EU-Sozialgipfel ohne Merkel: Auf Linie der Wirtschaft
Kanzlerin Merkel fliegt nicht zum Sozialgipfel der Europäischen Union, während sich Millionen EU-Bürger um ihren Job sorgen – ein falsches Signal.
A ußenminister Heiko Maas war gerade in London, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ist nach Brüssel gereist. Aber Kanzlerin Angela Merkel kann nicht zum EU-Sozialgipfel nach Porto fliegen, weil es die deutschen Coronamaßnahmen nicht erlauben? Selten hat man eine schlechtere Ausrede aus dem Kanzleramt gehört.
Merkels Absage ist nicht glaubwürdig, schließlich hat die Kanzlerin schon den ersten Sozialgipfel 2017 in Göteborg geschwänzt. Zudem setzt sie das falsche Signal. Ausgerechnet jetzt, da sich Millionen EU-Bürger wegen der Coronamaßnahmen berechtigte Sorgen um ihren Job machen, signalisiert Merkel, wie wenig ihr an diesem Thema liegt.
Sie folgt damit – wieder einmal – der Linie der deutschen Wirtschaft. Die Arbeitgeber weigern sich beharrlich, über ein zentrales Thema des Gipfeltreffens, die Einführung von angemessenen Mindestlöhnen in allen EU-Ländern, auch nur zu reden. Dabei liegt auch der deutsche Mindestlohn zu niedrig, um ein Leben in Würde zu ermöglichen.
Ein falsches Signal sendet Merkel auch nach Brüssel und Lissabon. In Brüssel bemüht sich die EU-Kommission bisher ohne großen Erfolg, die Sozialpolitik nach vorn auf die Agenda zu bringen. Sozialkommissar Nicolas Schmit hat sich den Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Armut auf die Fahnen geschrieben. Merkel lässt ihn beim Gipfel hängen.
Nur ein schwacher Trost
Auch Portugal wird von Deutschland allein gelassen. Die portugiesische Linksregierung hat das Spitzentreffen in Porto zum Höhepunkt ihrer Ratspräsidentschaft erklärt. Dass Merkel nun virtuell – per Videoschalte – teilnehmen will, ist nur ein schwacher Trost. Wenn das größte EU-Land fehlt, kann von Porto kein starkes Signal ausgehen.
Immerhin bietet der Fauxpas der Kanzlerin ihrem Koalitionspartner SPD die Gelegenheit, sich zu profilieren. Arbeitsminister Hubertus Heil will das „soziale Europa“ voranbringen. Gegen die Kanzlerin kann er zwar nicht viel ausrichten. Doch nun liefert ihm Merkel Argumente frei Haus – pünktlich zum Beginn des Wahlkampfs in Deutschland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?