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Dramatische Coronalage in SachsenKaum Verständnis für neue Regeln

In Sachsen wütet die Coronapandemie weiter. In Hotspot-Regionen müssen nun Restaurants und Cafés schließen. Viele In­ha­be­r:in­nen sind sauer.

Impfwillige im Landkreis Meißen, dem Kreis mit der höchsten 7-Tage-Inzidenz Deutschlands Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Leipzig taz | Angesichts der nach wie vor dramatischen Lage in Sachsen verschärft die schwarz-rot-grüne Landesregierung erneut die Coronaregeln. In Regionen mit einer 7-Tage-Inzidenz von mindestens 1.500 soll die Gastronomie schließen müssen. Das sieht die neue Corona-Notfallverordnung vor, auf deren Eckpunkte sich das sächsische Kabinett am Dienstagnachmittag geeinigt hat, um die Pandemie unter Kontrolle zu bekommen. Das Kabinett will die neue Verordnung am Freitag beschließen, sie soll ab Montag bis zum 9. Januar 2022 gelten.

Betroffen von der neuen Hotspot-Regel sind aktuell zwei der 13 sächsischen Landkreise und kreisfreien Städte: In Meißen, dem Landkreis mit der höchsten 7-Tage-Inzidenz Deutschlands, beträgt der Wert am Dienstag 2.897, im Landkreis Mittelsachsen 1.684. In vier weiteren Landkreisen liegt die Inzidenz über 1.000, aber noch unter 1.500.

Wie geht es den betroffenen Gas­tro­no­m*in­nen mit der neuen Maßnahme?

„Schlecht“, sagt die Inhaberin des Wirtshauses Grüner Humpen zu Meissen, das inmitten der Altstadt Meißens liegt. Die neue Regelung verärgere sie, die Gastronomin sagt aber auch: „2G-plus wäre noch schlimmer für uns.“ Lieber schließe sie ihr Restaurant, als noch mehr Umsatz einzubüßen. Aufgrund der aktuellen 2G-Regel, die in Sachsen seit dem 9. November in Restaurants und Cafés gilt, habe sie deutlich weniger Gäste als sonst.

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„Wir kommen schon jetzt nicht mehr über die Runden“, sagt die Grüner-Humpen-Inhaberin und erzählt, dass alle 15 Weihnachtsfeiern abgesagt worden seien. „In jeder Gruppe waren zwei oder drei Ungeimpfte dabei.“

Auch Frank Handrick, dem die Weinstube Bauernhäusl in Meißen gehört, empfange seit Inkrafttreten der 2G-Regel kaum noch Gäste, auch bei ihm seien alle Weihnachtsfeiern aufgrund von Ungeimpften in der Familie oder im Freundeskreis abgesagt worden. Dass er sein Restaurant ab Montag vermutlich schließen muss, findet der Wirt dennoch „beschissen“. Er zweifle daran, dass die Regeln etwas bringen.

Dass die Infektionszahlen bedeutend sinken werden, nur weil die Gastronomie schließt, glaubt auch der Geschäftsführer vom Ratskeller Meißen, Karsten Müller, nicht. Wegen der 2G-Regel und der verkürzten Öffnungszeiten würden derzeit ohnehin nur noch wenig Leute ins Restaurant gehen. Außerdem hätten viele Gas­tro­no­m*in­nen Luftfilteranlagen installiert oder Plexiglasscheiben zwischen den Tischen aufgestellt. Müller befürchtet, dass sich durch die Schließung der Restaurants mehr Menschen zu Hause treffen würden, was die Infektionszahlen wiederum nach oben treiben könnte.

Der Inhaber vom Schnitzelhaus in Riesa, einer Stadt im Landkreis Meißen, beschreibt die neue Regelung als „desaströs und unverhältnismäßig“. Er habe kein Verständnis dafür, dass die Corona-Maßnahmen in Hotspot-Regionen verschärft werden und die Gastronomie dort dicht machen soll. Die Schließung bedeute einen „immensen“ Umsatzausfall sowie einen „hohen“ Warenverlust.

In Mittelsachsen, dem zweiten Landkreis mit einer Inzidenz über 1.500, ist die Stimmung ähnlich. René Zetzsch hat „null Verständis“ für die neue Regelung. Ihm gehört die Gaststätte Pfeffersack in der Universitätsstadt Freiberg, die zwischen Chemnitz und Dresden liegt. Statt die Gastronomie dicht zu machen, sagt Zetzsch, wäre es sinnvoller, die Schulen zu schließen oder zumindest wieder den Wechselunterricht einzuführen, da die Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen am höchsten seien.

Anders als die meistens Gastronom*innen, mit der die taz gesprochen hat, ist die Inhaberin vom Freiberger Restaurant Goldenes Prag froh über die Hotspot-Regel. Aufgrund der 2G-Regel habe sie 95 Prozent weniger Einnahmen. Für sie sei es daher besser, wenn sie ihr Restaurant schließen muss und finanzielle Unterstützung vom Staat bekommt. Dass die Schließung der Gastronomie zu weniger Infektionen führt, glaubt die Wirtin nicht. „Am besten wäre ein richtiger Lockdown“, sagt sie.

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Das Bundesfinanz- und das Bundeswirtschaftsministerium haben sich vorigen Donnerstag darauf geeinigt, dass die Corona- Wirtschaftshilfen bis Ende März 2022 verlängert werden.

Neben der Hotspot-Regelung für die Gastronomie sieht Sachsens neue Corona-Notfallverordnung Regeln für private Feiern und für Silvester vor. An privaten Feiern und Treffen von Geimpften und Genesenen sollen maximal 50 Personen teilnehmen dürfen. Für Silvester und Neujahr ist ein Feuerwerksverbot auf bestimmten Plätzen sowie ein Ansammlungsverbot geplant.

Die Beschränkungen der derzeit geltenden Coronaverordnung sollen beibehalten werden. Kneipen, Kinos, Theater, Museen, Bäder und Weihnachtsmärkte bleiben in Sachsen also in den kommenden Wochen geschlossen. Auch die Ausgangssperre für Ungeimpfte nach 22 Uhr in Regionen mit einer 7-Tage-Inzidenz von mehr als 1.000 soll weiterhin gelten.

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15 Kommentare

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  • "Anders als die meistens Gastronom*innen, mit der die taz gesprochen hat, ist die Inhaberin vom Freiberger Restaurant Goldenes Prag froh über die Hotspot-Regel. Aufgrund der 2G-Regel habe sie 95 Prozent weniger Einnahmen. Für sie sei es daher besser, wenn sie ihr Restaurant schließen muss und finanzielle Unterstützung vom Staat bekommt. Dass die Schließung der Gastronomie zu weniger Infektionen führt, glaubt die Wirtin nicht. „Am besten wäre ein richtiger Lockdown“, sagt sie. "

    Und genau deswegen sehe ich dieses "too late, too little" Konzept der FDP so befremdlich.

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    "Der Inhaber vom Schnitzelhaus in Riesa, einer Stadt im Landkreis Meißen, beschreibt die neue Regelung als „desaströs und unverhältnismäßig“

    Das ist der deutsche Hedonismus, der uns von fast allen Ländern auf der Welt unterscheidet.



    Und der dazu führt, das die Chinesen, Taiwanesen, Israelis, Italiener über uns lachen oder sich entsetzt fragen, was mit unserem Land eigentlich los ist.



    Das Entsetzen teile ich.

    • @05867 (Profil gelöscht):

      Das Entsetzen verstehe ich.



      Ob es 'Hedonismus' ist, weiß ich nicht. Es erinnert mich (wie einiges andere) an das Phänomen der 'German Angst': die Vorliebe, jeden auch noch so abstrusen und subjektiven Gedanken abzuklopfen auf eventuelle Relevanz, ihn auf ein Podest zu stellen, von allen Seiten zu beleuchten und das für Pluralität zu halten. Weil offenbar der Common Sense fehlt. Und ein verlässlicher ethischer Kompass. Dafür gibt es umso mehr Weh und Ach.

    • @05867 (Profil gelöscht):

      "Das Entsetzen teile ich"

      Und ich erst...

  • Wo es hier gerade um Selbständige / Angestellte in Branchen geht, die massiv betroffen sind: ich verstehe (und finde selber gut), dass es Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Corona gibt. Aber ich finde genauso selbstverständlich, dass der Staat, wenn er mir das Geldverdienen verbietet (auf die ich und 98% aller Erwachsenen angewiesen sind), mir schnell und unbürokratisch Ersatzgeld gibt: wenn ich z.B. als Angestellt erkrank bin, erhalte ich 80% vom Netto (+ 100% des Bruttoteils für die SozialV). Also: Jeder, der Berufsverbot hat, erhält 80% vom Netto + 100% vom Bruttoanteil, gemessen an den passenden Steuererklärungen. Wer die nicht hat, erhält pauschal 3.000€ im Monat für Vollzeit, anteilig für Teilzeit. Punkt, aus, Ende. Antrag reicht, Bewilligung und Überweisung inerhalb 14 Tagen.



    Das Beamte mit lebenslang sicherem Einkommen inkl. SozialV und überdurschnittlicher staatlicher Pension beschließen dürfen, dass andere Menschen kein Geld mehr haben ... (so sieht es in der Praxis der Regeln leider oft aus) ... finde ich einer der typisch deutschen "Ungerechtigkeiten beim Versuch, es gerecht zu machen". Meine Freundin ist selbständige Künstlerin und muss jetzt im Dezember die korrekten Ausgaben (!) für die Hilfen 2020 nachweisen ... obwohl dies Hochkonjunktur ist (zum Glück hat sie viele s auf Online umgestellt und wird dann z.B. für digitale Weihnachtsfeiern gebucht).

  • Das nenne ich zweckmässige Argumentation: "weil die Massnahme schlecht für mich ist, ist sie falsch".

    Ich kann verstehen, dass die Massnahmen den Gastwir*innen zu schaffen machen. Die Betroffenen verdienen auch unsere Solidarität. Aber die Argumentationen oben sind haarsträubend.

    Zu den Luftfilteranlagen: jedes Bisschen bringt etwas. Es ist aber zu befürchten, dass die Luftfilter nicht viel bringen: die Schwebeteilchen sind's [1]. Also Masken. Möglichst wenig unter Leute kommen, bis die Spitze der Welle vorbei ist. Impfen, impfen, impfen. Sie retten dadurch anderer Menschen Leben und erleichtern das Leben derer, die jetzt Überstunden schieben, um Sie oder mich zu intubieren, wenn's den nötig werden sollte.

    Ja genau, derer, die die Knauserigkeit unserer kaputten Gesellschaft zu spüren bekommen.

    [1] nitter.namazso.eu/...1356173081276420#m

    • @tomás zerolo:

      Ja das sind reine NIMBY Argumente, sollen mal die anderen.

      Großen Dank, Durchhaltevermögen und viel Glück Der vernünftigen Dame!

      Es gibt scheinbar Noch Hoffnung für diese spezies!

    • @tomás zerolo:

      Das kommt, wenn man die Katzen zum Thema Mäuseschutz befragt...

    • @tomás zerolo:

      Meine volle Zustimmung! Unverantwortlich, wie die taz hier den coronaleugnern in die Hände spielt. Was richtig und notwendig ist, entscheiden Fachleute, und nicht "Betroffene", für die die die Maßnahmen schmerzlich sind.

      • @Heinrich Ebbers:

        Tatsächlich entscheiden Politiker, nicht Fachleute. Und das ist dann leider nicht immer richtig und notwendig...

  • "Statt die Gastronomie dicht zu machen, sagt Zetzsch, wäre es sinnvoller, die Schulen zu schließen" Da fehlen mir die Worte. Was läuft da eigentlich seit Jahren falsch in Sachsen?

    • @Ruediger:

      Etwas Ähnliches habe ich spontan auch gedacht.