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Drama um Dänen Christian EriksenFadenscheinige Begründungen

Kommentar von Markus Völker

Der dänische Spieler Christian Eriksen kollabiert während des EM-Spiels gegen Finnland. Trotzdem wird weitergespielt. Das ist geschmacklos.

Abtransport des Wiederbelebten: der Däne Christian Eriksen hinter Sichtschutz auf einer Trage Foto: Stuart Franklin/ap

S ie haben dann einfach weitergemacht, ja wirklich. Keine zwei Stunden später rollte der Ball wieder. Das ist kaum zu glauben. Die Ärzte hatten mit allen Mitteln um Christian Eriksens Leben gekämpft, zeitweilig sah es verdammt schlecht aus, und allzu eifrige Wikipedianer vermeldeten schon das Ableben des Dänen. Seine Mannschaftskameraden erlebten das Drama hautnah, weil sie einen menschlichen Paravent um den Kollabierten gebildet hatten.

Wenn Fernsehzuschauer und Stadionbesucher schon vor Erschütterung in Schockstarre fielen, wie muss es dann erst jenen gegangen sein, die mit dem Offensivspieler an diesem Tag noch am Frühstückstisch gesessen haben. Kurz: Dieses Spiel hätte nie und nimmer wieder angepfiffen werden dürfen – egal welche fadenscheinigen Begründungen herangezogen wurden, von wem auch immer.

Auch ein hochkommerzialisierter Betrieb wie der Fußball braucht nach so einem markerweichenden Ereignis, bei dem das Leben eines Spielers auf der Kippe steht, einen Moment der Einkehr und des pietätvollen Verharrens. Es kann in so einem Fall nicht einfach weitergehen. Spielern, Fans, Trainern und Verantwortlichen muss Zeit gegeben werden, um sich zu sammeln, um ihre Emotionen zu verarbeiten.

Die Psyche braucht Zeit

Was aber passierte? Es wurde viel zu eilig über eine Fortsetzung diskutiert. Sobald Eriksen – Gott sei Dank – die Augen aufschlug, war das offensichtlich Option Nummer eins. Numero zwei: eine Fortsetzung am Folgetag. Das ist nicht weniger absurd, weil auch dieser Termin einen unnötigen Zeitdruck erzeugt hätte. Die Begründung, Eriksen hätte das Weiter-so von seinem Krankenbett aus gutgeheißen, taugt nicht, denn der Patient darf nach dem Geschehen als nicht zurechnungsfähig gelten.

Ihn, der gar nicht einschätzen kann, mit welcher Wucht die furchtbar aufwühlenden Bilder in die Welt geschleudert wurden, als legitimierenden Kronzeugen heranzuziehen, erscheint mindestens genauso geschmacklos wie der Wiederanpfiff. Hier hätte die Uefa und/oder die dänische Mannschaftsleitung Verantwortung übernehmen müssen. Man fragt sich unweigerlich, was eigentlich noch passieren muss, damit das Räderwerk des Fußballs mal einen Moment lang ruht?

Die Dänen standen dann verständlicherweise neben sich und verloren das Spiel gegen Finnland. Womöglich wollten sie in irgendeiner Weise heroisch sein und für Eriksen spielen – für sein Wohl und seine Genesung. Aber die menschliche Psyche braucht Zeit, um Traumata zu verarbeiten, sie ordnet sich nicht einem Pragmatismus von Spielplanern unter und auch nicht dem von Fernsehmachern.

Aber der Fußball war und ist speziell. Nach der Katastrophe im Heysel-Stadion mit 39 Toten wurde das Spiel zwische Juve und Liverpool auch fortgesetzt. Immerhin gegen den erklärten Willen vieler Spieler.

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Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
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19 Kommentare

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  • Grob gesagt: Das übliche Moralisieren reproduziert bloss die Amoralität des Vernunft genannten Kapitalismusgebahren. Absurd sicher, nur leider wahr.

    Besser: Früh den GMV erlernen und Moral danach nur noch in kleinen Dosen nutzen.

  • Nun - soweit mir bekannt, haben sich beide Teams nach Beratung für die Fortsetzung des Spiels ausgesprochen. Wäre das nicht so gewesen, hätte ich die Kritik ja durchaus berechtigt gefunden, aber so läuft sie doch nur unnötig moralisierend ins Abseits.

  • Auf welcher Grundlage meint der Autor denn, dass Christian Eriksen, nachdem er wieder wach und nach offiziellen Angaben stabilisiert war, unzurechnungsfähig gewesen sei? Wer Menschen, die gerade eine lebensbedrohliche Situation und/oder ein potentiell traumatisierendes Ereignis überstanden haben, ohne jegliche Begründung die Fähigkeit zu rationalem Denken und verantwortlichem Handeln abspricht, sollte seine Moralinflasche lieber geschlossen halten. Jeder Mensch ist bis zum Beweis des Gegenteils als einsichts- und handlungsfähig anzusehen. Patienten zu entmündigen, geht gar nicht und hat auch nichts mit Pietät zu tun. Wie die Psyche von Individuen Traumata u. ä. verarbeitet, ist individuell unterschiedlich und darf niemandem vorgeschrieben werden - und schon gar nicht von Journalisten per Ferndiagnose.

  • Zu Heysel 1985 sollte fairerweise erwähnt werden, dass die Sicherheitskräfte vor Ort eine Durchführung des Spiels empfohlen hatten, um weitere Ausschreitungen in der Stadt zu verhindern.

  • „ Sie haben dann einfach weitergemacht, ja wirklich.“

    Vor dem Urteilen erstmal den ganzen Sachverhalt erfassen. Erikson selbst hat die Spieler zum weiterspielen aufgefordert. Sie haben dann „für ihb“ gespielt.

  • Kenne das aus anderen Kontexten auch so, das dann auf Arbeit geblieben wurde oder die Klasse in der Schule oder das Fest wurde trotzdem weitergefeiert etc., obwohl den Beteiligten die Chance gegeben wurde sich anderst zu entscheiden. Ist natürlich immer schwierig: Den anderen vor sich selber zu schützen vs. ihm selber zuzugestehen, was für ihn das beste ist. Aber für meinen Teil muss ich sagen, das ein Abbruch mich stärker gewundert hätte.

  • Aha, und wenn jetzt beide Teams sagen, dass sie weiter machen wollen, soll man dann trotzdem abbrechen? Und das wäre dann keine Bevormundung?

  • Herr Eriksen scheint es gut zu gehen und er ist lt. Berichten auf dem Weg der Besserung. Welchen Grund hätte es also gegeben, nicht weiterzuspielen?

  • Wir reden hier von Fussball.



    Da kommen weder guter Geschmack noch Moral in's Spiel.

    Die Austragung der EM ohne Rücksicht auf die Pandemie, das erpresserische Beharren der UEFA auf Publikumszulassung, die Sonderbehandlung die Fussball gewährt wurde ....

    Fans von Hansa Rostock blockieren nach einem Spiel (zu dem sie nach Infektionsschutzverordnung schon gar nicht hätten anreisen dürfen) eine Autobahn, etwas später ziehen sie eine Schneise der Verwüstung durch Rostock -- und alles, was dem NDR einfällt ist: "Was heisst das für den Verein?".

    In einer Zeit, da zwei Jugendliche zusammen allgmeine Schnappatmung ("Rücksichtlos! Partyjugend! Superspreader!") auslösen, ist es vollkommen unproblematisch, dass besoffene Fussballfans in Horden unterwegs sind.



    Und ist genauso unproblematisch dass die Sportindustrie samt ihrer obszön hoch bezahlten Angestellten eine Ausnahmebehandlung nach der anderen geniessen.

    Sorry, aber angesichst dieser systemimmanenten Amoral ist die Empörung über die Fortsetzung des Spiels lächerlich.

  • Selbstverständlich muss das Spiel - nach angemessener Pause und selbstverständlich nach Bereitstellung aller notwendigen medizinischen Maßnahmen - weitergeführt werden! Es handelt sich hier um Profisport!! Alle Spieler sahen das auch so.

  • Wir leben halt immer noch im Kapitalismus. Gewöhnt euch dran oder tut was dagegen. Jammern hilft nicht.

  • Nicht zurechnungsfähig?



    Klingt, als müsse man beim Fußball auf Verletzungen und Gesundheitsgefahren irgendwie Rücksicht nehmen; womöglich noch Moral, geht‘s noch? Der Autor setzt sich augenscheinlich erstmalig mit Fußball auseinander: Notbremse und Körpersprache, Marktwert und Transfer-Millionen, Sponsoren, Prämien, verkaufte Austragungsorte, Spielerfrauen, Protzkarren, Follower… das sind die amtlichen Stichworte im Millionen-Buisiness!



    Es ist das „Spiel“ der scharf kalkulierenden Millionäre, auf dem Platz und auch daneben; es geht nicht um… irgendwas mit Sport.

  • Kann man den Wunsch und die Entscheidung der Spieler bitte nicht akzeptieren? Wenn es stimmt, dass beide Mannschaften ohne Druck von außen bzw. auch mit Wunsch von Eriksen ausdrücklich gewünscht haben weiterzuspielen, warum kann man das nicht akzeptieren? Nein, es soll medizinisch-autoritär verordnet werden:



    „Aber die menschliche Psyche braucht Zeit, um Traumata zu verarbeiten“



    Menschliche Selbstbestimmung brauchen wir also nicht mehr? Wir wissen, was für Euch gut bzw. besser ist!

    • @Bernd Käpplinger:

      Ich las in einer anderen Zeitung, die Spieler seien von der UEFA vor die Wahl, jetzt weiterzuspielen oder morgen Mittag um 12, gestellt worden. Daraufhin haben sie entschieden, jetzt zu spielen, weil nach dem Vorfall doch keiner von ihnen schlafen könne, und dann seien sie am nächsten Morgen noch kaputter. Bringen wir's also hinter uns.



      Wie weit das zutrifft, kann ich nicht beurteilen, aber der UEFA zutrauen tu ich es allemal.

  • Blödsinn. Die Dänen waren über die ganze Spielzeit die überlegende Mannschaft.



    Die Finnen kamen einmal vors Tor und haben es gemacht.



    Keine Spur von neben der Spur stehenden Dänen.



    Der Kommentar ist eine moralische Überhöhung.

    • @Klempner Karl:

      Touche...



      für'n Klempner von Beruf....



      scharfsinnig und treffend....

      bin bei Dir !

  • Die Fortsetzung des Spiels kann man sicher diskutieren. Ich empfinde aber den Wettbewerb der moralische Verurteilung, des Handelns in dieser Ausnahmesituation, als mindestens so fragwürdig und "pietätlos" wie die angeprangerten Handlungen selbst. Solche Situationen lassen sich nicht perfekt lösen, was auch immer getan wird, gibt es nachher immer Angriffsfläche für Hobbyethiker. Für die Beteiligten war es sicher nicht das Schlechteste, dieses Ereignis mit einem Schlusspfiff abzuschließen. Das Ergebnis war doch ohnehin gleichgültig. Mir hat das Verhalten der Spieler imponiert; Der menschliche Schutzwall wird vielleicht das Bild der EM bleiben. Es hat ein Zeichen menschlicher Größe und Solidarität in die Ödnis dieser Kommerzlandschaft gesetzt.

    • @jan ü.:

      genau.

  • Kann man auch anderst sehen....

    Viel Meinung, einseitig und nicht ausgewogen...meine ich

    ist aber als Kommentar gekennzeichnet und dann ist es gut so