Aktivistin über Sexkaufverbot: „Prostitution ist Gewalt“

Die meisten Prostituierten arbeiten unter Zwang, sagt Heidemarie Grobe von Terre des Femmes. Sie kämpft dafür, dass Freier bestraft werden.

Eine Frau steht an einer Straßenecke unter einem Schild, auf dem steht: "Erotik Tausch Center"

Das Sexkaufverbot soll sich gegen die Freier richten, nicht gegen die Prostituierten Foto: Miguel Ferraz

taz: Frau Grobe, warum wird die Debatte um ein Sexkaufverbot so erbittert geführt?

Heidemarie Grobe: Weil Prostitution Gewalt gegen Frauen ist. Die große Zahl der Prostituierten „arbeitet“ unter Zwang. Seien sie menschengehandelt oder arm – auch Armut ist ein Zwang – oder drogenabhängig. Um die kleine Zahl der Freiwilligen kümmern wir uns nicht, die sorgen für sich. Der erbitterte Kampf erklärt sich einmal aus dem finanziellen Interesse der ProstitutionsbefürworterInnen, zum anderen aus der stetig wachsenden Zahl der BefürworterInnen eines Sexkaufverbots, wie es inzwischen von Norwegen bis Israel in Gesetze gefasst ist.Die Zahlen dazu sind bemerkenswert vage: Da wird der Anteil der selbstbestimmt arbeitenden Prostituierten auf zwischen zehn und fünfzig Prozent geschätzt.

Ich glaube, die Zahlen werden je nach Interessenlage gemacht. Ich muss dazu sagen: Ich bin Soziologin, gehe mein Leben lang mit Zahlen um und bin seit 1992 bei Terre des Femmes. Überall, egal, welches Gewaltthema wir nehmen, ist das Dunkelfeld groß. Ich bin seit zehn Jahren in der AG Frauenhandel und Prostitution, bis dahin hatte ich auch ein weich gespültes Bild und eine sogenannte liberale Haltung zur Prostitution, sodass ich dachte: Denen kann ich dieses Beschäftigungsfeld nicht wegnehmen. Das hat sich gewaltig verändert durch die zunehmende Kenntnis der Fakten.

Was denken Sie heute?

Wir müssen den Blick wegnehmen von den Prostituierten und auf die Käufer schauen. Ich spreche auch nicht von Sexarbeit, sondern von Sexkauf, weil das Wort Arbeit für mich zu positiv besetzt ist. Ich weiß, dass der Begriff benutzt wird, auch der der sexuellen Dienstleistung, aber, nehmen Sie mir es nicht übel, ich kann es nicht mehr hören.

Die GegnerInnen eines Sexkaufverbots sagen, dass es den ausgebeuteten Prostituierten nicht nutzt, sondern sie im Gegenteil in eine ungeschützte Unsichtbarkeit drängt.

Auch das ist ein Argument, das ich nicht mehr hören kann. Wir von Terre des Femmes können nur sagen: Schlimmer als jetzt kann es Prostituierten nicht gehen. Denken Sie mal an den Straßenstrich in der Berliner Kurfürstenstraße. Ich verlasse mich darauf, wie sehr sich die schwedische Gesellschaft verändert hat, seit das Sexkaufverbot vor 20 Jahren eingeführt wurde. Ich kenne junge schwedische Männer, die es unvorstellbar finden, dass man Frauenkörper kaufen kann. Da müssen wir ansetzen – und da sind wir sehr spät.

75, Soziologin, ist Leiterin der Hamburger Städtegruppe von Terre des Femmes und Mitglied im Hamburger Landesfrauenrat.

Doch noch mal zum Beginn: Sie sagen, dass die inhärente Gewalt dafür verantwortlich ist, dass die Debatte so heftig geführt wird. Aber beim Thema häusliche Gewalt ist die Diskussion deutlich weniger polar. Geht es eben um die Frage der Deutungshoheit, ob man Prostitution mit seinem Menschenbild vereinen kann?

Ich denke, dass auch die Debatte um häusliche Gewalt heftiger werden wird. Was ich als Unterschied bei den beiden Themen sehe: die Interessen einer bestimmten Lobby, von Selbstvertretungsgruppen wie Hydra und Dona Carmen, die dann gemeinsam mit Bordellbesitzern an runden Tischen sitzen und um ihre Pfründe fürchten.

Im Hamburger Stadtteil St. Georg gibt es seit 2012 ein Kontaktverbot für Freier – das könnte man ja als Vorstufe eines Sexkaufverbots sehen. Wirkt es?

Nein. Wer soll es kontrollieren? Das mag auf dem Papier stehen.

Wird denn ein Sexkaufverbot automatisch besser kontrolliert?

In Schweden schon. Da werden die potenziellen Käufer aufs Korn genommen. Die „Arbeit“ wird ja weiterhin verkauft. Es ist ja nicht so, dass die Prostituierten kriminalisiert werden. Aber die Polizei ist näher am Ball. Das ist sie in Deutschland durch das Prostituiertenschutzgesetz nicht mehr, weil sie kaum Kontrollmöglichkeiten hat, inwieweit Zwang, Gewalt und zuhälterische Ausbeutung vorliegen.

Das heißt aber, dass das reine Verbot ohne den Willen, seine Einhaltung zu kontrollieren, nichts bringen wird.

Wie gesagt: Es muss ein Paradigmenwechsel im Kopf stattfinden. Eine Kollegin meinte gestern: „Der Sumpf der Freier muss ausgetrocknet werden.“ Es empört uns, dass Abifeiern und Junggesellenabschiede im Bordell stattfinden. Die gesamte Pornifizierung der Gesellschaft trägt dazu bei, wie mit Prostitution umgegangen wird. Ich habe in meiner AG eine Berliner Therapeutin, die mit traumatisierten Prostituierten arbeitet – die geht an die Decke, wenn sie das Wort Sexarbeit hört.

Sexuelle Ausbeutung ist bereits jetzt ein Straftatbestand. Warum hilft das nicht gegen Gewalt und Menschenhandel?

Die sexuelle Ausbeutung muss erst einmal dingfest gemacht werden. Ganz oft sind diese Frauen der deutschen Sprache nicht mächtig, ganz oft wird ihnen der Ausweis weggenommen, werden ihnen gegenüber Geldforderungen gestellt, die sie nicht erfüllen können. Es ist sehr schwierig, an sie heranzukommen und nachzuweisen, dass es sexuelle Ausbeutung ist. Und es bleibt zu fragen: Wer meldet die Straftat?

Letzten Endes sagen Sie: Deren Interessen sind schützenswerter als die der Prostituierten, denen damit ein Berufsfeld genommen wird, das sie sich selbst aussuchen konnten.

Ja. Ich will nicht mit Ihnen streiten, was nun Mehrheit bedeutet. Es gibt die Zahlen, seien es 90, 80 oder 85 Prozent von nicht selbst bestimmten Prostituierten. Jede ist eine zu viel. Für mich ist diese Arbeit eine Preisgabe. Ich habe gelesen, dass die GegnerInnen des Sexkaufverbotes die BefürworterInnen für frustrierte Feministinnen halten, die patriarchalische Ideen haben und den Sexarbeiterinnen nicht den Spaß am Sex gönnen. Ich muss dazu sagen: Ich habe meine Sexualität stets lustvoll gelebt: selbstbestimmt, freiwillig und auf gleicher Ebene in einer guten emotionalen Einbettung. Klar kann man sagen: Man macht einen Deal miteinander. Aber wenn man in Freierforen schaut, dann geht es nicht um einen Deal auf Augenhöhe, sondern um Macht, mit der die Frauen zu Objekten gemacht werden.

KritikerInnen sagen, dass es Teil des patriarchalen Denkens sei, Frauen ein Konzept ihrer Sexualität vorzugeben. Tun Sie das denn?

Ich selbst bin sehr konservativ aufgewachsen, mit der Vorstellung, unberührt in die Ehe zu gehen und solch einem Quatsch. Wenn eine Frau ihren Körper anbieten will und den entsprechenden Mann dazu findet im privaten Kreis, habe ich überhaupt kein Problem damit. Aber sobald das Ganze kommerzialisiert wird, geschieht es nicht mehr auf Augenhöhe. Es ist eine alltägliche Gewalt, an die sich zu viele gewöhnt haben.

Glauben Sie, dass sich die BefürworterInnen eines Sexkaufverbots durchsetzen werden?

Ja, jedoch müssen wir uns vor Augen führen, wie lang der schwedische Weg hin zum Verbot des Sexkaufs gewesen sein mag: 20 Jahre? So lange dürfen wir nicht mehr warten, deshalb kämpfen wir für einen zügigen Bewusstseinswandel bei Männern und Frauen, gleich welchen Alters, denn die alltägliche Gewalt in der Prostitution muss ein Ende haben. Es gibt auch in Schweden Prostitution und häusliche Gewalt – das lässt sich nicht verhindern, dennoch hat sich durch die veränderte Haltung der Männer, dass Frauenkörper nicht zu kaufen sind, die Selbstverständlichkeit des Sexkaufverbots durchgesetzt.

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