Dresden gedenkt der Bombardierung: It's democracy, stupid
Frank-Walter Steinmeier beschreibt angemessen komplex die Bombardierung Dresdens vor 75 Jahren. Dazu reist er in die sächsische Landeshauptstadt.
Dresden ist nicht nur Synonym für die Destruktionskraft moderner Kriegsführung geworden – es ist für deutsche Rechtsextreme Ansatzpunkt, um die erträumte erinnerungspolitische Wende um 180 Grad in Gang zu setzen. Deutsche als Opfer sollen deren Täterschaft überblenden. Deshalb behauptet AfD-Parteichef Tino Chrupalla, dass damals 100.000 in Dresden starben. Es waren solider historischer Forschung zufolge 25.000.
Steinmeier schildert am Beginn seiner Rede nicht Dresden 1945, sondern die Zerstörung des Marktplatz und Krankenhauses in der polnischen Kleinstadt Wieluń am 1. September 1939. „Die Bomben von Wieluń waren das erste Verbrechen in einem Krieg, den das nationalsozialistische Deutschland in die Welt trug. Sie waren Vorboten des Grauens, das deutsche Selbstüberhebung, deutscher Rassenwahn und deutscher Vernichtungswille über Europa brachten.“ Wieluń war die Ursache, Dresden die Folge.
Joachim Gauck hat vor fünf Jahren in Dresden gesagt, dass wir „niemals die Opfer deutscher Kriegsführung vergessen, wenn wir hier und heute der deutschen Opfer gedenken“. Das sagte sich damals leichter – 2020 sind die Versuche der Rechtsextremen die Geschichte umzudeuten vehementer geworden, noch stärker ist ihr Versuch die Gegenwart zu bestimmen. Es ist komplizierter geworden, deutscher Opfer zu gedenken.
Fokus auf Zivilbevölkerung
Steinmeier rückt das Leid der Zivilbevölkerung dicht vor Augen. „Die Todesangst und die Enge im Keller; die Einschläge der Bomben, das splitternde Glas und die zerberstenden Mauern; das tosende Feuer, das allen Sauerstoff aus Straßen, Häusern und Trümmerhöhlen sog; die verbrannten Menschen und das Skelett der Stadt – unzähligen Augenzeugen sind die Bilder, Geräusche und Gerüche der Schreckensnacht nie mehr aus dem Kopf gegangen.“
Gauck hatte 2015 auf eine naturalistische Beschreibung des Grauens verzichtet – Steinmeier versucht mit diesem Stilmittel jeden Vorwurf auszuräumen, er schiebe als Reaktion auf die rechtsextreme Opferfixierung deutsche Opfer beiseite.
Steinmeier macht einen rhetorischen Dreischritt. Er widerspricht vehement dem Versuch „die Toten von Dresden gegen die Toten von Auschwitz aufzurechnen“, allerdings ohne das Leiden der Opfer am 13. Februar zu verkleinern oder gar, wie es verstrahlte Linksradikalen mal taten, den Feuersturm zur gerechten Strafe zu verklären.
Steinmeier erwähnt, dass in Großbritannien seit 1944 die Frage debattiert wird, ob die Bombardierungen „militärisch sinnvoll, völkerrechtlich erlaubt, moralisch legitim“ waren – allerdings ohne diese Diskussion näher zu beleuchten.
Die Conclusio lautet, wenig überraschend, so wie das Motto, das Steinmeier für seine Präsidentschaft gewählt hat: Demokratie. Er warnt vor „autoritär-nationalistischer Politik“. Das sei „eine Lehre aus dem deutschen Irrweg, der zur Zerstörung Dresdens geführt hat.“ It's democracy, stupid. Man kann das durchaus als Kommentar zu Erfurt verstehen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links