Diskussion um Strafen für Freier: Sexkauf nicht in Illegalität drängen
Ein Prostitutionsverbot wäre nur Symbolpolitik, die sich gegen die Frauen selbst wendet. Moral sollte nicht mit Menschenrechten verwechselt werden.
I m Sommer wurde Maria Noichl deutlich: „Am Tag von 30 Männern penetriert zu werden, mag für eine sehr kleine Gruppe von Frauen die Erfüllung sein“, sagte die Chefin der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) im Gespräch mit der taz spitz. Für die übergroße Mehrheit aber gelte: „Sexarbeit ist weder Sex noch Arbeit. Sexarbeit ist Menschenrechtsverletzung!“
Abwertend und unversöhnlich: Nicht nur Noichl nimmt in der seit einigen Monaten vor allem in der SPD hochgekochten Debatte um ein Sexkaufverbot eine rigide Haltung ein. Ob Freier bestraft werden sollten, nicht aber die Prostituierten selbst, wird extrem emotional diskutiert. Die einen, darunter neben Noichl die eklärte Abolitionistin Leni Breymaier und der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, sehen in Prostitution eine grundsätzliche Entwertung von Frauen in einer von Männern dominierten Gesellschaft – die anderen, darunter Verbände von Sexarbeiter*innen, eine selbstgewählte Arbeit wie andere auch. Doch für die vielen Zwischentöne ist kein Platz.
Sexarbeit ist eine Kampfzone um Macht, Moral und Menschenrechte. Aber es lohnt sich, zu prüfen, ob die Argumente, die in die Arena geworfen werden, auch greifen: Werden Frauen in die Prostitution gezwungen? Wird diese durch ein Sexkaufverbot aus der Welt geschafft? Und: Ist ein Verbot von Sexarbeit ein Schritt hin zu egalitären Geschlechterverhältnissen?
Wie viele Frauen der Sexarbeit hierzulande freiwillig nachgehen und wie viele tatsächlich dazu gezwungen werden, dazu gibt es keine belastbaren Zahlen. Die Anmeldung von Prostitutierten, wie sie in Deutschland Pflicht ist, funktioniert nicht – weil viele Angst vor Stigmatisierung haben und andere sich nicht anmelden können, zum Beispiel, weil ihnen eine Aufenthaltsgenehmigung fehlt. Zwischen selbstbestimmten High-End-Dominas und verelendeter Beschaffungsprostitution gibt es eine ganze Bandbreite weiterer Formen von Prostitution: Bordelle, Laufhäuser, Wohnungsprostitution, den Straßenstrich, Camper auf Parkplätzen oder Sexclubs.
Für einen großen Teil der Frauen ist Sexarbeit dabei zumindest eines: eine Möglichkeit, Geld zu verdienen, wo ihnen andere Möglichkeiten zum Beispiel aus sprachlichen Gründen oder wegen fehlender Bildungsabschlüsse nicht zur Verfügung stehen. Dass die Arbeit belastend sein kann, steht außer Frage – aber das kann für einen Job in der Pflege oder auf dem Bau genauso gelten. „Freiwilligkeit“ ist ohnehin eine schwierige Kategorie: Wer fragt schon eine Putzfrau, ob sie die siebte Nachtschicht die Woche freiwillig macht? Sofern sich eine Person aufgrund ihrer Möglichkeiten und Fähigkeiten dafür entscheidet, eine bestimmte Arbeit zu machen, ist eine Option besser als keine.
Menschenhandel und Zwangsprostitution hingegen sind schon strafbar, dafür muss nicht erst Prostitution als solche verboten werden. Ebenso ist auch Gewalt in der Prostitution wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen unter Strafe gestellt. Ob diese Gesetze durchgesetzt werden, hängt vor allem davon ab, wie viele Ressourcen die Polizei dafür aufwendet. Aber den Kauf von Sex zu verbieten, um Menschenhandel zu verhindern, entspräche einem Verbot der Bauindustrie mit demselben Ziel. Auch auf dem Bau gibt es Menschenhandel.
Was nun passiert, wenn Freier bestraft werden, sobald sie Sex kaufen wollen, ist kein Ratespiel. Aus skandinavischen Ländern und Nordirland liegen Studien vor, die genau das erforscht haben. Prostitution, zeigen diese, verschwindet nicht. Zwar schrumpft ein kleiner Teil tatsächlich: der sichtbare, der auf der Straße statt findet. Doch der Rest wird in die Illegalität gedrängt.
Dass mehrere Frauen an einem für sie sicheren Ort wie einer Wohnung zusammen arbeiten, ist dann nicht mehr möglich. Wer zu Freiern ins Auto steigt, muss sich beeilen und kann den Kunden nicht in Ruhe prüfen, weil der Angst hat, ertappt zu werden. Was deshalb zunimmt, ist das Risiko, Gewalt zu erfahren oder nicht bezahlt zu werden. Denn eine rechtliche Handhabe, die vereinbarte Bezahlung einzufordern, gibt es dann auch nicht mehr.
Weil Frauen sich nicht mehr auf die gesetzliche Kondompflicht berufen können, steigt zudem das Risiko sexuell übertragbarer Krankheiten – es ist laut Metastudien doppelt so hoch wie ohne Verbot. Und schließlich wird der Zugang der Frauen zu Gesundheits- und Sozialberatungen erschwert. Wozu sollten die auch noch angeboten werden, wenn es Prostitution zumindest auf dem Papier doch gar nicht mehr gibt?
Um Frauen zu stärken, die zumindest zum Teil ohnehin mit schwierigen Arbeitsbedingungen kämpfen, müssen ihre Rechte gestärkt werden – ihre Menschenrechte. Sie brauchen eine gut ausgebaute Gesundheitsversorgung, die sie freiwillig und vertrauensvoll in Anspruch nehmen können. Sie müssen dabei unterstützt werden, sich vor Gewalt und Ausbeutung zu schützen, und die bestehende Strafgesetzgebung muss angewendet werden.
Wer tatsächlich aussteigen will, braucht Beratung und die Möglichkeit zu Fortbildungen. Und schließlich sollten wir als Gesellschaft darauf hinarbeiten, das Stigma abzubauen, mit dem Sexarbeiter*innen noch immer gebrandmarkt sind. Dieses aber würde mit dem Verbot eines Kaufs von Sex nur größer: Eine Normalität für Sexarbeiter*innen kann es dann nicht geben.
Genau das ist es, was viele Befürworter*innen eines Sexkaufverbots wollen: Keine Normalität. Sobald zwei Erwachsene einvernehmlich Sex haben, eine Person aber dafür bezahlt, sei es kein Sex mehr, sagt die AsF-Chefin und Befürworterin eines Verbots, Maria Noichl – und auch keine Arbeit. Wie die Prostituierten selbst steht Prostitution schlicht außerhalb dessen, was für Noichl und andere innerhalb einer moralisch integren Gesellschaft vorstellbar ist.
Bei einem Sexkaufverbot geht es deshalb nicht um den Schutz und die Rechte von Prostituierten – sondern um die Kontrolle von Körpern, um die „richtige“ Sexualität und um Moral. Wer den Kauf von Sex verbieten will, will ein reines Gewissen. Er oder sie handelt aber nicht im Sinn von Frauen, die in der Prostitution arbeiten. Ein Verbot von Prostitution wäre nichts als Symbolpolitik, die sich gegen die Frauen selbst wendet. Aber Moral sollte gegenüber Menschenrechten nicht die Oberhand gewinnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde