EU-Sanktionen gegen Russland: Auf dem Abstellgleis
Russischer Schienenverkehr wird von der EU sanktioniert. Doch es gibt Hinweise darauf, dass eine deutsche Firma für russische Züge produziert.
L astotschka, das heißt auf Russisch: Schwalbe. Lastotschka, so heißen auch die russischen Regionalbahnen, die nicht nur Sankt Petersburg und Moskau, sondern viele weitere russische Städte miteinander verbinden. Moderne Züge, bis zu 160 km/h schnell, sie gelten als verlässlich, sauber und bequem. Die Schwalben, anlässlich der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 entwickelt, sind das Produkt einer deutsch-russischen Erfolgsgeschichte: Ihr Hersteller ist ein Gemeinschaftsunternehmen von Siemens und der russischen Firma Sinara. Die ersten 38 Züge wurden in Krefeld gebaut, dann wurde die Produktion nach Russland verlegt.
Im Herbst 2023 erscheint auf einem russischen Nachrichtenportal ein Interview. Der Befragte bleibt anonym. Nach Angaben des Portals ist er ein Insider des russischen Schienenverkehrs. Er macht sich Sorgen: Bald schon könne der Schienenverkehr in Russland unter Druck stehen. Denn das Land sei nicht in der Lage, die Ersatzteile für die beiden wichtigsten Zugtypen Russlands selbst herzustellen.
Der Insider redet von den Lastotschkas und dem Hochgeschwindigkeitszug Sapsan. Auch der Sapsan, auf deutsch: Wanderfalke, wurde von Siemens entwickelt. „Es handelt sich um ausländische Maschinen, die ausländische Ersatzteile benötigen“, sagt der Bahn-Experte in dem russischen Interview. Und: „Wenn es überhaupt einen Prozentsatz an einheimischen Komponenten gibt, dann ist er sehr, sehr gering.“
Die russische Staatsbahn weist den Bericht zwei Tage später zurück. Doch dass die Sanktionen des Westens große Veränderungen für die russische Bahn gebracht haben, ist unbestritten: 2022, wenige Monate nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, gibt Siemens bekannt, sein Russlandgeschäft einzustellen. Die internationalen Sanktionen treffen besonders das Bahngeschäft von Siemens. Der Rückzug ist ein großer Schritt für das Unternehmen, das hier fast seit seiner Gründung Mitte des 19. Jahrhunderts aktiv war und bis zuletzt an den bedeutendsten Zügen mitgebaut hat.
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Damit steht Russlands Schienenverkehr von einem Tag auf den anderen vor großen Problemen. Es sei denn, andere Unternehmen springen ein. Unternehmen etwa, die russischen Kunden die Ersatzteile anbieten, die Siemens nicht mehr liefern will. Oder Unternehmen, die weiter genau die Bauteile verkaufen, die von den russischen Kunden dringend benötigt werden.
Das würde nicht nur den Druck auf die russische Wirtschaft abschwächen, der durch den Rückzug von Siemens aufgebaut wurde. Sondern auch den russischen Zugverkehr stärken, der für den Fortgang des Kriegs eine wichtige Rolle spielt.
Recherchen der taz weisen darauf hin, dass es sich bei der Firma GMT mit Sitz in Bühl, Baden-Württemberg, um ein solches Unternehmen handeln könnte.
GMT sagt, man bearbeite den russischen Markt nicht mehr
GMT, das steht für Gummi-Metall-Technik. Die Firma stellt Schwingungstechnik her, Bauteile mit einem gewaltigen Anwendungsgebiet. Sie sind verbaut in Zügen, Schiffen, Flugzeugen, Maschinen, aber auch in Brücken, Gebäuden oder Windrädern. Denn überall, wo sich etwas bewegt, entsteht Schwingung. Und damit diese keinen Schaden anrichtet, braucht es Schwingungstechnologie, die die Vibrationen abfedert, puffert, dämpft. Nach eigenen Angaben ist GMT, das bis heute von Mitgliedern der Gründerfamilie geführt wird, ein „international führender Hersteller“ für diese Technik, mit Auslandsniederlassungen in zehn verschiedenen Ländern. GMT liefert Teile für die Deutsche Bahn und den TGV, für die Metro in Wien und in Chicago.
Auch in Russland war das Unternehmen aktiv, offiziell jedoch nur bis Beginn des Krieges. GMT hat unter anderem die Metro in Sankt Petersburg mit Bauteilen beliefert. Auf taz-Nachfrage erklärt GMT, es habe mit Beginn des Ukrainekrieges die Entscheidung getroffen, „den russischen Markt nicht mehr zu bearbeiten“. Es seien lediglich noch bestehende Lieferverpflichtungen erfüllt worden, und zwar im Einklang mit der Sanktionsverordnung der Europäischen Union.
Doch interne Dokumente, die der taz vorliegen, sowie Auskünfte eines ehemaligen Mitarbeiters lassen Zweifel aufkommen. Sie enthalten zahlreiche Hinweise darauf, dass das Unternehmen weiterhin Bauteile produziert, die für russische Kunden entwickelt wurden. Und das alles noch nicht einmal illegal – sondern im Graubereich der Russlandsanktionen der EU.
Waren, die GMT früher direkt nach Russland verkauft hat, gehen heute an einen Zwischenhändler. Weder der noch GMT wollen erklären, wohin diese Bauteile schließlich geliefert werden.
Die EU hat auf den russischen Angriff auf die Ukraine mit Sanktionen reagiert. Sie hat russische Politiker, Militärangehörige und Unternehmer sanktioniert, hat Finanzgeschäfte zwischen Russland und der EU verboten sowie den Handel mit zahlreichen Waren.
Die Sanktionen sollten zum einen Branchen treffen, die direkt kriegsrelevant sind – die Rüstungsindustrie zum Beispiel. Sie sollten aber auch dazu beitragen, Russlands Wirtschaft zu schwächen. Denn ein Land mit einer strauchelnden Wirtschaft kann keinen Krieg führen.
Die EU-Sanktionen gegen den Schieneverkehr scheint Russland zu treffen
Seit Ende Februar 2022 werden die Sanktionslisten regelmäßig erweitert. Ein Bereich, den die EU schon sehr früh sanktioniert hat, ist der Schienenverkehr. Die russische Eisenbahn RZD war eines der ersten Unternehmen, das auf der EU-Sanktionsliste landete. Nicht nur das Unternehmen ist sanktioniert, auch Bauteile von Schienenfahrzeugen dürfen zum Großteil nicht mehr nach Russland ausgeführt werden.
Diese Sanktion scheint Russland zu treffen: Im Sommer 2022 bittet die russische Staatsbahn die EU offiziell, die Bahnsanktionen zurückzunehmen. Sie seien ungerecht und „diskriminierend gegenüber der Bevölkerung Russlands“, argumentiert die Staatsbahn. Sie träfen vor allem die sozial Schwachen: Behinderte, Rentner, Großfamilien, die auf die Bahn angewiesen seien.
Doch die EU blieb dabei – schließlich waren Soldaten und Technik für den Angriff auf die Ukraine in großen Teilen per Bahn an den Einsatzort transportiert worden. Und auch für den Fortgang des Krieges spielen Züge eine wichtige Rolle. Die Logistik der russischen Armee stützt sich auf den Schienenverkehr, Nachschub wird mit Zügen so nah wie möglich an die Front transportiert, erst auf dem letzten Stück werden Lkws eingesetzt. Innerhalb der russischen Landstreitkräfte gibt es eigene Eisenbahntruppen, die dafür zuständig sind, das Bahnnetz zu schützen und instand zu halten, sodass es militärisch genutzt werden kann.
Bühl liegt am Rande des Schwarzwalds, am Rande von Bühl liegt GMT. Hinter den flachen Werkshallen mit hellem Dach erheben sich dunkel bewaldete Hügel, Bühl selbst ist von Fachwerkhäusern geprägt, ein hübsches Städtchen mit rund 30.000 Einwohnern. GMT hat seit seiner Gründung 1968 stetig expandiert. Mehr als 1.000 Mitarbeiter arbeiten weltweit für das Unternehmen, die meisten davon in Bühl. GMT ist ein bedeutender Arbeitgeber für die Region.
Als Russland im Februar 2022 die Ukraine angreift, erklärt die GMT-Geschäftsführung der Belegschaft auf einer Mitarbeiterversammlung, dass der Krieg und die EU-Sanktionen die Firma Umsatz kosten werden. Von 15 Millionen sei die Rede gewesen, sagt ein ehemaliger GMT-Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte. GMT bestätigt, dass die Mitarbeiter über zu erwartende Umsatzeinbußen informiert worden sind.
