Drohnenangriffe auf Russland: Kein Wort über die Explosionen
Die Behörden der russischen Region Pskow nahe der Grenze zu Estland versuchen ihren Einwohnern zu verheimlichen, dass der Krieg bei ihnen angekommen ist.
Am vergangenen 27. Mai, einem Samstag, wurde durch Angriffe zweier unbemannter Luftfahrzeuge ein Gebäude in der Nähe einer Ölpipeline beschädigt, die vom sibirischen Surgut durch das russische Gebiet Pskow ins belarussische Polazk führt, von wo aus ein Teil des Öls in die baltischen Staaten und nach Polen geht.
Das Gebiet Pskow ist eine Region im Nordwesten Russlands und liegt auf halber Strecke zwischen der Heimatstadt Wladimir Putins, St. Petersburg, und der lettischen Hauptstadt Riga. Es ist eine der vier Regionen Russlands, die an die EU grenzen, in diesem Fall an Lettland und Estland. Und gleichzeitig ist es eine der am stärksten benachteiligten Regionen des Landes.
Eine Familie mit zwei Kindern, die im Gebiet Pskow lebt, hat nach Abzug aller Ausgaben für Lebensnotwendiges wie Essen, Strom, Gas u. a. durchschnittlich noch 9.211 Rubel übrig, umgerechnet etwas mehr als 100 Euro. Im Jahr 2022 gehörte das Gebiet Pskow darüber hinaus zu den drei am stärksten von Abwanderung betroffenen Regionen des Landes mit einem Bevölkerungsrückgang von minus 10,7 Prozent.
Russische Behörde schweigen über Angriffe im Land
Die Behörden der Region versuchen, der Bevölkerung die Sabotageakte zu verheimlichen, die dort seit Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine stattgefunden haben. Am Abend des 30. Oktobers 2022 explodierten auf einem Militärflugplatz namens Veretje zwei Hubschrauber von Typ Ka-52 Alligator, Nato-Codename Hokum B. Dies wurde vom Hauptnachrichtendienst der Ukraine bestätigt, der angab, dass zwei Hubschrauber im Wert von 16 Millionen US-Dollar zerstört und zwei weitere beschädigt wurden, und sogar ein Video veröffentlichte, auf dem zu sehen ist, wie die Hubschrauber vermint wurden.
Unterstützen Sie die taz Panter Stiftung und ihre Projekte in Osteuropa mit einer Spende. Mehr erfahren
Der Gouverneur der Region Pskow, Michail Wedernikow, erwähnte diese Explosionen jedoch weder in seinen persönlichen Socia-Media-Accounts noch in offiziellen Mitteilungen. Auch der FSB Russlands und die Polizei der Region Pskow kommentierten das Ereignis nicht. Der einzige Beamte, dem „erlaubt“ wurde, über den Vorfall zu berichten, war Dmitri Bystrow, Leiter des Kreises Ostrowski, in dem sich der Flugplatz befindet. Er erklärte den regierungsnahen Medien, dass auf dem Militärflugplatz „ein Feuer ausgebrochen“ sei.
Am 13. Mai 2023 wurden in der Region Brjansk südwestlich von Moskau zwei Mi-8-Hubschrauber sowie zwei Su-34- und Su-35-Jagdbomber abgeschossen. Russische Behörden haben dieses Ereignis nicht öffentlich bekannt gemacht. Einwohner des Kreises Ostrowski aus der Region Pskow berichteten jedoch in sozialen Medien, dass die beiden abgeschossenen Hubschrauber im Gebiet Pskow auf dem Flugplatz in Veretje stationiert gewesen waren. Zu diesem Zeitpunkt äußerten sich weder der Leiter der Region noch die Strafverfolgungsbehörden des Gebiets Pskow in irgendeiner Weise zu dem Vorfall.
Der erste Vorfall, zu dem der Gouverneur der Region Pskow überhaupt etwas sagte, war eine Explosion in der Nähe eines Ölpipeline-Gebäudes im Dorf Litwinowo in der Region Pskow am 27. Mai. Michail Wedernikow teilte mit, dass an dem Angriff zwei unbemannte Luftfahrzeuge beteiligt waren, aber niemand verletzt wurde, und dass die Ereignisse nun durch eine „spezielle Einsatzgruppe“ untersucht würden.
Aber nachdem dieser Angriff selbst bei einem offiziellen Briefing des russischen Verteidigungsministeriums unkommentiert blieb, schrieb auch Wedernikow nicht weiter darüber. Nur eine Woche später stellte er auf einer Sitzung klar, dass „niemand zu hundert Prozent garantieren könne, dass sich solche Situationen nicht wiederholen werden“. Die Anwohner berichteten gegenüber der unabhängigen Zeitung Psowskaja Gubernija, dass sie Drohnen in der Nähe der Dörfer Artemowo und Pustki gesehen hätten, was bedeuten würde, dass sie etwa 10-12 Kilometer in die Region Pskow geflogen sind.
Die Taktik, militärische Operationen der Ukraine innerhalb Russlands zu verschweigen, ist typisch für die russischen Behörden. Sie tun stattdessen alles, um die russische Invasion in der Ukraine als eine Abfolge von Siegen und Erfolgen darzustellen.
Kremlnahe Medien: „Erfolgreiche Arbeit der Luftabwehr“
Nach den Drohnenangriffen in Moskau am vergangenen 30. Mai wurden regierungsnahe russische Medien angewiesen, über die „erfolgreiche Arbeit der Luftabwehr“ zu berichten und dass die zuständigen Behörden „sofort“ reagiert hätten und ihre Arbeit „ausgezeichnet und zielgerichtet“ gewesen sei, wie das russische Exilmedium Meduza unter Berufung auf eigene Quellen berichtete.
Die gleiche Taktik ist auch charakteristisch für den Gouverneur der Region Pskow. So hat der seit Beginn der russischen Teilmobilmachung im vergangenen September in acht Monaten nur zehnmal den Tod von Einwohnern der Region Pskow durch den Krieg in der Ukraine gemeldet. Gelegentlich „schlägt“ Wedernikow jedoch in den sozialen Medien zu. Zum Beispiel reagierte er nach einem Vorschlag, lieber kein Chemiewerk in der Nähe von Pskow zu bauen, auf seiner offiziellen Seite im Netzwerk VK mit den Worten, dass „in der heutigen Realität und angesichts der Tatsache, dass der Westen die Ukraine mit Waffen unterschiedlicher Reichweite versorgt, [in der Region Pskow] alles in Reichweite ist“.
Pavel Dmitriev ist russischer Journalist.
Aus dem Russischen von Gaby Coldewey.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin