Vanity Fair über Klaus-Michael Kühne: Historisch auf Durchzug

Das US-Magazin schildert für das internationale Publikum, wie der reichste Deutsche die Nazi-Vergangenheit seines Firmenimperiums verdrängt.

Klaus-Michael Kühne fasst in einen Aktenkoffer

Manche Gutachten sind einfach nicht zu finden: Klaus-Michael Kühne auf der Suche Foto: Axel Heimken/dpa

Jetzt hat der irgendwie ja auch Hamburger Milliardär Klaus-Michael Kühne (87) sich gerade wieder als Wohltäter feiern lassen, ist über den roten Teppich zur Fischauktionshalle geschritten und hat den Gründerpreis 2024 entgegengenommen, von einem, so zeigen es die Fotos, lachenden Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), und dann passiert so was: Eine riesige Geschichte in Vanity Fair, dem in New York erscheinenden US-Magazin, beschäftigt sich mit der Herkunft des Familienvermögens.

Detailliert zeichnet das Magazin nach, wie Vater und Onkel Kühne in der Nazizeit den jüdischen Miteigentümer Adolf Maas (der später in Auschwitz starb) aus ihrem Speditionsunternehmen drängten, sich eine jüdische Transportfirma aus Tschechien einverleibten und ihr Unternehmen zu einem Nazi-Vorzeigebetrieb machten, um später sehr viel Geld mit dem Transport geraubten jüdischen Eigentums nach Deutschland zu verdienen.

Das meiste davon hat die deutsche Presse, allen voran die taz, berichtet, aber das für das große internationale und vor allem amerikanische Publikum ist die Geschichte neu. Klaus-Michael Kühne, der das Familienunternehmen über die vielen Jahre zu einem internationalen Logistikkonzern ausgebaut hat, der Anteile an Hapag-Lloyd und Lufthansa ebenso besitzt wie an der US-amerikanischen Greyhound-Buslinie, dürfte das nicht gefallen: Er, mit 44,5, Milliarden Dollar der reichste Mann Deutschlands, hat seine Geschäfte auf Nazivermögen aufgebaut.

Vor allem aber: Er will davon nichts wissen. Tatsächlich neu ist, dass Kühne die bis dahin verschlossenen Firmenarchive für das unabhängige Handelsblatt Research Institute geöffnet hat, die 150 Seiten starke Studie, die sich offenbar kritisch mit der Nazivergangenheit seines Vaters auseinandersetzt, aber seither unter Verschluss hält. Sein Vater sei kein Nazi gewesen, soll er die Absage telefonisch begründet haben, berichtet Vanity Fair.

Wohnen in der Schweiz

Innerhalb der deutschen High Society sei Kühne sowieso eher ein Außenseiter, so schreibt das Magazin. Er wohnt ja auch in der Schweiz, wo er ein Chalet besitzen soll. Der Firmensitz ist auch dort, wegen der Steuern. Ansonsten seien seine Aufenthaltsorte seine Yacht und eine Villa auf Mallorca.

Trotzdem aber fühlt sich Kühne als Hamburger und lässt sich in der Stadt gern für sein Mäzenatentum feiern: 70 Millionen für eine nach ihm benannte private Hochschule, 100 Millionen für den HSV (für die er sich beim Fußballverein eingekauft hat). Er hat geholfen, die angeschlagene Reederei Hapag-Lloyd vor einer chinesischen Übernahme zu bewahren (und profitiert nun von ihren guten Zahlen), er will der Stadt eine neue Oper spendieren (und die alte, denkmalgeschützte dafür abreißen).

Den Hamburger Gründerpreis bekam Kühne übrigens für sein „Lebenswerk“. Er habe sein Unternehmen „mit größtem persönlichen Einsatz auch durch sehr schwere Zeiten und Krisen geführt“, sagte der Bürgermeister laut Abendblatt in seiner Lobesrede.

Allein 2023, auch das schreibt Vanity Fair, verdiente Klaus-Michael Kühne 4,5 Milliarden Euro. Da kann man dann auch mal ein paar Millionen springen lassen.

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2015 bis 2022: Von der taz-Kampagne „4 Qm Wahrheit“ bis zum Bau des Arisierungsmahnmal in Bremen

Kühne+Nagel: Das Logistikunternehmen Kühne+Nagel (K+N) feiert 2015 auf dem Bremer Marktplatz sein 125-jähriges Jubiläum und stellt dabei die Firmengeschichte zur Schau. Die taz recherchiert die fehlenden Fakten, u.a. die maßgebliche Beteiligung der Firma am Abtransport der Wohnungseinrichtungen der deportierten jüdischen Bevölkerung in ganz Westeuropa.

Crowdfunding: Unter dem Motto „4 Qm Wahrheit“ werden 27.003 Euro für den Kauf von 4 Quadratmeter Boden auf dem Platz gesammelt, auf dem K+N in Bremen seinen Neubau errichten will – als Standort für ein Mahnmal.

Kaufangebot: Die taz bietet der Stadt Bremen den doppelten Quadratmeterpreis wie K+N. Das Angebot wird abgelehnt, involviert aber Finanz- und Bauausschuss in die Thematik.

Gestaltungs-Wettbewerb: Die taz sammelt Ideen, wie „die Totalität der,Verwertung' jüdischen Eigentums in Gestalt eines Mahnmals visualisiert werden könnte. Unter den 60 Teilnehmenden des Gestaltungs-Wettbewerbs aus ganz Deutschland und Österreich sind sowohl bekannte Künst­le­r:in­nen als auch Schulklassen. Der Wettbewerb löst zahlreiche familienbiographische Nachfragen und Auseinandersetzung aus. Der Entwurf von Evin Oettingshausen kommt auf Platz 1.

Die taz veranstaltet am 3. November 2016 ein Symposium in der Bremischen Bürgerschaft: „Arisierung“ – über den Umgang mit dem Unrechts-Erbe.

Alle Fraktionen der Bremischen Bürgerschaft beschließen im November 2016 den Bau des Mahnmals.

Langes Ringen um den „richtigen“ Standort in Bremen: Soll das Mahnmal bei Kühne+Nagel, am Europahafen, an der Jugendherberge oder irgendwo dazwischen verortet werden?

Dynamik: Parallel zum politischen Prozess entstehen, ausgelöst von der Kampagne „4 qm Wahrheit“, künstlerische Aktionen, temporäre Mahnmale, Masterarbeiten, internationale Ausstellungsbeiträge, Radioreportagen und Regionalromane.

Ergebnis: Am 1. Februar 2022 beschließt der Bremer Senat den Bau des Mahnmals – zwischen Kaisenbrücke und den Bremer Weserarkaden, schräg unterhalb des Firmengebäudes von Kühne+Nagel.

Eröffnung: Am 10. September 2023 wurde das „Arisierungs“-Mahnmal eröffnet. Begleitinformationen finden sich auf der Webseite: geraubt.de

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