Querdenker*innen-Demo in Hamburg: Antisemitische Narrative
Die Verschwörungstheorien der Querdenker*innen sind antisemitisch konnotiert. Nun fordern sie einen „freien Staat Palästina“.
Am Samstag soll in der Hamburger Innenstadt die Demonstration „Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung“ stattfinden. Den Auftakt plant das „Bürger Bündnis Hamburg – Wir stehen auf“ an der Kunsthalle. Die Organisator:innen kommen aus dem Querdenken-Milieu. Sie wollen die Proteste gegen die staatlichen Pandemie-Maßnahmen weiterführen. In Telegram-Kanälen werben sie auch gleich mit einem ihrer Szenestars, dem „Friedensaktivist & Musiker“ Björn Winter alias Björn Banane. Ein Thema greifen sie neu auf: den Nahostkonflikt.
In den vergangenen Monaten sind Querdenkende schon anlässlich des Angriffskriegs Russland gegen die Ukraine auf die Straße gegangen. In der Hansestadt fordern sie nun erneut den „Stopp der Waffenlieferung“ und die „Aufhebung der Sanktionen gegen Russland“. Der pro-russische Sound ließ sie wieder zusammen mit Reichsbewegten und Rechtsextremen demonstrieren.
Nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober erfolgte aus dem Querdenken-Milieu bei den Friedensbekundungen keine in der breiten Öffentlichkeit bemerkbare Erklärung. Während viele Menschen nach den Bildern vom Angriff und den Entführungen entsetzt waren, gab es aus diesem Milieu keine Äußerung – bis jetzt: Im Aufruf des Bündnisses finden sich unter den weiteren Forderungen wie „Erhalt des Bargeldes“ und Stopp der „Klima- und Energiepolitik“ nun auch die Forderung „Für einen freien Staat Palästina“. Die Wortwahl legt nahe, dass von einer Besatzung ausgegangen wird. Die Nichterwähnung von Israel und einer Zweistaatenlösung könnte andeuten, dass das Existenzrecht des jüdischen Staates nicht anerkannt wird.
Im Kanal des Bündnisses auf dem Instant-Messaging-Dienst Telegram werden „die zehn dümmsten Argumente“ aufgelistet, mit denen „wir von den Medien gefüttert“ würden, „um Israels Krieg gegen den Gaza zu rechtfertigen“. So listen sie auf, dass Israel von der Planung der Hamas gewusst haben müsse und kritisieren, dass die Schuld „für all die Todesopfer“ durch „israelische Waffen“ allein der Hamas zugeschrieben werde. Sie führen weiter an, dass in dem „Freiluftgefängnis“ die Anfeindung Israels nicht wegen der „Religion des Judentums“ entstünde, sondern durch die „Detonation Tausender Bomben“ und „Washington“ nicht machtlos sei, „diesen Völkermord zu stoppen“.
Sowohl auf Veranstaltungen als auch in den Telegram-Kanälen machten Querdenkende immer wieder ‚jüdische Machenschaften‘ aus
Diese Positionierung verwundert in einem Milieu, in dem Verschwörungsnarrative bestimmend sind, kaum. Die antisemitische Konnotation dieser Narrative dürfte diese einseitige Kritik mitbegründen. Sowohl auf Veranstaltungen als auch in den Telegram-Kanälen machten Querdenkende immer wieder ‚jüdische Machenschaften‘ aus.
In diesen Narrativen, erklärt die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, wird der Gründer von Microsoft, Bill Gates, der die Entstehung einer angeblichen „New World Order“ (NWO) mit vorantreibe, als jüdisch bezeichnet, obwohl er gar nicht aus einer jüdischen Familie stammt. Beim Investor George Soros werden dessen jüdische Wurzeln betont und ihm ebenso unterstellt, dass er die NWO antreibe.
Den Staat Israel setzte Querdenken-Protagonist Sucharit Bhakdi nicht bloß wegen dessen Pandemiemaßnahmen mit dem nationalsozialistischen Deutschland gleich. Der Facharzt, der in der Szene zu den Helden gehört, behauptete gar, Israel sei die „lebende Hölle“. Eine Sekundärauswertung der Leipziger Autoritarismus-Studie stellte schon 2021 fest, dass die Zustimmungswerte zu den Holocaust relativierenden und Israel dämonisierenden Items diese „‚Kritik‘ antreibt“.
Björn Banane schließlich, der einst Lieder wie „Biergit“ und „Wir paarschüppen“ am Ballermann sang und heute Lieder wie „Impfschaden“ und „Auf die Straße“ vorträgt, verglich sich mit den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus – weil er ein Attest zur Maskenbefreiung zeigen musste.
Leser*innenkommentare
Rudolf Fissner
"nun auch die Forderung „Für einen freien Staat Palästina“. Die Wortwahl legt nahe, dass von einer Besatzung ausgegangen wird."
Ähm. Ist das Westjordanland nicht unabhängig vom Wording der Querdenkerhansel sowieso besetzt? Jedenfalls ist das das Wording des Auswärtigen Amtes www.auswaertiges-a...te-gebiete/2263564
Budzylein
Die vom Autor zitierten Äußerungen der sog. Querdenker zum Nahost-Konflikt kommen mir sehr bekannt vor. Sie gehörten schon zum Standardrepertoire der "Israelkritiker", als es noch gar keine "Querdenkerszene" gab. Diese altbekannten Floskeln fand und findet man zuhauf in Teilen der Massenmedien, bei postmodernen/postkolonialen Linken, bei Traditionskommunisten und bei Rechtsextremisten. Und natürlich bei der BDS-Bewegung und ihren zahlreichen Freunden. Greta Thunberg & ihre Fans nicht zu vergessen. Die "Querdenker" passen gut dazu.
Krumbeere
Seit Corona ist mir auf erschreckende Weise klar geworden, das die deutsche Gesellschaft insgesamt sich nicht mehr an Wissen und Fakten orientiert, sondern an Heilsverkündenden Schwurblern. Allein schon die Klo-Papier Hamsterkäufe haben mir gezeigt, wie dünn der Lack einer modernen Zivilisation ist. Da brauchen wir nicht mehr auf die irren Trump-Wähler in den USA zeigen -wir sind hier in Deutschland nicht viel weiter.
Petronius der Jüngere
Also ich habe auch liebe Freundin*innen, die zur sog. Querdenker-Szene gehören. Bei den Corona-Maßnahmen konnte ich ja noch ein bißchen mit, weil ich es auch bedenklich fand, wie bereitwillig sich die Menschen ihre Freiheiten wegnehmen ließen, ohne dass es dafür eine klare evidenzbasierte wissenschaftliche Grundlage gab. Ich habe das nicht geteilt, aber akzeptiert. Aber weder beim Ukraine-Krieg noch beim aktuellen Nahostkonflikt kann ich nachvollziehen, warum sich diese Menschen auch mit den Diktatoren und Schlächtern identifizieren. Irgendwas läuft da schief.
Ajuga
Das letzte Wort des Slogans "Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung" ist ja bereits ein deutliches und affirmierendes Nicken in Richtung "Reichsbürger".
Es impliziert, dass Deutschland "fremdbestimmt" sei. Von wem? "Das darf man in diesem Land nicht sagen", wink wink nudge nudge.
Am Anfang - im Frühsommer 2020 - war der typische Slogan dieser Szene noch "Friede, Freiheit, keine Diktatur". Was auch schon ziemlich paranoid und platt gesagt ganz schön, hm, banane war. Aber immerhin kein verbaler Schulterschluss mit rechtsterroristischen Umstürzlern.
Auffallend auch, dass die harte Hand des anti-antisemitischen Nachkriegsdeutschlands nur gegenüber Menschen mit südostmediterranem Teint zum Einsatz kommt. Der Weißdeutsche - der darf offenbar seinem Hass auf die von ihm herbeiphantasierte "jüdische Weltverschwörung" freien Lauf lassen.
Na servas.