Diskussion um eine neue Oper in Hamburg: Opernprojekt auf kolonialem Grund
Statt einer Oper fordern Wissenschaftler:innen am Baakenhöft ein Dokumentationszentrum. Der Ort spielte für einen Genozid eine Schlüsselrolle.
Die Fertigstellung ist bis 2032 geplant, die Verhandlungen zwischen Kühne und der Stadt sind fortgeschritten. Zuletzt wurde ein Termin bei einem Notar abgesagt, die Gespräche werden aber weitergeführt, um eine tragfähige vertragliche Grundlage zu schaffen, berichtete das Hamburger Abendblatt.
An den Plänen gibt es viel Kritik, auch weil sie bislang intransparent sind. Norbert Hackbusch von der Linken fordert, dass die Pläne öffentlich diskutiert und auf den demokratischen Prüfstand der Bürgerschaft gehören, weil die Kostenrisiken für den Steuerzahler zu hoch seien. Die Linke fordert belastbare Pläne, um Kostenrisiken zu minimieren.
Die Wahl des Standorts Baakenhöft für die neue Oper wirft aber auch grundsätzliche Fragen zur Erinnerungskultur in Hamburg und zur historischen Verantwortung der Stadt auf. Denn während der deutschen Kolonialzeit war der Baakenhöft, Teil des Baakenhafens in der Hafencity, eine zentrale logistische Drehscheibe. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Genozid an den Herero und Nama in Namibia von 1904 bis 1908 spielte dieser Ort eine Schlüsselrolle.
Inszenierung kolonialer Macht
„Der Baakenhafen war in Deutschland die zentrale logistische Drehscheibe des Genozids, von dem 95 Prozent aller deutschen Soldaten in den Krieg fuhren“, schreiben die Historiker Jürgen Zimmerer und Kim Sebastian Todzi von der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ an der Hamburger Uni in einer aktuellen Stellungnahme. Zwischen 1904 und 1907 fanden von dort mindestens 73 Truppen- und Materialtransporte statt, die insgesamt über 23.000 Soldaten und 11.000 Pferde umfassten.
Diese Transporte waren nicht nur logistische Operationen. Sie waren auch öffentliche Inszenierungen kolonialer Macht und wurden begleitet von Feiern und medialer Aufmerksamkeit. Nach der Niederschlagung des antikolonialen Aufstands wurde Lothar von Trotha, Kommandeur der Kolonialtruppen in Deutsch-Südwestafrika und für den Genozid an den Herero und Nama verantwortlich, 1905 bei seiner Rückkehr nach Hamburg von Bürgermeister Johann Heinrich Burchard persönlich und mit einer offiziellen Feier im Namen des Senats begrüßt.
Der Baakenhafen blieb bis 1999 ein zentraler Knotenpunkt für den Handel zwischen Hamburg und afrikanischen Ländern. Mit dem Beginn des Hafencity-Projekts wurde dann der wirtschaftliche Fokus des Hafens neu ausgerichtet. 2017 machte das Festival „Theater der Welt“ dort mit Themen zu Handel, Flucht und Weltoffenheit auf die koloniale Vergangenheit aufmerksam. Derzeit entstehen im Baakenhafen Wohn- und Geschäftsgebäude.
Das heutige Namibia wurde 1884 als Kolonie Deutsch-Südwestafrika von Deutschland beansprucht. Die Kolonialzeit war geprägt von Konflikten zwischen deutschen Siedlern und der einheimischen Bevölkerung, insbesondere den Herero und Nama, die Widerstand gegen die deutsche Besatzung leisteten, was zu einem brutalen Krieg führte. Die deutsche Kolonialmacht reagierte mit Gewalt und Zwangsmaßnahmen.
Der Aufstand der Herero begann 1904 und wurde von den Nama unterstützt. Die deutsche Reaktion war brutal: Generalleutnant Lothar von Trotha befahl die Vernichtung der Herero. Zwischen 1904 und 1908 kamen etwa 65.000 Herero und 10.000 Nama ums Leben. Dieser Völkermord gilt als der erste des 20. Jahrhunderts.
Hamburg spielte bei diesem Genozid eine zentrale Rolle, die meisten deutschen Truppen wurden über den Hamburger Hafen nach Namibia transportiert. Die Hamburger Reederei Woermann-Linie hatte ein Monopol für diese Transporte. Die Stadt war deshalb ein wichtiger Knotenpunkt für die logistische Unterstützung der deutschen Kolonialtruppen im Kolonialkrieg.
Deutschland hat den Genozid offiziell anerkannt und Entwicklungsprojekte in Namibia zugesagt. Aber es gibt Kritik an der Art der Entschädigung und der Beteiligung der Opfergemeinschaften.
In Hamburg zielt das stadtweite Erinnerungskonzept „Hamburg dekolonisieren!“ darauf ab, eine dekoloniale Erinnerungskultur zu entwickeln und die gesamte Stadtgesellschaft in die Auseinandersetzung mit der Geschichte einzubeziehen. Über die Umsetzung und die Notwendigkeit eines authentischen Erinnerungsorts, insbesondere am Baakenhöft, um die Rolle Hamburgs im kolonialen Völkermord angemessen zu würdigen, gibt es Streit.
Angesichts der historischen Bedeutung im deutschen Kolonialismus fordern Wissenschaftler:innen wie die Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ und Aktivist:innen schon länger die Einrichtung eines Dokumentationszentrums am Baakenhöft. Ein solches Zentrum könnte die Rolle Hamburgs im Kolonialismus aufarbeiten und als Mahnmal für die Opfer kolonialer Verbrechen dienen. Ein Erinnerungsort an einem authentischen Schauplatz wie dem Baakenhöft sei unverzichtbar, um die historische Verantwortung sichtbar zu machen und zukünftige Generationen zu sensibilisieren.
Erinnerung am authentischen Ort
Zimmerer und Todzi kritisieren den geplanten Standort der neuen Oper scharf. „Dieses neue Wahrzeichen würde ausgerechnet den authentischen Ort des Genozids überdecken.“ Die Pläne stünden „im Widerspruch zum erklärten Ziel, das koloniale Erbe der Stadt ernsthaft aufzuarbeiten“. Zimmerer fordert, dass die Stadt die finanzielle Förderung des Opernprojekts an die Bedingung knüpfen sollte, die Errichtung eines Dokumentationszentrums substanziell mitzufördern und den Bau eines solchen Ortes finanziell zu ermöglichen.
Die bisherigen Planungen der Stadt berücksichtigen diese Forderungen kaum. „Ein zentraler authentischer Ort der Erinnerung an koloniale Verbrechen in Deutschland“ werde so „versiegelt und – bildlich gesprochen – überschrieben, und zu einem Ort des Vergnügens“, kritisieren Zimmerer und Todzi. Die bauliche Planung des Opernbaues „müsse einen sichtbaren kolonialen Erinnerungsort auf dem Baakenhöft berücksichtigen“.
Ein möglicher Kompromiss könnte darin bestehen, das Opernhausprojekt mit einem Erinnerungsort zu verbinden. Kühne könnte einen Teil seiner Spende für ein Dokumentationszentrum bereitstellen. Oder das Opernhaus selbst könnte Elemente enthalten, die an die koloniale Vergangenheit erinnern.
Die Kulturbehörde verweist auf taz-Anfrage darauf, dass der Baakenhöft im Erinnerungskonzept „Hamburg dekolonisieren!“ als Leerstelle benannt ist, die einer kritischen Kommentierung bedarf. Wie diese aussehen könnte, dazu sei sie auch mit der Forschungsstelle und dem Beirat zur Dekolonisierung im Austausch. Das Opernprojekt auf dem Baakenhöft schließe die Schaffung eines Erinnerungsortes nicht aus.
Auch Kühne steht in der Kritik
Auch Kühne selbst steht wegen der unrühmlichen Vergangenheit seines Logistikunternehmens Kühne+Nagel und seinem Umgang damit schon lange in der Kritik. Der Baakenhöft werde durch die Pläne für eine neue Oper „zu einem Prestigeprojekt für einen Mann, an dessen Bereitschaft, die Rolle der eigenen Logistikfirma am Holocaust aufzuklären, immer wieder Zweifel geäußert wurden“, so Zimmerer und Todzi. Kühne hielt eine Studie über die Firmengeschichte zurück, die die Verstrickungen seiner Familie in der Nazi-Zeit beleuchtet.
Dabei profitierte Kühne+Nagel von der Plünderung jüdischen Eigentums und war an der sogenannten M-Aktion beteiligt, bei der Möbel aus den Häusern deportierter Jüdinnen und Juden nach Deutschland transportiert wurden.
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