EU-Grüner über Einreisekontrollen: „Unwürdige Vorverurteilung“
Der Grüne EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht hält das Smart-Borders-Programm und die Datensammlung für „völlig unverhältnismäßig“.
taz: Herr Albrecht, wer sind die Hauptbetroffene des sogenannten Smart Borders-Programms?
Jan Philipp Albrecht: Das sind Nicht-EU-Bürger, die als Touristen oder Geschäftsreisende in die EU einreisen. Wer zu dieser Gruppe gehört, muss seine Fingerabdrücke abnehmen lassen, die dann gespeichert werden. Die Reisenden werden damit faktisch behandelt wie Verbrecher. Eine solche Vorverurteilung ist menschenunwürdig.
Offiziell geht es um die Verhinderung illegaler Migration. So könnten mit den Fingerabdrücken Menschen erkannt werden, die unter anderem Namen früher schon abgeschoben wurden.
Die Migrationskontrolle soll hier wieder einmal als Türöffner dienen. Ich erinnere an die Datei Eurodac, in der die Fingerabdrücke aller Asylbewerber gespeichert sind. Zunächst sollten damit nur Antragstellungen in unterschiedlichen Ländern aufgedeckt werden. Inzwischen darf auch die Polizei auf diese Daten zugreifen. Das ist ein schleichender Prozess. Auch bei den Fingerabdrücken der Reisenden wird es zu einer Zweckentfremdung zugunsten der Polizei kommen.
Wenn ich als Deutscher in die USA reise, muss ich auch meine Fingerabdrücke geben.
Die EU kopiert hier das System der USA. Aber das macht die Sache kein bisschen besser.
Jan Philipp Albrecht, 30, ist seit 2009 Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament. Er ist Datenschutzexperte und bereitet derzeit als Berichterstatter die Position des Parlaments zur geplanten EU-Harmonisierung des Datenschutzes vor.
Was halten Sie vom „registered traveller programm“, das eine schnellere Einreise erlaubt?
Hier werden Reisende animiert, den Behörden noch mehr Daten zu geben, zum Beispiel mehrere Fingerabdrücke und Informationen zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen. Das werden viele machen, weil die Warterei an der Passkontrolle lästig ist. Ich fürchte, dass das auf Dauer nicht freiwillig bleibt, sondern früher oder später zur Pflicht wird.
Das „registered traveller programm“ betrifft also auch EU-Bürger?
Derzeit noch nicht. Aber es gibt Revisionsklauseln, dass nach drei Jahren das ganze Programm auf den Prüfstand gestellt wird. Und dann wird vermutlich versucht, möglichst viele Elemente des Smart-Border-Programms auf EU-Bürger auszuweiten.
Die EU will ohnehin die Daten aller Flugpassagiere fünf Jahre lang speichern und auswerten.
Bei Smart Borders kommt noch dazu, dass an den EU-Außengrenzen bei Nicht-EU-Bürgern auch alle Einreisen mit dem Auto, dem Zug oder dem Schiff gespeichert werden. Das halte ich für ebenso völlig unverhältnismäßig wie die geplante fünfjährige Voratsdatenspeicherung der Fluggastdaten, von der auch EU-Bürger betroffen sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts