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Eine Segellegende geht von BordWilfried Erdmann muss aufhören

Wilfried Erdmann hat viele Segler inspiriert und Weltumsegelungen geschafft, die kaum jemand vorher oder nachher gelangen. Jetzt hat er Krebs.

Wilfried Erdmann 2000 in Cuxhaven, vor seiner legendären Weltumsegelung Foto: Andreas Wrede/dpa

Bremen taz | Wenn Segler den Namen „Wilfried Erdmann“ hören, dann kriegen sie feuchte Augen. Generationen von ihnen hat er inspiriert und motiviert, auch zu segeln, und natürlich haben sie viele seiner beinahe zahllosen Bücher in ihrer Bordbibliothek stehen. In seinem Falle ist das gelegentlich überstrapazierte Wort „Legende“ ausnahmsweise mal völlig angebracht.

Als er im letzten Jahr sagte, dass er mit dem Segeln aufhört, ja: aufhören muss, weil er krank ist, dann ist es ehrliche Trauer, die viele in der Szene bewegt. Es ist ein langer Abschied: Am Sonntag endete die Messe „boot“ in Düsseldorf, die weltgrößte ihrer Art. Um die 50-mal war Erdmann da, zweimal mit Schiff und Buch. Jetzt aber gar nicht. „Schon seltsam“, sagt er.

Wilfried Erdmann ist keiner, der gerne viel Aufhebens um sich macht, also quasi das Gegenteil eines Influencers. 1940 in Pommern geboren, machte er extreme Reisen schon, als das noch nicht modern war: Mit 17 verließ er nach einer Tischlerlehre die DDR, radelte nach Südfrankreich. Kurz danach fuhr er nach Indien, allein, auch mit dem Rad.

Ein paar Jahre später kaufte er sich in Spanien ein verwahrlostes Holzboot, die „Kathena“, ein Kielschwerter, der nicht mal acht Meter lang war und segelte damit allein um die Welt; rund 60.000 Kilometer sind das. Als er 1968 wieder in Helgoland festmachte, war das hierzulande so unvorstellbar, dass ihm viele zunächst nicht glaubten, was er da soeben geschafft hatte.

Nonstop um die Welt

Seitdem lebte Erdmann fürs und vom Segeln und ansonsten in Goltoft an der Schlei. Etwas anderes als große Törns kam für ihn nie infrage, er ist keiner, der nachmittags mal eben mit seinem Boot rausfährt. 1985 war er der erste Deutsche, der alleine nonstop um die Welt gesegelt war, von West nach Ost, mit der „Kathena nui“, einer nicht mal elf Meter langen, motorlosen Aluyacht, die er selbst ausgebaut hatte. Neun Monate war er unterwegs, ohne auch nur einmal irgendwo anzulegen. Das haben nach ihm noch viele Deutsche versucht, mit größeren, schnelleren, besser ausgestatteten Booten. Der Einzige, der es geschafft hat, war Boris Herrmann – mit einem Millionenbudget auf einer doppelt so großen Rennyacht aus Carbon.

Aber abgesehen von einem ordentlichen Segelschiff braucht man für so einen Trip vor allem Ausdauer, Zähigkeit, den unbedingten Wunsch, sich radikaler Einsamkeit auszusetzen und viel, sehr viel Durchhaltevermögen.

Dieser Wille fehlt den meisten, die es Erdmann nachtun wollten. Wer nicht, ja: besessen ist von seiner Idee, gibt irgendwann auf und übersteht nicht die schweren Stürme in antarktischen Breiten, denen man nicht entgehen kann. Streng genommen ist dieses Einhandsegeln aber weder mit der Idee von guter Seemannschaft noch mit dem Seerecht vereinbar, weil man ja nicht ständig Ausguck halten kann, wie es vorgeschrieben ist.

Als Erdmann beinahe schon im Rentenalter war, segelte er noch mal alleine um die Welt – 343 Tage lange lang, und zwar gegen die vorherrschende Windrichtung. Eine brutale Reise. Eine, die völlig zu Recht nur sehr wenige Menschen auf der Welt überhaupt je versucht haben. Es gibt nur vier Segler, die sie vor Erdmann überhaupt geschafft haben. Das Buch dazu, „Allein gegen den Wind“, stand 32 Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste.

Im Spätsommer erschreckte er die Segelwelt mit einem bewegenden Post. Den richtigen Zeitpunkt, um aufzuhören, habe er leider verpasst, heißt es da. Er hat Krebs. Und Kranksein ist etwas Unbekanntes für ihn. Er kann damit schlecht umgehen, anders als mit schweren Stürmen. „Seine Stimme“, schreibt das Magazin Yacht im letzten Interview, „ist leicht brüchig, wenn er antwortet.“

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