Ein Autowrack am Straßenrand.

Immer wieder Fahrzeugwracks am Straßenrand. Spuren des Krieges Foto: Lena Reiner

Ein Jahr Afghanistan unter den Taliban:Bunter als erlaubt

Checkpoints, ausgebrannte Autos und Frauen auf der Straße, die nicht voll verschleiert sind: Ein Roadtrip durch das „Islamische Emirat“ Afghanistan.

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8.8.2022, 14:09  Uhr

Die Fahrt beginnt am frühen Morgen. Um viertel vor fünf sind die Straßen in Kabul deutlich weniger belebt als tagsüber, doch auch um diese Uhrzeit sind schon Autos unterwegs. Fußgänger sind kaum zu sehen. An den Checkpoints schauen sie mit gründlichen Blicken in die Autos – auch auf die Rückbänke – und winken die meisten Fahrzeuge dann durch. Vor uns wird ein Taxi angehalten, die Fahrgäste werden durchsucht. Wir müssen einen Moment warten und werden kommentarlos durchgewinkt. Die Luft, die durchs Fenster hereinströmt, ist noch angenehm kühl.

Kurz hinter Kabul wird mein Begleiter für einen Moment redselig. Die Straße, die hier mit einer Brücke beginnt und unter anderem nach Kandahar und Helmand führt, war in den vergangenen Jahren so umkämpft, dass die meisten Menschen sie gemieden haben. Durchs Land gereist wurde, wenn man es sich leisten konnte, bevorzugt per Flugzeug. Nur das letzte Stück ging dann per Auto. Zu Hause, also da, wo seine Familie ursprünglich herkommt, war mein Begleiter zuletzt vor zwei Jahren. Aber auf der Strecke, die wir nun fahren, war er zuletzt 2006 unterwegs, da war er noch ein Teenager. Er rechnet das mit der Brücke und mit der Straße noch mal nach: Genau 16 Jahre ist es her. „And then things got ugly“, sagt er; dann wurden die Dinge hässlich.

Es ist Mitte Juli, fast ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021. Es ist meine dritte Reise nach Afghanistan, vor einem Jahr war ich das letzte Mal hier, ich wollte endlich mehr vom Land sehen. Mein Begleiter plante seine Rückkehr ins Land zufällig in einem ähnlichen Zeitraum. Wir beschlossen, gemeinsam zu reisen, mit dem Auto, einem roten Toyota Corolla Erstzulassung 1995, bis in die Nähe der iranischen Grenze, nach Herat. Dort wohnt die Familie einer Freundin.

Es ist eine Reise, bei der nicht das Ziel der wichtigste Teil ist. Ich will unterwegs sein im Land. Schauen, ob es nun wirklich Reisefreiheit gibt. Nachspüren, was sich verändert hat seit der Machtübernahme der Taliban. Und was nicht. Es ist ein Roadtrip durch ein Land, das sich selbst in die Vergangenheit katapultiert hat.

Kritik ist „unislamisch“

Ich habe mir für diese Reise nach Afghanistan eine offizielle Presseakkreditierung besorgt. Die Regeln für ausländische JournalistInnen wurden inzwischen verschärft. Selbst TouristInnen, die mit Kamera durchs Land reisen, brauchen eine Genehmigung. Trotzdem reise ich nun inkognito. Es war zum einen der Wunsch meines Begleiters, der zu einem Familienclan gehört, in dem ranghohe Taliban vertreten sind. Um ihn und seine Familie zu schützen, nenne ich ihn auch nicht namentlich.

Zum anderen musste ich für die Akkreditierung ein Gespräch mit Talibansprecher Abdul Qahar Balkhi führen, der mir in perfektem Englisch deutlich machte, dass kritische Berichterstattung unerwünscht sein würde. Gestenreich und mit einem dauerhaften Lächeln im Gesicht erklärte er mir, dass Pressefreiheit großgeschrieben werde, ich mich aber in jeder Provinz bei der Polizei oder dem Ministerium für Information und Kultur registrieren müsse. Das war der Part auf Englisch. Meinem Übersetzer erklärte er hingegen auf Paschtu: Er möge verhindern, dass ich etwas gegen das „Islamische Emirat“ schreibe.

Denn Kritik an der Regierung sehen die Taliban als „unislamisch“ an, so hat es Regierungssprecher Sabiullah Mudschahid im Juli getwittert. Also sei Kritik untersagt. Die australische Journalistin Lynne O’Donnell bekam das bereits zu spüren. Sie berichtete, dass sie von den Taliban verhaftet worden sei. Man habe sie dazu gezwungen, ihre eigenen Berichte als Falschmeldungen zu bezeichnen. Die UN haben zuletzt in einem Bericht Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban-Regierung festgehalten.

Ein Straßenschild in karger Landschaft.

Straßenschilder gibt es kaum. Die Orientierung ist trotzdem nicht allzu schwierig Foto: Lena Reiner

Je weiter wir aus der Hauptstadt fahren, desto surrealer wird die Umgebung. Lange noch begleitet uns der Mond, obwohl die Sonne schon aufging, als wir losgefahren sind.

Der Straßenbelag ist an vielen Stellen sichtlich neu; dennoch ist kein zügiges Fahren möglich. Die Straße wurde abschnittweise asphaltiert, dazwischen gibt es immer wieder – oft überraschend – Abschnitte ohne festen Belag oder voller Schlaglöcher. Es fehlen Straßenschilder. Aber verfahren kann man sich hier kaum; es gibt auf den ersten 200 Kilometern keinerlei Alternativen, auch später folgen nur vereinzelt Abzweigungen.

Kurz nach zehn liegt am Straßenrand das erste ausgebrannte Fahrzeug. Es sind die ersten eindeutigen Kriegsspuren, die auf dieser Strecke zu sehen sind; die ersten eindeutigen Kriegsspuren, die ich bei dieser Reise überhaupt wahrnehme. Bisher habe ich lediglich Schießereien gehört und eine aus der Nähe miterlebt, aber keinerlei typische Kriegsspuren gesehen, wie ich sie aus Syrien, dem kurdischen Teil der Türkei oder Bosnien kenne. Zerstörte Häuser werden wir später noch zu Gesicht bekommen.Nun also die ausgebrannten Fahrzeuge, mehrere in kurzen Abständen. Dahinter: Berge im Dunst, Schafherden, Frauen in bunten Kleidern.

Ich soll im Auto bleiben. Schweigend sitze ich auf der Rückbank und frage mich, was ich mir da eingebrockt habe

Die BewohnerInnen des Landes scheinen hier wenig davon zu halten, die Bekleidungsregeln der De-facto-Regierung umzusetzen. Frauen in Schwarz oder Dunkelblau sieht man hier draußen nicht. Sie leben bunter, als die Taliban erlauben.

Nur vereinzelt trägt eine Bettlerin in der Straßenmitte oder am Straßenrand Burka; das war allerdings schon vor der Machtübernahme ihre übliche Kleidung, bietet Schutz vor Staub und Hitze. Die Luft ist inzwischen fast unangenehm warm geworden; es scheint, als sei der Morgen bereits vorbei und der Nachmittag angebrochen. Da es eine solche irritierende Lichtstimmung hier häufiger gibt, gibt es auf Paschtu dafür sogar einen Begriff dafür: gelber Morgen.

Eine verschleierte Frau zwischen Männern in einer städtischen Szenerie.

Es sind weniger Frauen auf den Straßen zu sehen als vor einem Jahr. Herat im Westen des Landes Foto: Lena Reiner

Um kurz nach elf streikt der Motor zum ersten Mal, mitten auf der Fahrt geht er einfach aus. Es folgt ein zweites Mal. Beide Male lässt sich das Auto allerdings wieder starten und fährt zunächst weiter. Um halb zwei springt das Auto nach dem Tanken nicht mehr an. Der Tankwart schaut in den Tank, klopft an einige Stellen. Das Problem bleibt.

Mehrere Männer versuchen zu helfen, drei Autos geben Starthilfe; erfolglos. Ich soll im Auto sitzen bleiben, bis eine Lösung gefunden ist. Das Auto steht in der Sonne, durch den Fensterspalt kommt nur wenig Wind, durch meinen Gesichtsschleier noch weniger. Ich mache die Tür auf, mein Begleiter bittet mich, das sein zu lassen. Schweigend sitze ich auf der Rückbank und frage mich, was ich mir da eingebrockt habe.

Hier gelten andere Regeln

Gleichzeitig ist es eine enorm spannende Erfahrung, nicht die Ausländerin zu sein, die entweder enorm angegeifert oder der sofort der rote Teppich ausgerollt wird und die so oder so viel mehr darf als jede Afghanin. Ich erlebe, wie ich vergessen werde, während die Männer draußen sitzen und reden, sich Hände und Gesicht mit Wasser kühlen. Schließlich hilft ein Taxi, zieht das Auto knapp 60 Kilometer bis nach Kandahar. Im Kofferraum drei Männer, die die gesamte Fahrt nach hinten schauen. Ich kann daher meinen Gesichtsschleier nicht abnehmen und traue mich auch nicht, die Holperfahrt zu filmen oder zu fotografieren.

Um kurz nach halb fünf ist da auf einmal ein Schild: Welcome to Kandahar City. Aber da ist nichts. Nur ein paar vereinzelte Industriegebäude und dann wieder Weite. Und in einiger Entfernung: die Berge.

Wo Ortsschilder weitgehend fehlen, helfen andere Orientierungspunkte. Wann immer eine Stadt oder eine Provinzgrenze naht, gibt es Checkpoints. Die sind hier anders als in Kabul. Dort reicht das Gesicht einer ausländischen Frau, um weitergewinkt zu werden. Hier draußen gelten andere Regeln. Gerade ein auffälliges Äußeres führt dazu, angehalten und befragt zu werden. Die neue Routine lautet daher: „Bedeck dich. Verhalte dich normal.“ Das heißt in diesem Fall, die Stereotype einer Frau zu bedienen; abgewandt, eingekauert. Es folgen keine weiteren Personenkontrollen – das Schauspiel gelingt.

Nach einem langen abendlichen Werkstattbesuch in Kandahar geht es weiter nach Helmand. Auf der Weiterfahrt beobachten wir draußen die Menschen. Es sieht erstaunlich normal aus; wir sehen rasierte Männergesichter und unverhüllte Frauengesichter. Mein Begleiter sagt: „Ich dachte, ich würde hier nur Männer mit Bart sehen, aber es hat sich nichts verändert.“

Bei einem Halt kommen wir mit einer jungen Frau ins Gespräch. Sie erzählt, dass sich zunächst tatsächlich mehr Frauen komplett verschleiert hätten, aber – gerade auf den Dörfern – relativ schnell wieder eine gewisse Normalität eingekehrt sei, was die Bekleidung anging. Die übrigen Regeln – wie etwa weite Fahrten von Frauen nur in männlicher Begleitung, kein Schulbesuch für Mädchen nach der sechsten Klasse – gelten weiterhin.

Inzwischen haben wir eine Routine entwickelt: langsam fahren, Musik leise drehen, Gesichtsschleier über die Nase ziehen und ab Dämmerungsbeginn macht mein Begleiter außerdem das Licht hinten im Fahrzeug an. Seine Hand neben dem Schalter reicht als Signal für mich aus, dass ich mich verhüllen und abwenden sollte. Ganz weg ist die Anspannung dennoch nie, auch wenn wir Checkpoint um Checkpoint unbehelligt passieren können.

„Wir werden sonst nicht mitgenommen“

Richtung Helmand wird es nochmals wärmer, obwohl die Sonne bereits untergegangen ist. Im Scheinwerferlicht taucht ein zerstörtes Brückengeländer auf. Hier hat eindeutig Krieg geherrscht. „Es ist so viel zerstört in meinem Helmand“, sagt mein Begleiter. Dass er aus einer Talibanhochburg stammt, wusste ich vorher bereits. Dennoch wird mir kurz mulmig, als wir dann tatsächlich die Provinz erreicht haben, die er – mal mehr und mal weniger scherzhaft – gern „Hell“ statt „Helmand“ nennt. Hölle.

Unser Zwischenziel ist die Provinzhauptstadt Laschkar Gah, aus der mein Begleiter ursprünglich kommt. Hier übernachten wir. Und dann verbringen wir einen Tag damit, „bald“ loszufahren. Das Auto hat insgesamt fünf Werkstattbesuche nur an diesem einen Tag nötig; der Motor stirbt viermal auf dem kurzen Weg zwischen Werkstatt und Unterkunft. Helmand bleibt beim ersten Besuch eine vage Idee. Ich verbringe die Zeit in einem Zimmer mit fünf bis neun Kindern, die mich anstarren oder versuchen, mit mir zu reden. Immer wieder fällt der Strom aus und damit die Klimaanlage. Es ist unerträglich warm, auch wenn man sich kaum bewegt.

Eine rotes Auto mit geöffneter Motorhaube in karger Landschaft.

In der Wüste auf dem Weg nach Herat. Wieder eine Autopanne Foto: Lena Reiner

Kurz vor sechs in der Frühe geht die Fahrt weiter. An der Straßenkreuzung bereitet sich der diensthabende Taliban auf seine Schicht vor, stellt seinen Stuhl auf, auf dem er den ganzen Tag über Wache halten wird, korrigiert den Sitz seiner Waffe. Die ersten Passanten an diesem Tag ignoriert er.

Nach einigen Hundert Metern Idyll – Felder in frischem Grün und kleine Lehmhütten – folgt dann ein Abschnitt der Stadt, der komplett zerstört ist, offenbar durch eine Fliegerbombe. Zum zweiten Mal nach 2006.

Am späten Vormittag wird die Luft warm, mittags beginnt sie zu flimmern. Der Fahrtwind fühlt sich an wie ein Föhn, der etwas zu heiß eingestellt wurde. Knapp 50 Grad. Am Horizont spiegeln sich Lkw in der heißen Luft, manchmal auch der Himmel. Dann sieht es ganz so aus, als fehle die Fortsetzung der Straße einfach, als verschwinde der weitere Weg im Nichts. Immer wieder liegen Fahrzeuge am Wegesrand oder werden angeschoben. Auch unser Auto braucht immer wieder eine Pause, muss mit Wasser gekühlt werden.

Nach drei weiteren Werkstattstopps erreichen wir Herat. Hier sehen die Frauen anders aus. Sie verhüllen sich hier nicht mit dem schwarzen Hidschab, wie ihn in Kabul einige tragen und dann mit bunten Akzenten auflockern, sie tragen auch keine bunten zweiteiligen traditionellen Gewänder wie in Helmand. Vielmehr hüllen sich die meisten hier in einen Tschador, ein großes Tuch, das nur ihr Gesicht freilässt. Die meisten dieser Tücher sind dunkel; schwarz oder braun gehalten. Vereinzelt tragen Frauen auch farbige oder funkelnde Stoffe. Vor Polizeikontrollen ziehen sie diese weiter hoch, sodass nur ihre Augen freibleiben, und auch in Rikschas und Taxis schauen nur Augenpaare von der Rückbank. „Wir werden sonst nicht mitgenommen“, erklärt eine junge Frau.

Die Haushälterin des Hauses, in dem wir unterkommen, sucht mehrfach das Gespräch. Ich versuche ihr klarzumachen, dass ich ihre Sprache nicht spreche. Sie redet weiter; auch morgens, auch wenn wir alleine sind. Sie zeigt mir ihre geschwollenen Knöchel und Füße und Knie. Sie hat Schmerzen, so viel ist klar. Ihre Arbeit verrichtet sie dennoch – am Boden kniend. Da bügelt sie, serviert Essen, faltet frisch gewaschene Wäsche. Später am Abend erzählt sie ihre Geschichte, eine Bekannte übersetzt spontan.

Es ist ein kurzes Gespräch vor dem Abendessen, das direkt mitten in der Geschichte beginnt. Khala, so heißt sie, ist eine Drittfrau gewesen. Mit 13 Jahren, erzählt sie, sei sie verheiratet worden, natürlich nicht freiwillig. Aber es sei nötig gewesen, damit sie versorgt ist. Heute lebt sie mit ihren beiden Töchtern zusammen, unterstützt diese mit dem Geld, das sie durch Putzen und Kochen erwirtschaften kann. Insgesamt hat sie 15 Kinder geboren. Manche davon sind früh gestorben, im Alter von zwei oder drei Jahren, sie zählt kurz auf, bricht dann ab. Mühsam richtet sie sich nach dem Gespräch auf. Ich muss an ihre geschwollenen Füße denken.

Es geht dieselbe Strecke, die wir gekommen sind, zurück Richtung Kabul. Aus Herat nehmen wir spontan Mitfahrerinnen mit; die Schwester und eine weitere Verwandte meines Begleiters. Letztere setzen wir mitten in der Wüste ab. Hinter einem Tor öffnet sich eine kleine grüne Oase. Hier wachsen – künstlich bewässert – Granatapfelbäume, ein ganzer Hain davon. Riesige Libellen fliegen durch die Luft.

Geschlechtertrennung im Park einhalten

In Helmand breche ich dieses Mal auf eigene Faust zum Sightseeing auf, während das Auto wieder mal in der Werkstatt ist. Bekannte aus Kabul nehmen mich mit, sie zeigen mir das Qalai-i-Bost, die Burg der Stadt. Sie ist unterirdisch in einen Hügel gebaut, die oberirdischen Strukturen sind bis auf ein historisches Tor, das durch die Stützkonstruktion im Inneren eigentlich gar keines mehr ist, nicht mehr erhalten. Zu viele Kriege haben hier alles zerstört. Dafür kommt man in die Tiefe der Festung; so weit, wie man sich eben hineinwagt. Absperrungen oder Sicherheitsvorkehrungen gibt es nicht. Im zweiten Untergeschoss schwirren auf einmal Fledermäuse um uns herum, sandsteinblass an ihre Umgebung angepasst. Viele weitere hängen an den Decken der einzelnen kleinen Räume.

Wenn man durch Helmand fährt, bekommt man unweigerlich zu sehen, was sich unter der Herrschaft der Taliban verändert hat. Am Kino hängen draußen jetzt die großen schwarzweißen Banner des „Islamischen Emirats“. Was sich dort befindet? „Irgendwas von denen“, bekomme ich nur als Antwort. Nicht weit weg befindet sich eine schöne große Parkanlage; früher der Treffpunkt von Familien im Ort. Heute ist die Grünanlage nur mehr für die Taliban selbst zugänglich. Die übrigen Parks sind sechs Tage die Woche für Männer geöffnet, nur mittwochs ist Frauentag. Allerdings, so erklären meine Begleiter, wagten sich Frauen sowieso kaum mehr nach draußen.

Tatsächlich sehen wir auf der gesamten dreistündigen Fahrt nur eine einzige Frau draußen; sonst nur ein paar Mädchen im Grundschulalter und deutlich mehr Jungen und Männer.

Der Terror besteht aus Willkür. Es ist nach wie vor unklar, wie das Hidschabgesetz genau auszulegen ist

An das Bild habe ich mich inzwischen fast gewöhnt: Auch in Kabul waren Frauen viel seltener auf der Straße zu sehen. Viele Frauen dort berichteten mir, dass sie das Haus kaum noch verlassen. Zu groß sei die Sorge, für irgendetwas bestraft oder ausgeschimpft zu werden; die Regeln seien unübersichtlich. Mal werde man für dieselbe Kleidung bestraft, die am Vor- und auch Folgetag keine Probleme bereite.

Der Terror besteht aus Willkür.

Es ist nach wie vor unklar, wie das Hidschabgesetz genau auszulegen ist. Gesicht zeigen ist eigentlich nicht verboten. Da jedoch mit Bildern kommuniziert wird und diese die Komplettverhüllung zeigen, die nur die Augen freilässt, ist die praktische Auslegung häufig eine andere.

Während ich in Kabul war, wurde in einem der größten und schönsten Parks der Stadt – Bagh-i-Babur – ein Sichtschutz aufgespannt. Auch Ehepaare sollten hier die Geschlechtertrennung einhalten. Bei Betreten des Parks hieß es für alle Frauen nach rechts und für alle Männer nach links. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass sich in Helmand, einer Provinz, die für ihre hohe Talibanpräsenz schon früher bekannt war, die Geschlechtertrennung noch stärker auswirkt. Vollverschleiert bei über 45 Grad kann ich Männern beim Baden im Fluss lediglich neidisch zuschauen. Zum Trost lassen mich meine Begleiter an einem Bach kurz die Füße kühlen.

Nach der Sightseeingtour durch Helmand treten wir die Rückreise nach Kabul an. Das Auto hält überraschend durch; vermutlich auch wegen der niedrigeren Temperaturen. Wir haben zum ersten Mal tagsüber kühlen Wind, genießen ihn bei offenen Fenstern. Als wir Kandahar verlassen, beginnt es zu regnen. Erst freuen wir uns darüber. Aber es regnet zu viel, die Straße ist überschwemmt. Es sind noch anderthalb Stunden bis Kabul. Sollen wir weiterfahren oder nicht? Wir entscheiden uns dafür, mit Bauchschmerzen, aber es gibt nur diesen einen Weg. Wenige Stunden danach, das werden wir tags darauf aus den Nachrichten erfahren, wird die Straße vollends unterspült sein und wegbrechen.

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