahrscheinlich nicht. Der folgende Artikel aus dem Ärzteblatt beschreibt drei Varianten mit unterschiedlichen Ursachen aber ähnlichen Symptomen:

      www.aerzteblatt.de...&s=nur&s=schicksal

      Für mich klingen die Zusammenhänge logisch und aus meinem privaten Umfeld kenne ich rund drei Handvoll Menschen, die an Long Covid leiden, und die sich jeweils in eine der drei Kategorien einsortieren lassen.

      Bei den Wirkzusammenhängen hat die Wissenschaft noch einige Fragen zu beantworten. Ein differenzierter Blick auf mögliche, unterschiedliche Ursachen hilft dabei.

    • @Oliver Tiegel:

      "- Immunfunktion ist aber scheisse."

      Sehr merkwürdig - ich hab seit Corona + 3 Impfungen nahezu keinerlei Erkrankung irgendeiner Art erleben müssen, kein Lippenherpes, keine Erkältung, nichts (bis auf kürzlich einen komischen grippalen infekt, der sich trotz 3 Negativtests eher wie Corona angefühlt hat weil sehr zäh und mit Brainfog-Folgen).



      Mein Immunsystem scheint mir topfit, trotz einiger sehr kräftiger Anflüge ("JETZT hat's mich aber..." mit Halsschmerzen, Schniefen u.ä.) kam nichts durch, war nach ein paar Stunden wieder weg.

      • @Mitch Miller:

        Nun, die Laboruntersuchungen zeigen das. Ich bekomme das so direkt gar nicht mit im Erleben.



        Man kann bspw. die Aktivität der Natürlichen Killerzellen messen lassen.



        Diese ist übrigens auch bei me/cfs häufig auch vermindert.



        Lässt sich aber oft auch durch Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel stimulieren, das ist die gute Nachricht.

    • @Oliver Tiegel:

      "es gibt trotzdem nicht ein einheitliches PostCovid. "

      Absolut. Die körperlichen Symptome und die geistigen können völlig unabhängig voneinander auftreten - bei meinen Brainfog-Phasen war ich körperlich absolut top, keinerlei Einschränkungen.



      Im Gegenteil, Anstrengung an frischer Luft hat sogar geholfen, klarer zu werden.

    • @Oliver Tiegel:

      Das mit dem Entzündungsgefühl ist hoch interessant, da Sie m.E. die körperliche Fatigue beschreiben.

      Ich hab wiederholt an der "geistigen Fatugue" = Brainfog gelitten und hatte das Gefühl, mein Gehirn wäre entzündet.



      Und mir hat da extrem ein entzündungshemmendes Mittel geholfen. 1 Tablette und ich war wie ausgewechselt.

      Ich vermute, ich sollte das hier nicht namentlich empfehlen...

      • @Mitch Miller:

        "und hatte das Gefühl, mein Gehirn wäre entzündet."

        Ja, das Gefühl kenne ich auch.

  • Der Artikel von Werner Bartens in der SZ ist keinesfalls polemisch ausgerichtet. Bartens kritisiert die Gesundheitspolitik und nicht die Erkrankten. Problematisch ist auch die Aussage, dass man einfach mal glauben sollte, wissenschaftliche Medizin funktioniert anders. Aber danke für das Interview, Georg Schomerus hat in der Tendenz meine volle Zustimmung.

    • @Rainer Meyer:

      Natürlich ist der Artikel ziemlich polemisch und nicht einfach "nur kritisch". Es mag sein, dass Sie das nicht so wahrnehmen, weil Sie die Kritik teilen.

  • Tja hm, und im Versuch die Stigmatisierung von Long Covid zu vermindern wirft er fröhlich psychisch kranke Menschen unter den Bus, als wäre das Stigma dort angebracht und als wäre die Diskriminierung psychisch Kranker in Deutschland keine Dauerkatastrophe. Können wir da vielleicht mal langsam ran anstatt immer nur stark abzugrenzen und WIR SIND JA NICHT WIE DIE UNTERMENSCHEN DA UND DESWEGEN VERDIENEN WIR HILFE zu schreien? Krank ist okay wenn genug Leistungsbereitschaft bewiesen werden kann? Und das Problem ist nicht generell, dass wir Menschenleben nur per kapitalistische Leistung als wertvoll begreifen? Ich bin es so leid. Der Ableismus in Deutschland blüht an allen Ecken.

    • @Apathometer:

      "Wir haben in der Wissenschaft praktisch einen Konsens, dass Long Covid keine psychische Erkrankung ist. Wer sich darüber einfach hinwegsetzt, der überschreitet meiner Meinung nach die Grenze zur Stigmatisierung."

      Die Aussage könnte so verstanden werden.

      Ich verstehe sie jedoch als Kritik an Menschen, die es sich es mit der Fehldiagnose "Psychische Ursache" zu einfach machen. Als Angehöriger einer ME/CFS Erkrankten kenne ich dieses Muster von leider nicht wenigen Medizinerinnen und Medizinern: für die ist eine psychosomatische Diagnose gleichbedeutend mit der Aussage: Ich habe keine Ahnung über die Ursachen, habe auch keine Lust, mich mit den Patienten zu befassen, und schiebe sie lieber an einen anderen Berufsstand ab.



      Das ist tragisch, und wird keinem Betroffenen gerecht!

      Eine eindeutige Diagnose ist notwendig, um den Betroffenen eine Heilung zu ermöglichen. Und da ist es wichtig, die Ursache zu identifzieren und die richtige Fachperson die Therapie durchführen zu lassen.

      Bei Psychologen und Psychiaterinnen habe ich eher die Erfahrung gemacht, dass sie in der Lage sind, eine psychische Ursache zu erkennen oder auszuschließen.

    • @Apathometer:

      Ein nicht ganz von der Hand zu weisender Einwurf. Könnte auch so verstanden werden.



      Obwohl ich es mir bei ihm nicht so recht vorstellen mag. Er scheint ja eben nicht zu den arroganten Ärzten zu zählen, sondern zu den den Menschen zugewandten, Mit Stigmatisierung kann man sich aber niemanden zuwenden.

  • Wir erleben derzeit einen neoliberalen Schub -- so etwas wie ein Krankheitsschub auf gesellschaftlicher Ebene. Missstände werden auf schwächere Gruppen projiziert (Migrant*innen, Kranke, prekär arbeitende) und so wird von den eigentlichen Ursachen abgelenkt.

    Die Stigmatisierung der von long covid Betroffenen passt nur allzu gut in dieses Muster.







    Wie so etwas endet wissen wir aus geschichtlicher Erfahrung nur allzu gut. Wenn wir es nicht schaffen, dem jetzt einen Riegel vorszuchieben dann stehen uns interessante Zeiten bevor.

  • "Faulpelze" und "Simulanten" klingen sehr nach Wörtern aus den 30er Jahren. Welcome back, Germany!

  • Danke für diesen Bericht. Hier wurde endlich einmal offen ausgesprochen, was wirklich Sache ist.

    Hinzufügen ließe sich noch eine Betonung des Dramas mit den tatsächlich angebotenen "Hilfen" in den Bereichen, die schlichtweg von immer mehr Betroffenen bestenfalls als zusätzliche Verhöhnung empfunden werden. Dies ist der große Bereich der "Zuständigkeitsratschläge", die sich sowohl im medizinischen Bereich ("da wenden Sie sich besser an den und den", als auch im behördlichen Bereich zeigen (Formulare über Formulare und Bescheide im bestmöglich unverständlichen Beamtendeutsch, bei denen selbst Juristen oftmals überfordert sind).