Direkte Demokratie in Berlin: Das nächste revolutionäre Projekt

Ein wichtiger Schritt: Beim Volksbegehren zum Modellversuch Grundeinkommen arbeiten Berlins progressive Initiativen zusammen. Ein Wochenkommentar.

ein Trabi mit einem Schild für ein bedingungsloses grundeinkommen

Auch der Fahrer dieses Trabi will ein bedinungsloses Grundeinkommen auf den Weg bringen Foto: Imago

Angesichts der harten politischen Debatte um den Umgang des Senats mit dem erfolgreichen Enteignen-Volksentscheid ist ein bisschen untergegangen, dass viele weitere progressive Initiativen in den Startlöchern stehen, um die etablierte Politik vor sich herzutreiben. Genau das war ja auch gewünscht, als die damalige rot-rote Koalition vor mehr als zehn Jahren die direkte Demokratie überhaupt erst zu einem relevanten politischen Instrument in Berlin gemacht hat.

Seit dieser Woche ist absehbar: Die Initiative Klimaneustart Berlin darf – oder muss – wohl bald Unterschriften für einen Volksentscheid sammeln. Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) hat am Dienstag begründet, warum sie dessen Ziele nicht für umsetzbar hält und der Senat es ablehnt. Die Initiative für ein Modellprojekt zum bedingungslosen Grundeinkommen ist sogar schon einen Schritt weiter: Sie sammelt seit Freitag Unterschriften für einen Entscheid. 175.000 gültige Stimmen braucht sie innerhalb von vier Monaten, also bis Anfang September. Auch dieses Projekt fand keine Unterstützung bei der Koalition aus SPD, Grünen und Linken. Warum, ist nicht so recht klar.

Denn „Expedition Grundeinkommen“, so der Name der Ini, will den großen Schritt für die Einführung eines staatlichen finanzierten Sockelbetrags für alle, unabhängig von deren wirtschaftlicher Situation und ohne Gegenleistung, noch gar nicht gehen. Lediglich einen staatlich finanzierten und wissenschaftlich begleiteten Versuch mit rund 3.500 Teilnehmenden soll es geben. Die Kosten für das Land sind bei 70 Millionen Euro gedeckelt. Angesichts der Tatsache, dass es bei Sozialdemokraten, Grünen und Linken zahlreiche Fans dieser Idee gibt, hätte die drei Parteien sich diesen Vorstoß ruhig zu eigen machen können. Aber die Ablehnung passt ins Gesamtbild im politischen Berlin.

Nun muss die Initiative also gegen die etablierte Politik ankämpfen. Doch allein ist sie zum Glück nicht. Zahlreiche andere Gruppen unterstützen die Expedition Grundeinkommen. Darunter sind einige, die sich für das gleiche Ziel einsetzen, aber auch zum Beispiel die Clubkommission, die eigentlich die Interessen des Berliner Nachtlebens vertritt. Und vor allem zwei Gruppen, deren Volksbegehren ebenfalls auf dem Weg sind: Berlin autofrei und eben Berlin Klimaneutral.

Die Zusammenarbeit geht soweit, dass die drei sogar einen gemeinsamen Termin für einen Volksentscheid anstreben. Eine kluge Entscheidung, denn die nächste planmäßige Wahl wäre erst die Europawahl 2024. Das ist in Sachen Klima zu spät, aber eine Abstimmung ohne parallele Wahl macht es deutlich schwieriger, das Quorum von 25 Prozent Ja-Stimmen zu überwinden. Zu dritt für Klimaschutz, die Verkehrswende und eine andere Sozialpolitik dürfte die nötige Mobilisierung sichern, so der naheliegende Gedanke.

Wie nötig dieses Bündnis der Zivilgesellschaft gegen die etablierte Politik ist, zeigt das Zaudern vor allem der SPD bei der Umsetzung des Volksentscheids zur Enteignung – besser: Vergesellschaftung – der Wohnungsbestände großer Unternehmen. 57,6 Prozent hatten Ende September dafür gestimmt, und doch vermitteln die Sozialdemokraten unter ihren Lan­des­che­f*in­nen Franziska Giffey und Raed Saleh nicht den Eindruck, dass diese klare Mehrheit für sie von Bedeutung ist.

Giffeys ablehende Haltung gegenüber dem Votum der Bevölkerung ist bekannt. Saleh zündert derweil ein paar zum Thema passende Nebelkerzen, etwa als er in einem Interview in dieser Woche mal wieder eine Volksbefragung von oben, also angesetzt vom Abgeordnetenhaus, ins Spiel brachte. Dabei handelt es sich um ein reines Abnick-Instrument, um Entscheidungen wie den Bau der A 100 oder die Bebauung des Tempelhofer Feldes vermeintlich direktdemokratisch legitimiert durchzudrücken, wärend die Parteien selbst die Debatte und Entscheidung scheuen.

Mehr als nur ein Instrument der politischen Gegner

Auch wenn Rot-Rot-Grün in der vergangenen Legislatur nach schwieriger Debatte einige Erleichterungen für die In­itia­to­r*in­nen von Volksbegehren umgesetzt hat, hat die Koalition noch immer nicht in Gänze verstanden, dass direkte Demokratie nicht allein ein Instrument gegen die gewählte Regierung ist. Man kann auch gemeinsam agieren – allerdings nicht, wenn man wie von Herrschers Gnaden eine Abstimmung ansetzt, sondern sich während der Debatte im Laufe eines Volksbegehrens mit den Positionen auseinandersetzt, statt sie nur brüsk abzulehnen.

Die SPD (ganz zu schweigen von FDP und CDU) täte also gut daran, direkte Demokratie als politisches Mittel zur Entscheidungsfindung endlich akzeptieren. Dabei hilft es, früh genug zu erkennen, wann die Bevölkerung eine andere Meinung und dafür auch eine Mehrheit hat.

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Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.

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