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Eindrücke aus OrlandoDie Angst nach der Nacht

„Man hat das Gefühl, wir waren alle Zielscheiben“, sagt Chris Enzo. Der 25-Jährige bangt um seinen Freund, der im Pulse-Club schwer verletzt wurde.

Der Schock über den Anschlag reicht weit über den Tatort hinaus Foto: dpa

ORLANDO taz | „Macht euch nichts vor“, sagt Chris Enzo. „Das Trauma wird bleiben, das hier werden wir lange nicht abschütteln können, es muss ja erst noch einsickern, wir stehen doch ganz am Anfang.“ An Laternenmasten, in Schaufenstern, an der McDonald’s-Reklame, überall in Orlando sieht man die Parole, die helfen soll, den Blick nach vorn zu richten: „Orlando Strong“. Orlando ist stark.

Enzo weiß, im Augenblick ist es Wunschdenken, eine Art Pfeifen im Walde. Er jedenfalls will gar nicht verhehlen, dass er unter Schock steht, nervös, verunsichert, fahrig ist. „Unsere Gemeinschaft ist ja so klein. Man hat das Gefühl, wir waren alle Zielscheiben“, sagt Enzo.

Der 25-Jährige, der regelmäßig in einem Schwulenclub kellnert, um sein Studium zu finanzieren, bangt um Rodney Sumter, seinen Freund. Der stand in dem Moment, als der Angreifer Omar Mateen das Feuer eröffnete, im Pulse hinter dem Tresen. Die Frau, für die er gerade einen Drink mixte, fiel vor seinen Augen zu Boden, wahrscheinlich tot, er weiß es nicht genau.

Selbst von Kugeln an der Schulter und am Ellbogen getroffen, ging Sumter hinter der Theke in Deckung, bevor er es irgendwie nach draußen schaffte. So hat er es Enzo erzählt, der es Wort für Wort wiederholt.

Spätabends, 20 Stunden nach dem Attentat

Der Freund wird durchkommen, das weiß Chris Enzo, seit er ihn im Krankenhaus besuchte. Was bleiben wird, sind die seelischen Wunden, gepaart mit dem Gefühl, als Gruppe ins Visier gewaltbereiter Fanatiker geraten zu sein. „Es sind ja immer dieselben Leute, die diese Clubs besuchen. Jeder kennt jeden, es ist, als hätte es deine Familie getroffen“, sagt er.

Es ist spät am Abend, rund zwanzig Stunden nach dem Blutbad im Club Pulse. Chris Enzo muss reden, um das Geschehene zu verarbeiten. Er ist dorthin gekommen, wo die vielen Reporter warten, an die Grant Street, Ecke Orange Avenue, drei Straßen vom Tatort entfernt. Das Reklameschild eines Heimwerkerladens flackert in der Dunkelheit, Polizisten achten darauf, dass niemand das gelbe Plastikband passiert, auf dem „Crime Scene“ steht. Irgendwo dahinter, zwischen einfachen Cafés und billigen Imbissbuden, liegt das Pulse.

Es ist eine gespenstische Nacht in Orlando, Florida, der Partystadt, der Touristenstadt, der Stadt, die Walt Disney und Harry Potter opulente Themenparks widmet und die ihre Besucher schon am Flughafen mit dem Versprechen begrüßt, dass sich Freizeit und Fantasie in Orlando aufs Trefflichste mischen werden.

Es sind immer ­dieselben Leute, die diese Clubs ­besuchen. Jeder kennt jeden, es ist, als hätte es deine Familie getroffen

Chris Enzo

Überall die rot-blauen Lichter der Polizeiautos, überall Absperrbänder. Die Innenstadt, das Areal rings ums Pulse, lässt an einen Kriegsschauplatz denken. Hubschrauber knattern am Himmel. Und das Lokalfernsehen zeigt eine erschütternde Szene nach der anderen: Verzweifelte Menschen, die auch dreißig Stunden nach der Tat noch nicht wissen, wie es ihren Kindern, ihren Geschwistern, ihren Cousins geht, ob sie leben oder nicht.

Eine Frage ist es, die an der Grant Street Ecke Orange Avenue in fast jedem Gespräch gestellt wird: Was ist passiert mit dem Täter, dem 29-jährigen Omar Mateen? Mit dem Mann, dessen Name sich für viele mit einem zweiten 9/11 verbindet, mit einem Terrorakt, der ähnliche Spuren hinterlässt wie die Attentate am 11. September 2001 auf New York und Washington, auch wenn die Opferzahl deutlich kleiner ist.

Ein kaltblütiger Profi

Mateen, so viel scheint klar, muss das Blutbad mit großer Präzision geplant haben. Die Waffen, aus denen er im Pulse feuerte, eine Pistole der Marke Glock und ein Sturmgewehr vom Typ AR-15, konnte er so mühelos erwerben, wie andere einen Autoreifen kaufen. Vor neun Jahren heuerte er bei G4S Secure Solutions, einer großen Sicherheitsfirma, als Wachmann an. Nach Angaben des Unternehmens wurde er zweimal, 2007 und 2013, bei Routinetests psychologisch untersucht.

Im Waffenladen, so ist zu hören, sollen sich die Überprüfungen seiner Personaldaten auf ein Minimum beschränkt haben, denn als jemand, der im Beruf Waffen trug, schien er unbedenklich zu sein. Seine geschiedene Frau, er war nur zwei Jahre verheiratet, charakterisiert ihn als überaus reizbaren Menschen, der sie aus kleinstem Anlass geschlagen habe, etwa wenn die Wäsche noch nicht gewaschen war. Rodney Sumter, so schildert es dessen Kumpel Chris Enzo, hat ihn als kaltblütigen Profi erlebt.

Der Täter, dessen Namen er nicht nennen werde, das wäre zu viel der Ehre, sagt Enzo, soll seine Opfer niedergemäht haben, als wäre ein Roboter am Werk. „Kalkuliert“ ist das Wort, das der Student immer wieder gebraucht. So schnell hintereinander seien die Schüsse gefallen, dass manche Tatzeugen noch immer glauben, zwei Schützen hätten den Club überfallen.

Auf die Frage, ob sich das Land nun wohl zu schärferer Waffenkontrolle durchringen werde, antwortet Enzo mit skeptischem Blick, bevor er nach kurzem Nachdenken erwidert, dass dies ja wohl wenig Sinn ergebe. „Wenn einer unbedingt töten will, wenn er es sich dermaßen in den Kopf gesetzt hat, ich glaube nicht, dass ihn ein schärferes Gesetz aufhalten kann.“ Ähnlich sieht es Andrew Sybert, 27 Jahre alt, ein Afroamerikaner aus Alabama, der im toleranten Orlando einen Ort gefunden hat, an dem er sich offen zu seiner Homosexualität bekennen kann.

Ob nun striktere Waffenkontrollen oder aber jeden eine Waffe tragen lassen, der eine Disco, eine Bar, eine Kneipe besucht: „Du weißt einfach nicht, was du damit bewirkst.“ Es klingt nach Ratlosigkeit.

In Orlando wird nicht kapituliert

Auch Sybert spricht von der Angst, die nun in ihm stecke. Seine Mutter habe angerufen, um ihm nahezulegen, doch bitte für eine Weile keinen Schwulenclub mehr zu betreten. Den Gefallen hat er ihr nicht getan. In der Nacht zum Montag trifft sich Sybert geradezu demonstrativ in einer stadtbekannten Bar mit seinen Freunden, im Stonewall im Zentrum Orlandos, benannt nach der berühmten New Yorker Kneipe, die in der Geschichte der Homosexuellenbewegung eine so herausragende Rolle spielte.

Sie wollen ein Zeichen setzen, sie wollen zeigen, so sagt es Syberts Kumpel Keith Vega, dass die Gewalt nicht siegen wird. „Wir wären doch nie so weit gekommen, wären wir bei jeder Sache vor lauter Angst auf die Knie gefallen.“ Im Stonewall, fügt er mit dröhnend lauter Stimme hinzu, wird nicht kapituliert.

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1 Kommentar

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  • Kaltblütig? Da kann man mal wieder sehen, wie Kollegen sich täuschen können. Aber gut, was will man erwarten, wenn sogar die Psycho-Pofis versagen?

     

    Wer unbedingt töten will, der tötet. Aber muss man es den Irren wirklich SO leicht machen? "Unbedingt" ist schließlich eine Kategorie, die Menschen nicht sofort erreichen. So etwas dauert. Mit dem Küchenmesser auf Polizisten loszugehen, ist jedenfalls nicht jedermanns Sache. Die meisten Leute machen es sich gerne etwas leichter. Halbautomatische Waffen sind unter Möchtegern-Massenmördern deswegen deutlich beliebter als Hirschfänger. Man tötet damit effizienter, und wer will das nicht, wenn er denn "unbedingt" zum Massenmörder werden will – weil er schon viel zu lange gewartet hat auf seine vermeintliche Vergeltung?

     

    Die Einstellung: "Wir wären doch nie so weit gekommen, wären wir bei jeder Sache vor lauter Angst auf die Knie gefallen", finde ich in Ordnung. Überhaupt: Selbst wenn es keine Demonstration wäre – wer jemanden zum Reden braucht, versucht es ja im Allgemeinen erst einmal mit irgendwelchen Gleichgesinnten, Mitbetroffenen, bevor er oder sie sich an die Presse wendet. Und diese Leute findet man als offen schwuler Mensch am leichtesten wo? Genau. Da, wo die Wahrscheinlichkeit des nächsten Überfalls nach so einer Tat am kleinsten ist, liebe Muttis.