Die Produkte von GMT werden jeweils nur für einen Kunden entwickelt
Die Schwingungstechnologie von GMT wird vor allem in Schienenfahrzeugen verbaut. Jeder Zug braucht diese Elemente, aber jeder Zug braucht sie in einer etwas anderen Form. Je nachdem, wie schwer der Zug ist, wie schnell er fährt und auf welcher Strecke, unterscheiden sich die Bauteile der Schwingungstechnologie: Sie haben unterschiedliche Maße, die Gummis müssen unterschiedlich steif sein. Von einem einzelnen Bauteil werden deswegen viele verschiedene Varianten hergestellt, von denen eine einzelne meist nur für einen einzigen Kunden, einen einzigen Zugtyp bestimmt ist.
Die Konusfeder ist ein solches Bauteil. Konusfedern, oft nur wenige Zentimeter groß, werden im Radgestell von Zügen verbaut, wo sie die Schwingungen dämpfen, die entstehen, wenn der Zug rollt.
Nach Informationen der taz hat GMT vor mehreren Jahren eine solche Feder speziell für einen russischen Kunden entwickelt, nämlich die Firma PC Transport Systems, die Straßenbahnen produziert, die etwa durch Sankt Petersburg fahren.
Auf Anfrage der taz sagt ein Sprecher von GMT, dieses Teil sei zuletzt im Juli 2023 ausgeliefert worden, nachdem geprüft und festgestellt wurde, dass weder das Produkt noch der Kunde auf der EU-Sanktionsliste aufgeführt ist.
Allerdings weisen interne Dokumente, die der taz vorliegen, darauf hin, dass diese Konusfeder auch jetzt noch bei GMT produziert wird: Ein Dokument von Anfang April 2024 zeigt, dass vor wenigen Tagen noch eine Bestellung dieser speziellen Konusfeder für den Versand vorbereitet wurde. Demnach wurde die Charge am 9. April 2024 vor ihrem Ausgang überprüft. Am 10. April wurde sie für den Versand fertig gemacht. Auf taz-Nachfrage bestreitet der Sprecher nicht, dass die Konusfeder für den Versand vorbereitet wurde. Aber sie sei nicht ausgeliefert worden, schreibt er. Auf einem Auftragsblatt aus dem Jahr 2023 ist sogar ganz offen als Kunde die russische Firma PC Transport Systems angegeben. Bestellte Menge: 400 Stück, Liefertermin: 31. Dezember 2023.
Mehrere Menschen aus dem GMT-Umfeld bestätigen der taz, dass die Bauteile, die GMT entwickelt, immer nur in dem Zug eingesetzt werden können, für den sie entwickelt wurden. Dass diese spezielle Konusfeder in einem anderen Zug, von einer anderen Firma oder in einem anderen Land eingesetzt werde, sei demnach so gut wie ausgeschlossen. Ist sie einmal für den russischen Kunden entwickelt, könne sie auch nur dort genutzt werden.
Was bringen die Sanktionen, wenn sie so leicht umgangen werden können?
Für die Frage, welche Produkte genau sanktioniert sind und welche nicht, pflegt die EU lange Listen. Teile von Schienenfahrzeugen sind im Kapitel Luxusgüter erfasst. Verboten ist ihre Ausfuhr nach Russland dann, wenn das einzelne Bauteil mindestens 300 Euro wert ist und das Fahrzeug, für das sie bestimmt sind, mindestens 50.000 Euro. Eine Konusfeder kostet im Schnitt zwischen 200 und 400 Euro, bestätigen uns Händler.
Der Zoll wertet sie allerdings gar nicht als Ersatzteil für Schienenfahrzeuge. Für den Zoll fallen sie unter die Rubrik Gummi-Metallteile. Die sind nicht sanktioniert – auch wenn sie für den Schienenverkehr gedacht sind. Der Export dieser Teile nach Russland ist damit nicht illegal.
Nur: Was bringt eine Sanktion gegen den russischen Schienenverkehr, die Schlupflöcher lässt für wichtige Bauteile? Wie sollten russische Züge zum Stillstand gezwungen werden, wenn dringend benötigte Bauteile weiterhin legal aus der EU geliefert werden dürfen?
Eine Antwort auf diese Frage zu finden ist gar nicht so einfach.
Beschlossen werden die Sanktionen von der EU. Zuständig dafür, die Sanktionen für den deutschen Markt zu übersetzen, sind das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (Bafa) und der Zoll. Das Bafa preist sich selbst als die „zentrale Auskunftstelle zu allen Exportbeschränkungen“ an. Doch auf die Frage, ob sich hier am Beispiel der Konusfeder nicht ein Schlupfloch aufgetan hat, antwortet sie nicht. Sie verweist auf den Zoll. Der kontrolliert die Ausfuhr von Waren über die deutsche Grenze – auf Grundlage der beschlossenen Sanktionen. Aber auch deren Sprecher sagt, seine Behörde könne nur umsetzen, was die EU beschlossen hat, und verweist nach Brüssel.
Die Sprecherin der EU wiederum sagt, es seien die Mitgliedstaaten, die für die Durchsetzung der Sanktionen zuständig seien – und verweist zurück an das Bafa und den deutschen Zoll.
Ein Produkt von GMT soll ohne Firmenlogo durch den Zoll geschickt werden
Die Konusfeder ist nicht das einzige Bauteil von GMT, das Fragen aufwirft. Bei einem anderen Produkt, einem Radschallabsorber, gehen die internen Anweisungen der Firma noch weiter. Radschallabsorber vermindern den Lärm, der beim Rollen von Zügen entsteht. Einen solchen Radschallabsorber hat GMT für die russische Firma Metrowagonmasch entwickelt. Metrowagonmasch stellt U-Bahn-Wagen her, unter anderem für Moskau und die aserbaidschanische Hauptstadt Baku.
Von diesem Radschallabsorber müsse jetzt eine „Variante ohne GMT Kennzeichnung“ hergestellt werden, heißt es in einem internen Aufgabenblatt aus dem letzten Herbst. Und: Aus „zollrechtlichen Gründen“ müsse für diesen Radschallabsorber ohne Firmenlogo dann auch eine „neue, neutrale Artikelnummer“ angelegt werden.
Metrowagonmasch, die russische Firma, für die das Bauteil entwickelt wurde, bezieht seit Jahren Ware von GMT. Wieso soll diese jetzt plötzlich kein GMT-Logo mehr tragen? Versucht GMT so zu verschleiern, dass das Bauteil aus Deutschland stammt? GMT bestreitet das. Der Wunsch von Kunden nach Bauteilen ohne Herstellerkennung sei nicht unüblich, schreibt der GMT-Sprecher auf taz-Nachfrage.
Warum der Kunde das in diesem Fall gewollt habe, könne nur der Kunde beantworten. Die Variante ohne Kennzeichnung sei jedenfalls nicht gefertigt worden.
Auf die Frage, warum in dem Dokument die „neutrale Kennzeichnung“ aus „zollrechtlichen Gründen“ gefordert wurde, antwortet der GMT-Sprecher, ein Missverständnis und entsprechender Vermerk einzelner Mitarbeiter könne nicht ausgeschlossen werden. In jedem Fall liege hier aber weder ein Verstoß noch eine Umgehung von EU-Sanktionen vor.
Man liefere an viele Kunden, welche genau könne man nicht sagen
Einige der Bauteile, die GMT früher direkt nach Russland verkauft hat, verkauft GMT heute an eine deutsche Firma in Hessen, an die Vagoteq UG. Auch der Radschallabsorber und die Konusfeder gehen heute an Vagoteq.
Vagoteq wurde im Juli 2022 gegründet, fünf Monate nach Beginn des Kriegs in der Ukraine. Eigentümer und Geschäftsführer ist ein Mann, der bis Herbst 2022 bei GMT gearbeitet hat und dort für das Osteuropa-Geschäft zuständig war.
Seine neue Firma hat laut Handelsregister vor allem einen Zweck: den „Handel mit Industriekomponenten und die Beratung in diesem Bereich“. Vagoteq ist ein Zwischenhändler. Die Firma kauft GMT-Produkte und verkauft sie weiter. Doch an wen?
Am Telefon bestätigt der Geschäftsführer zunächst, dass er mit Bauteilen der Firma GMT handelt. Doch auf die Frage, wohin er sie weiterverkauft, weicht er aus. An viele, sagt er, Konkretes könne er nicht sagen. Er verspricht, zurückzurufen, meldet sich dann aber nicht. Auf eine Mail antwortet er nach mehreren Tagen: Er verkaufe an Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen und Ländern. Details zu einzelnen Kundenbeziehungen könne er nicht nennen.
Auch GMT antwortet nicht konkret auf die mehrmalige Nachfrage, an welchen Endkunden die Konusfeder heute letztlich geht. Sie werde an Vagoteq verkauft, schreibt der Sprecher. Darüber hinaus könne er die Frage nicht beantworten.
Auch die möglichen russischen Endkunden machen auf taz-Anfrage keine Angaben dazu, woher sie ihre Ersatzteile heute beziehen. Es handelt sich dabei um große russische Unternehmen. Zumindest bis zum Beginn des Ukrainekrieges hat GMT sie beliefert: Metrowagonmash baut U-Bahnen, die nicht nur in russischen Städten, sondern auch in Prag, Budapest, Sofia und vielen weiteren Orten in Osteuropa eingesetzt werden. Die Firma steht auf der Sanktionsliste der USA. PC Transport Systems stellt Straßenbahnen und Busse her, die unter anderem durch Moskau und Sankt Petersburg fahren.
Ural Locomotives ist das ehemalige Tochterunternehmen von Siemens und der russischen-Sinara-Gruppe, das die Latstotschka-Züge herstellt. Zumindest laut den Dokumenten, die der taz vorliegen, scheint der ehemalige GMT-Mitarbeiter und heutige Geschäftsführer von Vagoteq auch heute noch mögliche Russlandgeschäfte für GMT anzubahnen, und zwar mit diesem Unternehmen.
Recherchen der taz sorgen für Aufregung bei GMT
Denn offenbar muss in den ersten Latstotschka-Zügen, die 2013 noch in Deutschland hergestellt wurden, nun das Luftfedersystem ausgetauscht werden, ebenfalls ein Element der Schwingungstechnologie. Der taz liegt ein interner Mailverkehr von November 2023 vor, zwischen dem Vagoteq-Geschäftsführer und Angestellten von GMT. Darin bittet er GMT darum, zu prüfen, ob die ursprünglich von dem deutschen Hersteller Contitech produzierten Teile nun durch GMT-Bauteile ersetzt werden können. „Kunde will GMT Teile kaufen“, heißt es in der Mail. Der Kunde, auch das geht aus der Mail hervor, sei „Ural“. „Unsere Aufgabe“, heißt es weiter: feststellen, ob die Einzelteile von GMT mit dem Contitech-System kombinierbar seien und den Kunden informieren, ob alles funktioniert.
Auf einem Foto im Anhang der Mail ist ein verpacktes Bauteil zu sehen, offenbar ein Contitech-Luftfedersystem, das aus Russland nach Deutschland geschickt wurde, um es mit den GMT-Systemen abgleichen zu können. Aus den E-Mails geht hervor, dass Vagoteq dieses Bauteil von Ural Locomotives, dem Hersteller der Lastotschka-Züge, erhalten und an GMT weitergeschickt hat.
GMT und Vagoteq bestätigen diesen Vorgang. Das Geschäft mit dem Luftfedersystem zwischen GMT und Ural Locomotive sei nicht zustande gekommen, sagen beide.
Nachdem die taz GMT und deren Kunden Vagoteq mit den Vorwürfen konfrontiert hat, herrscht Aufregung im Unternehmen. Die Geschäftsführung verschickt eine Mail an alle Mitarbeitenden. Darin schreiben sie, dass GMT und vereinzelte Partner anonym beschuldigt würden, die Sanktionen zu brechen. Sie schreiben von „haltlosen Anschuldigungen“ – „GMT nimmt diese Vorwürfe sehr ernst“. Alle Geschäftspartner und Geschäftsvorgänge seien geprüft worden, die Vorwürfe hätten sich nicht bestätigt und es gebe auch keine Anzeichen für Verstöße. GMT halte die gültigen Transportbeschränkungen ein.
Dass GMT keine Ware mehr nach Russland liefert, steht nicht in der Mail. Dafür, dass die Produkte von GMT in Russland weiterhin gebraucht werden, lassen sich auch außerhalb von Bühl Belege finden – und zwar auf einer russischen Ausschreibungsplattform. Dort inseriert Anfang April 2024 die Moskauer Firma VSM Service ein Gesuch. Als Siemens sich aus Russland zurückgezogen hat, ist diese Firma eingesprungen. Sie wartet nun die beiden Zugtypen Lastotschka und Sapsan.
Nun sucht sie einen Händler, der Federbuchsen liefern kann, offenbar für den Schnellzug Sapsan. Doch VSM braucht nicht irgendwelche Federbuchsen. In der Ausschreibung heißt es ganz konkret: „Lieferung von Gummi-Metall-Produkten der Firma Gummi-Metall-Technik GmbH“. Gesucht werden also Federbuchsen aus dem deutschen Bühl. Gebote werden in jeder Währung angenommen, heißt es in dem Text.
Mitarbeit: Maria Disman
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