Drogenhandel in Berlin: Das Kreuzberger Original
Je mehr im Görlitzer Park in Berlin kontrolliert wird, desto mehr wird in den Nebenstraßen gedealt. Die Parkläufer gibt es jetzt auch in anderen Bezirken.
„Die Situation im Görlitzer Park hat sich gebessert“, beschreibt Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes von Friedrichshain-Kreuzberg am Donnerstag bei einem Treffen mit der taz die Lage. Jedoch: „In den umliegenden Straßen ist die Tendenz eher negativ.“ Es gebe sehr viele Beschwerden von Anwohnern. Je mehr sich die Drogenszene unter Kontrolle fühle, umso mehr verlagere sie sich. Darum seien die Parkläufer nicht mehr nur im Görlitzer Park unterwegs, sondern auch im Wrangelkiez. „Man muss die Räume im Zusammenhang sehen.“
Das Treffen mit dem Chef des Grünflächenamts findet im Görlitzer Park vor einem Bauwagen statt, der den Parkläufern als Büro und Pausenraum dient. Zurzeit sind alle unterwegs. Weisbrich, groß, blond, dunkle Jacke mit Bezirkswappen, greift zum Telefon und trommelt seine Leute zusammen. Von allen Seiten kommen die Parkläufer angeradelt.
Es ist eine bunte Truppe: Einer der Schwarzen hat einen Turban auf, andere tragen grüne Basecaps, der einzige Weiße in der Runde stellt einen kurz geschorenen Schädel zu Schau. Was alle gemeinsam haben, ist die weiß-graue Sicherheitsweste. „Krisenhelfer“ steht in großen Buchstaben auf dem Rücken. Darunter, etwas kleiner, „beauftragt durch das Straßen- und Grünflächenamt Friedrichshain-Kreuzberg.“
Zunehmende Verwahrlosung
Auf einer Pressekonferenz hatte Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) unlängst über eine zunehmende Verwahrlosung im öffentlichen Raum geklagt. Gemeint war damit Müll im klassischen Sinn, aber auch, dass es immer mehr Drogenabhängige, Obdachlose und Menschen mit psychischen Problemen gibt.
Vom CDU-Landesvorsitzenden Kai Wegner war Herrmann für ihre offenen Worte heftig gescholten worden. „Vermüllung, Verwahrlosung und Kriminalität“, so Wegner, „sind nicht über Nacht entstanden, sondern auch das Resultat verfehlter grüner Politik.“ Schließlich sei Herrmann seit 2013 Bezirksbürgermeisterin.
Die Parkläufer sind eine Kreuzberger Erfindung. Seit 2017 gibt es sie. Der CDU-Vorsitzende mag sie belächeln, das Modell hat stadtweit längst Schule gemacht. „think-SI3“ heißt die Firma, bei der in den Sommermonaten rund 40 Parkläufer beschäftigt waren. SI3 steht für Sicherheit, soziale Inklusion und soziale Intelligenz. Auch Grünanlagen in Reinickendorf, Zehlendorf und Schöneberg gehören zu den Einsatzgebieten. Am Schlachtensee sind sie etwa unterwegs oder im Kleistpark.
Art Sozialassistenz
Man sei keine klassische Sicherheitsfirma, sagt die Geschäftsführerin, Iris Uhlenbruch. Die Parkläufer seien vielmehr eine Art Sozialassistenz. Im öffentlichen Raum soziale Sicherheit zu schaffen sei das Ziel. Große Teile der Belegschaft hätten einen Migrationshintergrund, auch einige wenige Frauen seien darunter. Bis zu 65 Sprachen und Dialekte würden in der Firma gesprochen, so Uhlenbruch. Die Anstellung, zum Teil in Form eines Minijobs, sei an keine Qualifikation gebunden. Allerdings müsse man eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis haben.
Friedrichshain-Kreuzberg verfügt laut Amtsleiter Weisbrich über 16 Parkläufer. 8 sind allein für den Görli und den Wrangelkiez zuständig, aufgeteilt in zwei Schichten, die um 12 Uhr mittags beginnen und manchmal bis 4 oder 5 Uhr morgens gehen. Die anderen 8 Parkläufer seien im Volkspark Friedrichshain und angrenzenden Gebieten sowie in und um den Viktoriapark tätig. Am Marheineke Platz etwa, wo sich neben einem Trinkermileu auch eine Partyfeierszene etabliert habe.
Souleymane Sow, Sonnenbrille, grünes Basecap, Solo genannt, ist der Chef der Truppe vom Görli. Der 44-Jährige, der in Guinea geboren wurde, kam als Jugendlicher nach Deutschland. Außer Deutsch, Englisch, Französisch und Polnisch spricht er eigenen Angaben zufolge sechs afrikanische Dialekte, die in Mali, Gambia, Guinea-Bissau und Elfenbeinküste zu Hause sind.
Im Notfall die Polizei
Wie die anderen Parkläufer versteht sich Solo als Instanz, die Konflikte durch Kommunikation zu regeln versucht. Wenn die Lage ernst ist und sie allein nicht weiterkommen, ziehen sie Sozialprojekte wie Gangway, Fixpunkt oder das Afrikacenter Joliba hinzu. Im Notfall wird die Polizei oder der Sozialpsychiatrische Dienst gerufen.
Hervorgegangen sind die Parkläufer aus dem Handlungskonzept Görlitzer Park. Ausgearbeitet hatte das vor vielen Jahren eine aus Anwohnern, Projekt- und Verwaltungsmitarbeitern bestehende Arbeitsgruppe. Getragen ist es von der Maxime: Den Drogenhandel werde man nicht mehr grundsätzlich aus dem Park wegbekommen, aber man kann die Dealer in ihre Schranken weisen.
Als das Konzept 2016 veröffentlicht wurde, wurde im Görli noch hauptsächlich mit Cannabis gehandelt. Inzwischen haben auch harte Drogen in den Wrangelkiez Einzug gehalten. Nicht nur die Spritzbestecke auf Spielplätzen und in den Hausfluren sind Zeugnis des Drogenkonsums, sondern auch dass auf der Straße vermehrt ausgemergelte Abhängige zu sehen sind.
Sozialpsychiatrischer Dienst dabei
Einmal in der Woche trifft sich ein sogenanntes Praktikerteam, bestehend aus Angehörigen von Polizei, Ordnungsamt Grünflächenamt, Parkläufern und Sozialprojekten, um über die Situation im Kiez zu beraten. Auch der Sozialpsychiatrische Dienst ist dabei. Wiederkehrend habe man es mit Menschen zu tun, die einer aussichtslosen sozialen Lage seien, hinzu komme ein massives Drogenproblem, gepaart mit Obdachlosigkeit, sagt Weisbrich. „Sie sind häufig nur noch schwer ansprechbar.“
Auch in Schöneberg würden die Parkläufer verstärkt den Sozialpsychatrischen Dienst einschalten, bestätigt Lars Laurisch, Projektleiter von think-SI3.
Erst am Mittwoch habe man einen mit Drogen voll gepumpten, vollkommen verwirrten Mann festgehalten, der nackt durch den Görlitzer Park lief, erzählt der Parkläufer Olaf Strutz. „Was wäre, wenn wir nicht hier wären?“, fragt Strutz, der erst seit drei Monaten dabei ist und vorher Chauffeur bei der Bundeswehr war. Der Mann mit dem kurz rasierten Kopf gibt die Antwort selbst: „Chaos“. Wer hätte auf die psychisch gestörte Frau aufgepasst, die nachts im Park schlief?
Tropfen auf den heißen Stein
Das Ordnungsamt habe ihn vor der Frau gewarnt, erzählt Solo: „Vorsicht, die ist gefährlich.“ Zweimal wäre sie fast vergewaltigt worden, sagt Solo. Wer hätte dafür gesorgt, dass der Afghane aus dem Verkehr gezogen wird, über den es heißt, er sei mit einem Messer herumgelaufen, habe Frauen bespuckt und Kinder bedrängt?
„Was wir hier tun, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Amtsleiter Weisbrich. „Aber ohne die Parkläufer wäre die Situation schlimmer.“ Hätte er die Mittel dafür, würde er die Parkläufer in Friedrichshain-Kreuzberg verdreifachen. Die Stadt habe ein massives Problem, nicht nur was Drogenkonsum und Drogenhandel betreffe, sondern auch mit der Ausgrenzung von Menschen.
Ein Mehr an Polizei wäre zwar gut, aber man könne nicht erwarten, dass sie sich um die soziale Komponente kümmere. Das genau sei die Lücke, die die Parkläufer abdeckten: mit Kommunikation verhindern, dass es zu einem Polizeieinsatz kommen muss. Manchmal lasse sich aber auch eine Zwangseinweisung nicht vermeiden.
Eine Afrikanerin, die im Park immer einen Stuhl hinter sich herzog, habe er überreden können, in einen Krankenwagen einzusteigen, erzählt Solo. Und, was die andere psychisch gestörte Frau betrifft: Über den Kontakt mit anderen Parkläufern in Zehlendorf habe er herausgefunden, dass sie aus der Psychiatrie abgehauen war. Warum sie hier sei, habe er die Frau gefragt. „Weil hier Menschen sind“, habe sie geantwortet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich