Angst vor künstlicher Intelligenz: Schluss mit der KI-Panik
Horrormeldungen über KI sind zum journalistischen Genre geworden. Aber das ist unangebracht. Denn: Fake News verbreiten wir auch ohne sie.
Haben Sie noch Angst vor der Atombombe? Oder bunkern Sie den Dosenfisch und die Wasseraufbereitungstabletten längst gar nicht mehr wegen eines möglichen Störfalls mit Strahlenbelastung, sondern für den Fall, dass die KI die Kontrolle übernimmt?
Angesichts der täglichen Ration KI-Hysterie scheint es jedenfalls so, dass der größte anzunehmende Unfall gar nicht mehr im Atompilz, sondern in der künstlichen Intelligenz gesehen wird. Während der 104-fache Milliardär Warren Buffett im Frühjahr die KI noch mit der Atombombe gleichsetzte, scheint angesichts der Schlagzeilenfülle, in der „KI“ vorkommt, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit der feindlichen KI-Übernahme weit höher liegt als die Austrittswahrscheinlichkeit von Kühlmitteln in einem Atomreaktor: „Experte: 2031 übernimmt die Künstliche Intelligenz die Kontrolle“ (t-online), „KI-Singularität: Überholt künstliche Intelligenz die Menschen schon in drei Jahren?“ (t3n) „Kann KI mit Tieren reden?“ (BR) „KI soll Schauspieler nicht ersetzen dürfen“ (pcgameshardware).
Eigentlich verwunderlich, dass nicht jeden Morgen das Handy vor sich hinbrummt und grausliche Warntöne von sich gibt wie neulich beim Katastrophenalarmtesttag, weil wieder irgendwer irgendwas mit KI ausprobiert hat, was schiefgelaufen ist. Medien, Kulturbetriebe und andere beeilen sich klarzustellen, dass sie KI-frei sind beziehungsweise deren Einsatz garantiert(!) nur unter Aufsicht stattfinde, wenn es wirklich nachweislich um Arbeitserleichterung gehe.
Insbesondere bei den Medien steht die KI im Verdacht, zu verwirrenden Zwecken eingesetzt zu werden, sodass Fakten von Fake News nicht mehr unterscheidbar würden. Sicher, mit der KI wird reichlich Schabernack getrieben: Neulich traf es einen Moderator des ZDF, jetzt bekannte Kollegen aus der ARD. Der öffentlich-rechtliche Sender sah sich am Dienstag gezwungen, eine Nachricht in eigener Sache zu verbreiten, um vor gefälschten, angeblich KI-generierten ARD-Inhalten zu warnen. Es seien Audiodateien im Umlauf und auf Demonstrationen abgespielt worden, in denen sich ARD-Nachrichtensprecher für „einseitige Berichterstattung“, „bewusste Manipulation“ und die „Denunzierung unserer Mitmenschen“ im Namen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entschuldigten.
Fehlt nur noch: „KI ist schlimmer als Nazis“
Sicher kann man sich jetzt darüber aufregen, dass die taz die Verbreitung von Fake News „Schabernack“ nennt. Aber wir müssen auch nicht so tun, als lebten wir zu Zeiten, als die Dampflok noch nicht auf die Schiene gesetzt war. So wie mit jeder technischen Neuerung lässt sich auch mit künstlicher Intelligenz Lustiges und Hilfreiches, Schlimmes und Schreckliches tun.
Und ja, klar glauben die Leute alles, aber eben auch nur das, was sie glauben wollen. Und deswegen wurde der Journalismus erfunden. Um Zweifel am Glauben zu säen. Das Überprüfen von Aussagen ist eine der Kernaufgaben des Journalismus und jedes vernünftigen Menschen sowieso. Ob das Aussagen von Kanzlern, Kranfahrerinnen oder KIs sind, ist dabei erst mal unerheblich.
Hier aber entsteht so langsam das Bild, alles Böse, was die Menschheit je verbrochen hat, würde von der feindlichen Übernahme durch die KI in den Schatten gestellt. Fehlt nur noch, dass jemand auf die Idee kommt zu sagen: Die KI ist schlimmer als die Nazis, weil die haben das Böse wenigstens noch handgemacht.
Apropos: In den letzten Tagen teilten und feierten deutsche Spitzenpolitiker, Wirtschaftsexpertinnen und Journalisten ein Interview, in dem ein britischer Journalist unter anderem sagte, dass die Hamas schlimmer sei als die Nazis. Letzteren wären ihre Gräueltaten wenigstens irgendwie noch peinlich gewesen. Die Nazis hätten wenigstens noch versucht, ihre Taten zu vertuschen, während die Hamas ihre barbarischen Taten heroisch feiere.
Ich bin der festen Überzeugung, hätte man vor dem öffentlichen Abfeiern des Interviews eine vernünftig programmierte KI gefragt, was sie von den Aussagen des Reporters hält, hätte sie davor gewarnt, Falschaussagen zu verbreiten. Denn sie hätte sicher erkannt, dass das Geschwätz des Reporters von der Wahrheit, dem historischen Forschungsstand und dem angemessenen Vergleich unendlich weit entfernt liegt.
Sparen wir uns also die Panik vor der künstlichen Intelligenz. Fake News verbreiten können wir nämlich auch ganz ohne sie.
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