piwik no script img

EM-Qualifikation Polen – Israel„Das ist jetzt schon ein Pogrom“

Der polnische Fußballverband feiert einen Sieg gegen Israel als „Pogrom“. Der Begriff ist eindeutig mit antijüdischen Ausschreitungen konnotiert.

Der polnische Fußballverband bezeichnet die Verwendung des Worts „Pogrom“ als üblich Foto: imago-images/ZUMA Press

Berlin taz | Polens Nationalmannschaft hat Israel in der Qualifikation zur Fußballeuropameisterschaft der Männer 2020 am Montag mit 4:0 besiegt. Das Social-Media-Team des polnischen Fußballverbands schrieb kurz vor Abpfiff auf Facebook: ­„Toooooor! Das ist jetzt schon ein Pogrom! Wir führen gegen Israel mit 4:0.“ Nach dem Wort Pogrom wurden zwei Emoticons gesetzt: ein Arm mit einem angespannten Bizeps und eine Flamme.

Der Begriff „Pogrom“ kommt aus dem Russischen und bedeutet ursprünglich „Verwüstung“, „Zerstörung“ und „Krawall“. Er wurde erstmals für die antijüdischen Ausschreitungen in den Jahren 1881 bis 1884 im Russischen Kaiserreich verwendet. Hunderte Juden wurden damals ermordet, Tausende verletzt. Auch mittelalterliche Judenverfolgungen wie jene zur Zeit der Pestepidemie Mitte des 14. Jahrhunderts und ein im Jahr 1298 verübter Massenmord an Juden in Bayern wurden im Nachhinein als „Pestpogrom“ beziehungsweise „Rintfleisch-Pogrom“ bezeichnet.

Im Nationalsozialismus markiert das ­Novemberpogrom der Nacht vom 9. auf den 10. No­vember 1938 den Übergang von der Diskriminierung der ­deutschen Juden zur systematischen Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch die Deutschen. Über 1.300 Juden wurden damals ermordet oder in den Suizid getrieben, 30.000 wurden in den Folgetagen in Konzentrationslager deportiert.

Der Begriff ist also historisch eindeutig konnotiert. Im Polnischen kann er zwar tatsächlich auch „Niederlage“ oder „Debakel“ bedeuten – und wird so auch im Fußballkontext verwendet. Allerdings ausgerechnet bei einem Sieg gegen Israel positiv darauf Bezug zu nehmen, ist an Schäbigkeit schwer zu überbieten. Zur Erinnerung: Israel wurde als Staat von Holocaustüberlebenden gegründet, hinzu kamen die aus den arabischen Ländern und dem Iran geflohenen Juden. Der polnische Fußballverband macht mit seinem Facebookpost auch ihre Nachkommen zu Pogrom­opfern.

Nach Kritik in sozialen Medien hat der polnische Fußballverband die Verwendung des Begriffs verteidigt. Er sei „üblich“, um Siege im Fußball zu beschreiben, teilte Verbandssprecher Jakub Kwiatkowski mit. Es folgte eine halbgare Entschuldigung: „Vielleicht war er in diesem Zusammenhang fehl am Platz, weil es unnötig Emotionen schürt.“ Wenn er mit „unnötigen Emotionen“ die zahlreichen Holocaustwitze meint, die später unter dem Post zu sehen waren, hat er wohl recht.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Es ist schon kurios, wie die Deutschen sich darüber ereifern, wie zwei der leidendsten Opfernationen der Nazi-Barbarei mit- oder übereinander reden. Oder ist vielleicht die Tatsache der (deutlichen) Niederlage das Problem? Wenn man sieht, wie z.B. die NYT Int. jetzt auf Polit-Karikaturen verzichtet, fällt einem irgendwie der Begriff Welpenschutz ein, sobald es um irgendetwas aus der heutigen israelischen Normalität geht. Warum gilt das (Staatsräson!) nicht auch für Polen und die einstigen Sowjetnationen?

  • Unwichtig, was es auf egal welche Sprache heißt. Es ist und bleibt geschmacklos und unwürdig. Zudem sagt es viel über denjenigen aus, der es benutzt. Noch dazu in so einem Rahmen.

  • Der polnische Fussbal verband hat seinem Torschützen *vor* dem Spiel verboten die übliche Geste (Pistolen) nach einem erzielten Tor zu verwenden.

    Das Wort "pogrom" hat im polnischen nicht die übliche Konnotation, wie in anderen Sprachen. Vergleichbar ist das mit einem allg. bekannten deutschen Wort "Führer", das im Ausland eindeutig besetzt ist in Deutschland mehr oder weniger neutral.

    BTW, was die taz aus der Semantik nicht aufbauschen kann...

    • @agerwiese:

      Agerwiese, schauen Sie bitte in Wikipedia Polski mal unter "pogrom" nach. Es wird Sie wohl ueberraschen...



      Abgesehen davon, dass jeder - gerade im während des Zweiten Weltkriegs von den Deutschen besetzten und von den Nazis als Tatort fuer den Völkermord an den Juden benutzen Polen - um den Zusammenhang Israel - Juden - Pogrom weiss. Und ich frage mich, was Ihre Beweggruende fuer die Verharmlosung dieser inakzeptablen Entgleisung sind.

      • @Volker Scheunert:

        Wikipedia ist kein Wörterbuch und behandelt nicht die trivialen Bedeutungen des Wortes.



        Genauso wenig finden sie da verwandte (und auch im Sport übliche Begriffe) wie "rozgromic/rozgromienie".

        BTW, polnische Bezeichnung für aus/offside lautet: "spalony" (verbrannt). Ich gehe davon aus, dass die polnischen Kommentatoren da heftig in der Bredouille waren...

        • @agerwiese:

          Versuchen Sie bitte nicht, abzulenken. Es geht hier nicht um triviale Bedeutungen und auch nicht um "rozgromic/rozgromienie" oder "spalony", sondern um die Bezeichnung eines Sieges im Fussball gegen eine grösstenteils juedische Mannschaft aus Israel als "Pogrom". Ich habe den Eindruck, dass Sie die antisemitische Gewalt, die daraus spricht, erkennen, aber sie leugnen. Das macht Sie mir, ehrlich gesagt, nicht sehr sympathisch. Und dieses affige "BTW" verstärkt diesen Eindruck...

          • @Volker Scheunert:

            Das Wort "Pogrom" ist im Polnischen im Sportgebrauch gang und gäbe und bedeutet einen klaren Sieg. Niemand hatte die Absicht die israelische Nationalmannschaft zu kränken. Gestern hat Polen U21 5:0 gegen Spanien verloren und das Wort ist in aller Munde www-sport-pl.cdn.a...pasc-i-pogrom.html

          • @Volker Scheunert:

            @Volker Scheunert



            Ich habe den Eindruck, dass Sie die andere Konnotation des Wortes im Polnischen zwar erkennen, aber nicht wahrhaben wollen.

        • @agerwiese:

          Ein Mindestmaß an historischer Ahnung hat man in Polen sicherlich. So doof ist keiner.

          • @sachmah:

            "So doof ist keiner."

            Doch, manche schon...

            www.sueddeutsche.d...g-kirche-1.4461664

            www.spiegel.de/pan...ben-a-1250820.html

            • 8G
              85198 (Profil gelöscht)
              @agerwiese:

              Das Landgericht Dessau hat es ja auch nicht für nötig gehalten, im Fall Oury Jalloh Polizeibeamte in Beugehaft zu nehmen. Er war übrigens nicht der einzige Mensch mit Migrationshintergrund, dessen Ermordung in engem Zusammenhang mit der Polizei Dessau steht.