Diskriminierung von Sexarbeiter*innen: Schluss mit Hurenhass
Sexarbeiter*innen können folgenlos diskriminiert werden. Das darf so nicht bleiben. Ein Plädoyer für Gleichstellung aus Hurenperspektive.
V or Kurzem besuchte ich eine Ausstellung. Von den sorgsam aufgehängten Fotos in einem weißen, sonst leeren Raum ging eine Würde aus, die mich beeindruckte. Sie zeigten Szenen aus dem Leben queerer Sexarbeiter*innen, eine Tonspur spielte ihre Zitate ein. Solche Würde ist sehr selten in einer Gesellschaft, die Sexarbeitenden mit Verachtung, Scham und manchmal mit Hass begegnet.
Seit zehn Jahren bin ich in der Sexarbeit tätig. Aber der Satz „Ich bin Hure“ geht mir nicht leicht von den Lippen. Ich sperre mich gegen die Klischees und Zuschreibungen, die damit einhergehen. Darum setze ich mich schon lange für das Recht auf Nichtdiskriminierung von Sexarbeiter*innen ein. Aber der Hass auf Huren ist tief in das Handeln und Denken dieser Gesellschaft eingeschrieben.
Was ist Sexarbeitsfeindlichkeit? Der Begriff beschreibt die Diskriminierung, der Sexarbeitende ausgesetzt sind. Von Sexarbeitsfeindlichkeit getroffene Personen erleben Kriminalisierung, Andersmachung und Abwertung in kultureller, institutioneller, materieller und individueller Hinsicht.
Kulturelle Sexarbeitsfeindlichkeit zeigt sich unter anderem in einer Alltagssprache, in der Bezeichnungen für Sexarbeiter*innen als Schimpfworte für nicht-sexarbeitende Personen dienen. Medien bebildern Beiträge zu Sexarbeit mit sexualisierenden und rassifizierenden Stockfotos.
Änderung des Gleichstellungsgesetzes
Gleichzeitig zitiert Mode und Popkultur Symbole und Attribute der Sexarbeit, ohne dafür das Stigma jener zu ernten, deren Ästhetik sie sich aneignen. Institutionelle Sexarbeitsfeindlichkeit besteht in zusätzlichen Pflichten, entzogenen Rechten (z. B. Unverletzbarkeit der Privatwohnung) sowie einer Vielzahl von Gesetzen, die nur Sexarbeitende betreffen. Vielen Menschen – auch in Medien und Politik – ist nicht bewusst ist, dass sie sexarbeitsfeindlich handeln.
Bald bietet sich die Chance, Sexarbeitsfeindlichkeit ins Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) aufzunehmen – das wäre ein Game-Changer. Das AGG soll 2023 evaluiert und novelliert werden. Seit Jahren fordern Verbände und NGOs seine Erweiterung und Modernisierung. Unter dem Stichwort „Diskriminierung aufgrund von sozialem Status“ könnte auch Sexarbeitsfeindlichkeit bald anerkannt werden – als Diskriminierung von Sexarbeiter*innen, weil sie Sexarbeiter*innen sind. Die zivilgesellschaftliche Ergänzungsliste des Antidiskriminierungsverbands Deutschland denkt dies mit: „Der Begriff sozialer Status betrifft z. B. stigmatisierte Berufsgruppen, wie Sexarbeiter*innen.“
Welches Veränderungspotential darin liegt, zeigt ein Blick in meine Biografie: 2015 erlebte ich ein erzwungenes Outing, durch das bekannt wurde, dass ich mir mit Sexarbeit etwas dazuverdiente. Ich suchte Unterstützung bei der Unabhängigen Antidiskriminierungsstelle des Bundes, erntete aber Kopfschütteln und Ablehnung. „Sie haben sich doch selbst ausgesucht, in der Sexarbeit zu arbeiten, also sind Sie selbst verantwortlich.“
Die ganz normale Täter-Opfer-Umkehr
Heute weiß ich: Das ist Victimblaming, also Täter-Opfer-Umkehr. So ein Verantwortungs-Pingpong ist möglich, weil es kein Bewusstsein für Sexarbeitsfeindlichkeit als Diskriminierung in Politik, Behörden oder gesamtgesellschaftlich gibt. Für mich hieß das: Rechtliche Schritte gegen die outende Person oder meine ehemaligen Arbeitgeber waren aussichtslos. Die erheblichen Verletzungen und Nachteile durch das Outing galten nicht als Diskriminierung.
Wenn ich heute, Jahre später, an diese Zeit zurückdenke, steigen immer noch Hilflosigkeit und Kontrollverlust gepaart mit einer Erkenntnis in mir hoch: In den Augen der meisten war ich ab dem Moment, als sie wussten, dass ich anschaffe, zu einer anderen, schlechteren Person geworden. Und das war für die wichtigste deutsche Antidiskriminierungsinstitution vollkommen okay so. Meine Erfahrung veranschaulicht, wie Sexarbeitsfeindlichkeit funktioniert.
Sexarbeitende zu benachteiligen und ihr Dasein als Störung oder Bedrohung zu empfinden ist gesellschaftlich normalisiert. Somit ist ein massives Umdenken in Verbindung mit sensibilisierender Bildungsarbeit erforderlich. Die unter Sexarbeitenden weit verbreitete Mehrfachdiskriminierung hat zahlreiche strukturelle Auslöser: Migrationsbiografien, Armut oder Diskriminierung aufgrund sexueller Identität, Behinderung, Alter oder Aussehen. Doch das Feindbild, zu dem Sexarbeiter*innen erklärt werden, ist nicht auf diverse Mehrdimensionalität ausgelegt. Im Gegenteil, es wirkt über komplexitätsreduzierende Zuschreibungen.
Anspruch auf Nicht-Diskriminierung
Huresein beinhaltet unter anderem die Zuschreibungen Krankheit, Kriminalität und Bildungsferne. Wenn Rassismus, Transfeindlichkeit oder Ableismus hinzukommen, entsteht ein Strudel aus Benachteiligungen und Abwertung, der als Mehrfachdiskriminierung bezeichnet wird. Auch deswegen ist die Erwähnung von Sexarbeiter*innen im AGG überfällig.
Denn dann könnten Sexarbeiter*innen zivilrechtlich gegen Benachteiligungen und Diskriminierungen vorgehen. Damit ließe sich auf Befähigungs- oder Verwirklichungsgerechtigkeit bei der Wohnungs- oder Jobsuche auswirken oder falls sie Opfer von Hasskriminalität werden. Das Recht auf Nichtdiskriminierung ist übrigens bereits seit 2012 in Artikel 21 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union verankert.
Es wird höchste Zeit, dass Sexarbeiter*innen nicht nur als Problemstellung oder Schlagzeile gesehen werden. Sexarbeiter*innen haben Anspruch auf Nichtdiskriminierung. Manche möchten gehört und gesehen werden, andere einfach unbehelligt ihrer Arbeit nachgehen. Am 17. 12. ist Internationaler Tag zur Beendigung der Gewalt an Sexarbeiter*innen. Diskriminierung ist Gewalt. Diskriminierung von Sexarbeiter*innen ist Gewalt an Sexarbeiter*innen. Ein AGG, in dem Sexarbeitsfeindlichkeit steht, trägt dazu bei, Gewalt an Sexarbeiter*innen zu beenden.
Bald bietet sich die Chance, Sexarbeitsfeindlichkeit ins Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) aufzunehmen.
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