Diskursiver Jahresrückblick: Armageddon bis Zähne
Das Jahr 2023 war ein schlimmes Jahr. Das offenbart sich auch in der Sprache: ein Abc des Weltuntergangs.
D as Jahr 2023 war schlimm, lautet die politische Bilanz. Der Weltuntergang oder das Ende der Welt, „wie wir sie kannten“, wird allgemein angenommen. Dieser Eindruck wird durch die Sprache verstärkt, die voller Kampfbegriffe ist. Statt Jahresrückblick deswegen ein Abc der Diskurswörter 2023:
Armageddon: Griech. für endzeitliche Entscheidungsschlacht, alles zerstörende Katastrophe, Titel der neuen Show des britischen Komikers Ricky Gervais, alles in allem: Weltuntergang.
Bundeswehr nach Gaza: Hat niemand gefordert. Bezeichnend. Es wäre die einzig logische Konsequenz aus der Staatsräson: Bibi, lass gut sein. Wir übernehmen.
Canceln: Der Begriff spazierte schon Richtung Mottenkiste. Doch dann wurde abgesagt und ausgeladen. Frei nach dem Motto „With the lights out, it’s less dangerous“ (Kurt Cobain).
Demokratie: Muss das aushalten – hieß es dieses Jahr zu verschiedenen Anlässen. Aushalten klingt aber nach der Frage „Ist das zum Aushalten?“ eines in faule Zähne bohrenden Zahnarztes. Die Antwort lautet in der Regel: „Nein.“ Um es mit weiteren unappetitlichen Trendformulierungen zu sagen: Klar ist, dass unklar bleibt, was aushalten mit der Demokratie macht.
Empathie: Den Mangel an ebenjener zu unterstellen, ist das neue „Du Fascho, du“.
Freiluftgefängnis: Veraltet für Gazastreifen, unter Intellektuellen jetzt „Getto“ genannt.
Genozid: Konjunktureller Großkampfbegriff. Wer den Verdacht einer NS-Verharmlosung umgehen will, sagt „genozidales Verhalten“.
Heizungsstreit: Der kleine Weltuntergang des Robert Habeck.
Intersektional: Feministische Position, deren verschwurbelte Formulierungen dem Staat gut gelegen kamen, um mit einer Razzia zu zeigen, dass man Antisemitismus von links ernst nimmt.
Journalismus: Gesprochen Dschornalismus. Gilt in vielen Kreisen schon als erledigt. Allerdings hielten Anfang 2023 viele auch schon Springer und insbesondere Döpfner für erledigt.
KI: Schlimmer als Hitler, Putin, Hamas, China …
Löwe von Kleinmachnow: Anderes Wort für komplett dysfunktionale Hauptstädter.
Meinungsfreiheit: Wo ist noch Meinung und wo Verbrechen? Ein diskursiver Dauerbrenner.
Nie wieder ist jetzt: Klingt, als sei es der Slogan autonomer Hausbesetzer 1982. Aber was soll es eigentlich bedeuten? Dass jetzt Faschismus ist? Oder dass wir den Faschismus jetzt noch verhindern können? Ich habe zu beidem Fragen.
Osten: Anfällige Region für Weltuntergang. Hat halt schon mal einen überlebt.
Postkolonialismus: Lange staatlich geförderter Weltanschauungsansatz, nach dem 7. 10. Theoria non grata.
Querdenker: Eigentlich schon in Pension, aber gegen Israel stehen die Verschwörungsschwurbler natürlich wieder auf der Straße.
Row Zero: Ausdruck für einen Spaßbereich, in dem man besser keine angebotenen Getränke zu sich nehmen sollte.
Swifties: Bewegung für neue politische Hoffnung in den USA, benannt nach dem erfolgreichsten Popstar aller Zeiten, Taylor Swift.
Trump: Synonym für Weltuntergang 2024.
Umwidmung: Der kleine Weltuntergang der Ampelkoalition.
v. Cr: Abkürzung für „vor Corona“, steht für „vor Weltuntergangsanfang“.
Wärmepumpe: Der Weltuntergang der Eigenheimbesitzer.
Y: Der neue Bundeswehrchef Boris Pistorius gilt als Einziger, der den Weltuntergang noch aufhalten kann. Seine Neujahrsansprache wird mit Spannung erwartet.
Zähne: Früher die Arbeitsplätze, jetzt die Arzttermine. Weltuntergang à la Friedrich Merz.
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