Ein Jahr #OutInChurch: Geduldet, nicht willkommen
Vor einem Jahr outeten sich im Rahmen von #OutInChurch 125 Katholik*innen als queer. Was hat sich seitdem in der Institution verändert?
S ie erzählen von Suizidgedanken, von Diskriminierungen, von Einsamkeit – weil sie in ihrer Glaubensgemeinschaft einen Teil ihrer Identität verstecken sollen. Ein Jahr ist es her, dass sich im Rahmen der Initiative OutInChurch 125 Menschen als katholisch – und queer geoutet haben. Sie sind Priester, Gemeindereferent*innen oder Lehrer*innen. Mit ihrem Outing riskierten sie das berufliche Aus im Kirchendienst. Ihre Queerness kann ihnen im Januar 2022 noch als Loyalitätsverstoß gegen die katholische Kirche vorgeworfen werden.
Ihre Forderung: eine Kirche ohne Diskriminierung. Veröffentlicht hatten sie diese auch in einer ARD-Doku der Journalisten Hajo Seppelt und Katharina Kühn. Im November wird der Film mit dem Katholischen Medienpreis ausgezeichnet – verliehen von der Deutschen Bischofskonferenz. Ein Wandel in der katholischen Kirche?
Die Auszeichnung für die Doku sei verdient, sagt Jens Ehebrecht-Zumsande, einer der Initiatoren von OutInChurch. Der Referent im Erzbistum Hamburg verschwieg jahrelang seine Homosexualität, aufgrund seiner Arbeit. Durch den Preis sieht er auch die Gefahr von Pinkwashing: „Wer A sagt, muss auch B sagen. Man kann nicht einen Preis an einen Film verleihen, der die Missstände anprangert, und nichts tun, um diese zu ändern.“
Nichts tun, schweigen und hoffen, dass ein medialer Sturm vorüberzieht. Für diese Praxis wird die katholische Kirche immer wieder kritisiert. Zu lange hat es gedauert, bis die Aufklärung von sexuellem Missbrauch an Kindern konsequenter beleuchtet wurde. Noch immer werden einige der Täter nicht strafrechtlich verfolgt. Noch heute weiß man wenig über den systematischen Machtmissbrauch von Priestern gegenüber Nonnen weltweit.
Überwiegend positive Erfahrungen der Aktiven
Ist es so auch OutinChurch ergangen? Ein Jahr später steht die positive Bilanz: Kündigungen hat es nach Outings im Rahmen der Initiative keine gegeben. Man wisse allerdings nicht von anderen Repressionen, etwa Hürden beim beruflichen Aufstieg, gibt Ehebrecht-Zumsande zu bedenken. Er glaubt aber, dass der mediale Druck, der bei einer Kündigung aufgrund von OutinChurch da gewesen wäre, Vorgesetze erfolgreich abgeschreckt hat.
Bei den Beteiligten der Initiative überwiegen aber ein Jahr später die positiven Reaktionen auf das Outing. Natürlich habe es auch Hasskommentare, insbesondere auf Social Media, gegeben, aber viele sind erleichtert, sich nicht mehr verstecken zu müssen. Sie beschreiben den starken Zusammenhalt, den sie in der Initiative erfahren. Über 500 Menschen haben sich angeschlossen. Noch im Januar soll die Vereinsgründung erfolgen.
Weniger positiv fällt die Bilanz bei den Forderungen der Initiative aus, die sie vor einem Jahr öffentlich gemacht haben. Es geht ihnen um eine diskriminierungsfreie Kirche. Nur eine der Forderungen wurde erfüllt. Aber die ist keine Kleinigkeit: Zum neuen Jahr ist das kirchliche Arbeitsrecht geändert worden. „Das war eine unserer Hauptforderungen. Wir sind selbst ein bisschen überrascht von dem Erfolg“, sagt Ehebrecht-Zumsande: „Da haben die Bischöfe einen relativ großen Schritt nach vorne gemacht.“
Am 22. November 2022 hat die Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) mit der erforderlichen Mehrheit eine neue „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ als Empfehlung für die deutschen Bistümer beschlossen. Darin heißt es nun „Alle Mitarbeitenden können unabhängig von ihren konkreten Aufgaben, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrem Alter, ihrer Behinderung, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Identität und ihrer Lebensform Repräsentantinnen und Repräsentanten der unbedingten Liebe Gottes und damit einer den Menschen dienenden Kirche sein.“
Eine Kündigung aufgrund einer queeren Identität braucht so keine Person mehr zu fürchten. Gleichgeschlechtliche Paare können auch als Angestellte im Dienst der katholischen Kirche heiraten. Schon 16 Bistümer in Deutschland haben die Änderungen in ihrem Amtsblatt veröffentlicht. Die anderen wollen folgen. Auch im Koalitionsvertrag der Ampel war die Forderung nach einer Reform des kirchlichen Arbeitsrechts festgeschrieben.
Eine Reaktion aufgrund des großen Drucks
Ehebrecht-Zumsande freut der Schritt, trotzdem habe OutinChurch nicht umsonst sieben Forderungen gehabt: „Innerkirchlich wird das gerade bejubelt, als ob wir so alles erreicht hätten.“ Als schwuler Mitarbeiter der katholischen Kirche fühlt er sich aber nur geduldet, nicht willkommen: „Als Arbeitnehmer bin ich nun okay. Als Katholik lebe ich weiterhin eine Sünde.“ Die Änderungen im kirchlichen Arbeitsrecht sei nicht gekommen, weil „Bischöfe gemerkt haben: Unsere Theologie bisher war falsch.“ Es sei einfach eine Reaktion aufgrund des großen Drucks, so Ehebrecht-Zumsande.
Entscheidend für ihn ist, dass es zu einer Änderung der katholischen Sexualmoral kommt. Doch genau daran ist die Reformbewegung Synodaler Weg im September letzten Jahres fast gescheitert. Ein Text zur Neubestimmung der katholischen Sexuallehre fiel bei der Abstimmung durch, weil er nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit der Bischöfe erhielt. Besonders die engagierten Laien, aber auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Georg Bätzing, zeigten sich danach in Frankfurt erschüttert.
Holger Allmenroeder, der seit 19 Jahren Priester im hessischen Seligenstadt ist, überraschte der Eklat nicht: „Die reaktionären Kräfte in der katholischen Kirche werden nicht ohne Weiteres klein beigeben. Sie sind laut, und wenn sie etwas Progressives machen, dann aus strategischen Gründen. Nicht, weil sie davon überzeugt sind“, so seine Einschätzung. Der 60-Jährige geht schon seit vielen Jahren offensiv damit um, dass er schwul und katholischer Priester ist. Nach anfänglichen Problemen mit einem Bischof werde er jetzt in Ruhe gelassen, sagt Allmenroeder. Vielleicht, weil er ohnehin keine Angst vor Konsequenzen hat. Als man ihm sagte, er solle seinen Regenbogenkreuz-Anstecker abnehmen, habe er geantwortet: „Das habe ich gehört.“ Und das Kreuz weiterhin getragen. „Das klingt jetzt zwar nach ganz großer Fresse, aber mich können die nicht beeindrucken. Zur Not werde ich Tellerwäscher oder Kloputzer oder was weiß ich.“
Allmenroeder spricht aus, was er denkt und genau so, wie er es denkt. Bei seinen Predigten falle schon mal „eine Reihe in der Kirche in Ohnmacht, die anderen lachen sich eins“, sagt er. Für ihn stehen die Menschen in seiner Gemeinde an erster Stelle. Auch sein Glaube sei unerschütterlich: „Mit meinem Gott springe ich über Mauern.“ Das lässt ihn aber auch frei sagen, dass er einiges an der großen Institution der Kirche „zum Kotzen“ findet. Progressivität in der Kirche glaube er erst, wenn er sie sieht: „Ich denke, wenn die katholische Kirche in Deutschland und in Europa nicht viel mehr an den Menschen denkt, wie er ist, und nicht, wie sie ihn gerne gebacken hätte, dann hat sie hier keine Chance“, so Allmenroeder. Dass die Kirchenaustritte in den letzten Jahren immer mehr werden, verwundert ihn nicht: „Wenn sich nichts ändert, wird die katholische Kirche eine minimale Sekte. Und das wünsche ich ihr nicht.“
Für eine weitere Forderung von OutInChurch braucht es eine Änderung von oberster Stelle. Die Aktiven fordern, dass „die diffamierenden und nicht zeitgemäßen Aussagen der kirchlichen Lehre über Geschlechtlichkeit und Sexualität auf Grundlage theologischer und humanwissenschaftlicher Erkenntnisse revidiert werden müssen“. Das bedeutet eine Änderung des Katechismus.
Die Initiative schrieb also einen Brief nach Rom – und wartet auf Antwort. Doch ob der Papst auf die Forderungen der queeren Katholik*innen reagieren wird und eine Textänderung, wie 2018 zur Todesstrafe, veranlasst? Gunda Werner, die an der Ruhruniversität Bochum Professorin für katholische Theologie ist, bezweifelt, dass sich schnell etwas ändern wird. Dass es queere, lesbische, schwule Menschen in der Kirche gibt, das wissen die Verantwortlichen schließlich schon lange: „Danach hätten sie schon in den 70er Jahren etwas ändern können“, so die 51-jährige Theologin.
Sie sieht die Kraft von OutinChurch im Austausch von queeren Laien und Bischöfen. Durch Gespräche, die die Initiative auch fordert, würden die Bischöfe merken: Das sind gläubige Menschen aus unseren Gemeinden, die wir jahrelang unterdrückten. Doch nur wenige Bischöfe seien aktiv auf die queeren Gläubigen zugekommen.
Der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, gibt auf taz-Anfrage an, dass nicht alle Bistümer von OutinChurch „einen Gesprächswunsch“ erhalten hätten: „Wichtig ist für uns, dass im vergangenen Jahr teilweise neue Arbeits- und Seelsorgestellen für die queere Pastoral eingesetzt worden sind“, so Kopp.
Diesen Erfolg kann OutinChurch verbuchen: Für wen es Ansprechpartner*innen in der Kirche gibt, der existiert, den kann man nicht länger verschweigen. Und die queere Gemeinschaft macht Mut: Gunda Werner war wie Ehebrecht-Zumsande und Allmenroeder von Beginn an Teil der Initiative. Sie ist auch Mitverfasserin des OutInChurch-Buches „Für eine Kirche ohne Angst“, nahm aber selbst fast ein Jahr lang anonym an den Treffen der Initiative teil. Ihren Namen unter dem Bild auf der Homepage ließ sie erst nach der Ausstrahlung der TV-Doku ausschreiben. Auch sie hatte Sorge vor beruflichen Konsequenzen, denn als Professorin der theologischen Theologie gilt für sie die römische Lehrerlaubnis, das sogenannte Nihil Obstat.
Das ist eine Unbedenklichkeitserklärung über die Lehrtätigkeit der Person, die der zuständige Bischof erteilt. Die Kirche kann also Einwände gegen eine Person für die katholische Lehre erheben. Werner ist so in einer ähnlichen Situation wie katholische Religionslehrer*innen, für die die Missio Canonica gilt. Mit dem Antrag auf Erteilung der Missio Canonica geben sie das Versprechen ab, dass ihr Religionsunterricht mit der Lehre der katholischen Kirche übereinstimmt. Die Neufassung des kirchlichen Arbeitsrechts schützt Werner und andere queere katholische Lehrkräfte sowie Priester also nicht.
Sie entscheidet sich schließlich doch für die Offenheit: „Es entspricht meiner spirituellen Überzeugung, dass der innere und äußere Mensch zueinander gehören.“ Außerdem findet sie es wichtig, dass auch in der theologischen Lehre die Diversität des Lebens gelebt und gezeigt werde, damit es auch Vorbilder für andere queere christliche Menschen gibt. Persönlich hatte sie Sorge davor, auf das Outing reduziert zu werden: „Ich wollte nicht nur auf meine sexuelle Orientierung festgelegt werden, ich bin viel mehr, ich mache viel mehr.“
Denn auch beruflich forscht Gunda Werner seit Mitte der 90er Jahre zur Queer-Theologie. Dabei gehe es unter anderem darum, „die klassischen Vorurteile in den biblischen Bezügen, etwa warum Homosexualität Sünde sein soll, zu revidieren“, so Werner. In der Forschung werden unter anderem queere Spuren innerhalb der Geschichte des Christentums deutlich gemacht. Sie findet es spannend, die Frage, welche Menschen und Lebensformen im christlichen Kontext tabuisiert werden, auch mit Studierenden zu diskutieren.
Für sie ist deshalb die wichtigste Forderung für das Jahr 2023, dass die Änderung für die Erteilung der Missio canonica und das Nihil Obstat, wie sie auch von der Synodalversammlung verabschiedet wurde, kommt. Auf taz-Nachfrage sagt der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, dass an der Veränderung der Missio canonica gearbeitet werde: „Eine Zeitperspektive kann ich für die nächsten Monate nicht machen.“
Dass sie für ihr Anliegen einen langen Atem brauchen werden, war Jens Ehebrecht-Zumsande, Holger Allmenroeder und Gunda Werner von Beginn an klar. Alle drei beschreiben, wie schwerfällig sich die Kirche nur verändert. Was hält sie? Sie wollen kritische Stimmen in kirchlichen Prozessen sein: im Gottesdienst, in ihrer Gemeinde und im Hörsaal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl