Disney-Komödie „Cruella“: Einer Origin-Story würdig
„Cruella“ ist punkig und familientauglich zugleich. Die Komödie mit Emma Stone erzählt den Werdegang der „101 Dalmatiner“-Bösewichtin.
1961, da waren gute Frauen noch folgsame Ehegattinnen oder emsige Wirtschafterinnen wie im Trickfilm-Klassiker „101 Dalmatiner“. Drum rum gab es allerlei Damen, die vom Off-Erzähler schlicht und despektierlich zu ihrem Aussehen kommentiert wurden.
Die einzig selbstständig handelnde weibliche Figur war die Böse, Cruella de Vil, die durch ihre Besessenheit definiert wurde, sich in einen Mantel aus gepunktetem Dalmatinerwelpenfell zu hüllen, und dafür gnadenlos Verbrechen beging und rücksichtslos mit ihrer robusten Super-Limousine durch die Gegend heizte.
Dass diese Figur noch genug Ungeklärtes für eine eigene Story barg, zeigte schon 1996 eine Realverfilmung mit einer glaubwürdigen Glenn Close in der Hauptrolle. Doch was wäre der Disney-Zirkus, wenn er nicht jeder schillernden (oder matt schimmernden) Rolle mit ihrer eigenen Herkunftsgeschichte einen Extra-Auftritt andichten würde? Schön dumm.
„Cruella“. Regie: Craig Gillespie. Mit Emma Stone, Emma Thompson u. a. USA 2021, 134 Min. Läuft auf Disney+
Und Cruella ist einer Origin-Story allemal würdig. Gierig, energisch, böse und vor allem: von markantem Aussehen gibt sie recht viel her. Nämlich eine Modegeschichte. Die mit schwarz-weißen Haaren geborene Estella (so heißt sie eigentlich) interessiert sich seit frühster Kindheit für Klamotten. Sie wächst bei einer lieben Alleinerziehenden auf, die sich vergeblich aufopfert, das aufmüpfige Mädchen in gesellschaftliche Normen einzupassen.
Bei einem tragischen Unfall stirbt sie, und die traumatisierte kleine Estella landet mutterseelenallein im London der ausgehenden 60er Jahre. Sie fühlt sich mitschuldig am Tod der Mutter, ist verlassen, doch die beiden Gaunerjungen Horace und Jasper nehmen sie auf.
Doppelleben facettenreich gespielt
Sie leben von Taschendiebstahl und Trickbetrügereien, werden erwachsen. Emma Stone spielt diese Estella glänzend. Sie wird in einem Job bei „Liberty’s“ gedemütigt, hat aber dennoch Energie genug, an ihrem Lebensplan festzuhalten: Sie muss Modedesignerin werden.
Durch einen Zwischenfall (betrunken schläft sie im Schaufenster des Kaufhauses ein, das sie nachts im Punk-Stil dekoriert hat) entdeckt die mächtige Modezarin Baronin von Hellmann (Emma Thompson) Estella und macht sie – zack– zu einer ihrer Designerinnen.
Die Baronin ist von Estellas Entwürfen überzeugt, aber egoman, also neidisch auf ihr Talent, das sie ausnutzt. Bald werden die beiden zu Konkurrentinnen, wobei Estella ein raffiniertes Doppelleben als Cruella führt und die Baronin durch immer beeindruckendere Auftritte provoziert.
Rache als Hauptmotiv
Ein rasantes bildgewaltiges Spiel beginnt, bei dem Rache zum Hauptmotiv wird und sich Kreis um Kreis schließt. Im Metier „Rache“ hatte sich Regisseur Craig Gillespie zuvor schon mit dem Eiskunstläuferinnen-Biopic „I, Tonya“ bewiesen. Das alles in gut aufeinander abgestimmten Brauntönen gehalten, voll von visuellen Effekten, die zwar nicht unbedingt neu sind, aber durchaus öfter zitiert werden dürften.
Estellas Make-up erinnert häufig an den Joker, ihr Look ahmt Vivienne Westwood nach, während die Baronin zu Yamamoto neigt. Dazu gibt ein meist rockiger Soundtrack aus Hits – von vor, während und nach der Punkära – den Ton an, inklusive einer „Live“-Coverversion von Iggy Pops „I Wanna Be Your Dog“, bei der Jasper (Joel Fry) die Gitarre spielt. Die Rechte an den vielen Songs müssen ein Vermögen gekostet haben.
Sparsam ging es zu bei der Verteilung von Referenzen an den alten Animationsfilm: Die Hunde, die den Kern der Urgeschichte bilden, spielen nur eine Nebenrolle, die doggenhaften Dalmatiner gehören zu den Bösen. Wahre Hundequalitäten bieten die Ganoven-Kumpel Jasper und Horace, die sich mit Estella ein resolutes Frauchen eingehandelt haben, dem sie über die Jahre treu dienen.
Daneben gibt es subtile Reminiszenzen meist visueller Art wie zum Beispiel das Dachgeschoss des Backstein-Lofts mit dem ovalen Fenster, in dem Estella/Cruella lebt; oder das Erscheinen der Langhaarigen mit dem Afghanen, die wie in der Vorlage kommentiert wird: „Ist dir schon aufgefallen, dass manche Hundehalter ihrem Hund sehr ähnlich sehen?“, und natürlich den extravaganten Straßenkreuzer, mit dem Cruella durch die Gassen Londons heizt.
Miese Geschäftspraktiken
Wie im echten Leben sichern auch hier miese Geschäftspraktiken die Macht: Ideenklau, Total-Buy-Out und das Verpacken von Tücken in Schwurbelsprache und Kleingedrucktes von Arbeitsverträgen. Ihren hatte Estella offenbar auch nicht durchgelesen.
Weswegen sie sich nicht wehren kann, als ihr während ihrer Mittagspause auf der Straße Hellmans Schergen den Entwurfsblock entreißen, auf dem sie gerade ein Kleid skribbelt. “Du warst auf meiner Straße. Straßen, Designs, Menschen, ihre Seelen… alles gehört mir – sieh mal in deinem Arbeitsvertrag nach!“, so die Auskunft der Baronin.
Und da bei Disney der Marketingaspekt die erste Geige spielt, dürfen wir uns nicht wundern, wenn nicht nur der Punk-Look bald seine schlaffe dritte Blüte als Merchandise entfaltet, sondern auch die Cruella-Barbie oder Baronin-von-Hellmann-Monsterhigh-Puppe im virtuellen Spielzeugregal bling-bling machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind